Die goldene Pforte

Kurzgeschichte zum Thema Angst

von  TassoTuwas

Sie war seine Begleiterin seit "Trillerpfeife", so nannten sie den kleinen Schreihals im Trainingsanzug, sie zum ersten Mal die Kletterstangen in der Turnhalle hinauf gejagt hatte. Danach war er immer der Erste, der oben anschlug.
Es war nicht sportlicher Ehrgeiz, der ihn antrieb. Er kämpfte sich mit zusammengebissenen Zähnen und geschlossenen Augen zur Decke der Turnhalle, mit jedem Zug presste er sich fester an die Stange, niemand ahnte wie das Herz hämmerte. Er krampfte sich hinauf, weil er es hinter sich bringen wollte, rutschte so schnell herunter, dass die Hände brannten.
Wieder am Boden, hetzte er aus der Halle, hinter sich hörte er Trillerpfeife, "Ich werde Kerle aus euch machen!" Dafür hassten sie ihn alle. Nur er nicht, weil er wusste, Trillerpfeife war auch nur so ein armes Schwein, weil er würde nie mehr die Stange hinauf kommen, weil sie ihm noch am vorletzten Kriegstag den Arm weggeschossen hatten. Das dachte er, während er über dem verkackten Schulklosett würgte und kotzte bis das Zittern weg war. Lange her.
Später vermied er, wo immer es ging die Orte, von denen der Blick in die Tiefe fiel. Mit allen Versuchen die Furcht zu beherrschen war er gescheitert, im Gegenteil, sie hatten die Krake "Höhenangst" nur verfestigt.
Er blieb zu hause wenn seine Kumpels zur jährlichen Wanderwoche in die Berge fuhren, bekam angeblich keinen Urlaub, musste überraschend irgendwo einspringen oder Familiendinge ließen es nicht zu. "Scheiße, wenn man so gefragt ist!", sagte einer aus der Truppe und er winkte ab. Zwei, drei Mal war er sogar plötzlich erkrankt, irgend etwas war immer. Er hatte gelernt, sich einen Vorrat an Ausflüchten, und wie er meinte glaubhaften Erklärungen parat zu halten.
Wenn die Freunde nach der Rückkehr voller Stolz und Begeisterung berichteten wie sie an den Halteseilen am Fels einen Überhang geschafft hatten, hörte er nicht hin und auf die Frage, "Und du?", gab er sich betont unaufgeregt, "Ihr wisst doch, mich zieht es ans Meer!" Dabei war ihm klar, dass sie sich hinter seinem Rücken Blicke zu warfen.
Jetzt stand er in luftiger Höhe und blickte über die Bay, sah wie die Fähren mit ameisenartiger Emsigkeit zwischen Pier 37 und Tiburon hin und her pendelten, spürte den Wind, der um die mächtigen Pylone heulte und durch die armdicken Tragseile pfiff.  So hatte er vor Jahren hier gestanden, rechts noch im Sonnenlicht die Skyline der bunten quirligen Metropole, links schon im Schatten die sanften Hügel, darin das malerische Sausalito, und damals hatte er gedacht, wie schön es wohl wäre, irgendwann hierher zurückzukehren.
Er trat an das Geländer, siebzig Meter unter ihm das gekräuselte Blau, dem der Wind von See unermüdlich neue Schaummützen aufsetzte. Es gibt Schlimmeres als Höhenangst dachte er und an den letzten Befund in seiner Jackentasche und unter ihm das Meer, das er so liebte.
Es war nichts Besonderes, in diesem Jahr war er der Vierzehnte.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (21.07.14)
Wir erinnern uns immer an das Schlechte, bis zu Letzt, bis zum letzten Augenblick...

 TassoTuwas meinte dazu am 21.07.14:
STIMMT!!!!
aber nur für die glühenden Verfechter der Misanthropie ;.)
chichi† (80)
(21.07.14)
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 TassoTuwas antwortete darauf am 21.07.14:
Das freut, herzlichen Dank!
LG TT

 EkkehartMittelberg (21.07.14)
Eine sorgfältig aufgebaute und sprachlich ansprechende Kurzgeschichte, Tasso, die es, wie ihre Klassiker, bei Andeutungen bewenden lässt.

Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 21.07.14:
Hallo Ekki,
hab großen Dank für deine wohlwollenden Worte.
Mir war mal wieder nach Seriosität
Herzliche Grüße
TT

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 17.12.18:
Nee, Ekkehard, "sorgfältig aufgebaut" ist der Text definitiv nicht, dafür enthält er einfach zu viele Fehler ...

Guten Abend.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 17.12.18:
Lieber Dieter,
ich würde Aufbau und Rechtschreibfehler unterscheiden.

 Songline (21.07.14)
Ich erinnere mich gerade lächelnd an eine Frage im Einstellungstest zu meinem Job: "In welcher Stadt befindet sich das goldene Tor?"
Fast alle hatten Peking angekreuzt
Guter Text, der schon am Anfang neugierig auf das Ende macht, die Spannung gut hält und schlüssig endet. Wenige Kommafehler, die aber das Lesevergnügen nicht trüben.
Liebe Grüße
Song

 TassoTuwas meinte dazu am 21.07.14:
Hallo Song,
bei "gate" hab ich mich für "Pforte" entschieden, denn "Tor" hätte manchen Leser verstimmt, weil doch nichts vom Fußball kommt )
Was die Allgemeinbildung betrifft, sie wird immer kleiner, dafür wird aber die Datenbank von Google immer größer!
Deine Meinung zum Text freut mich!!
Liebe Grüße
TT

 irakulani (21.07.14)
Die Freiheit, im letzen Moment, selbstbestimmt durch die goldene Pforte zu gehen, hilft manche schwere Lebenssituation zu durchstehen.

Angst ist manchmal der erste Schritt zur Freiheit!

Eine schöne und eindringliche Kurzgeschichte, die du uns hier präsentierst, lieber Tasso! Ein Großer Schritt für den Protagonisten - und doch so alltäglich in der großen Stadt: er war der vierzehnte! Das setzt die ganze Geschichte noch einmal in ein anderes Licht!

L.G.
Ira

 TassoTuwas meinte dazu am 22.07.14:
Hallo Ira,
hinter der Fassade Ängste, manchem gelingt es, sie geheim zu halten.
Das ist ein nachdenkenswerter Satz. "Angst ist..."
Vielen Dank für deine Kommentierung.
LG TT
Metulskie (32)
(21.07.14)
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 TassoTuwas meinte dazu am 22.07.14:
...Kinderspielplatz, Gambling-Hall, chinesisches Restaurant, Edelbordell...
Metulskie (32) meinte dazu am 23.07.14:
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 harzgebirgler (26.03.21)
andreas lubitz, der kerl, der einst erweiterten selbstmord per flugzeug beging und 150 menschen mit in den tod riss, saß auch mal vor der brücke - ach, wäre er doch da schon von ihr gesprungen!

lg
harzgebirgler

https://de.wikipedia.org/wiki/Germanwings-Flug_9525
https://static.dw.com/image/18344365_303.jpg

 TassoTuwas meinte dazu am 26.03.21:
Oder noch bizarrer.
Hätte ihn ein Irrer über das Geländer geworfen, dann wüssten 150 Menschen nicht, dass sie einem Mörder ihr Leben verdanken!

LG TT

 IngeWrobel (17.07.21)
Gut aufgebaut, spannend und logisch – bis zur Gänsehaut am Schluss.
Gerne gelesen. Ich mag solche Psychogramme.
Liebe Grüße
Inge

 TassoTuwas meinte dazu am 17.07.21:
Es ist eine schöne Überraschung wenn ein alter Text ans Tageslicht geholt wird.
Vielen Dank fürs Stöbern.
Herzliche Grüße ins Ländle
TT
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