Klattkes neue Maßnahme!

Kurzgeschichte zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  Klattke

Klattke hatte es mal wieder erwischt. Nach wie vor ohne feste Arbeit hatte ihm seine Fallmanagerin kurzerhand eine Maßnahme "verschrieben". Pflichtbewusst und von Sanktionen bedroht erschien er dann auch pünktlich zum Projektbeginn. Es ging um ein Medien- und Kulturprojekt, wie man ihm vielsagend mitgeteilt hatte.

Der Ort entpuppte sich als alte Lagerhalle. Neben Klattke trafen noch eine Frau mit Namen Monika und ein Mann namens Rainer ein. Gemeinsam warteten sie nun auf den Leiter, ein Herr Flipsen. Dieser erschien rund 30 Minuten verspätet, wild mit dem Handy telefonierend und schloss hastig die Tür zur Lagerhalle auf. Konfus und mit dem Mobilfunk fuchtelnd suchte er den Lichtschalter in dem düsteren Raum. Monika erlöste ihn schließlich und betätigte ihn. In dem Raum standen zwei Tische und drei Stühle sowie ein betagt aussehender Computer. Dahinter mehrere Stapel Bananen-kisten. Der Projektleiter beendete dann doch das Telefongespräch. Klattke musste unwillkürlich an seinen Motivationstrainer Nils Sturm denken. "Lustich, kieken beede jenauso aus de Wäsche, eena wie der andere", dachte er bei sich. Herr Flipsen stellte sich kurz vor und presste sich eine kurze Entschuldigung für das zu spät kommen heraus. Er hatte es eilig und drängte, gleich zur Projekteinführung zu kommen.

Man stellte also die drei Stühle zusammen. Herr Flipsen setzte sich nur halb auf einen Tisch. Die Maßnahmenteilnehmer interessierten ihn nicht sonderlich, so gab es keine Vorstellungsrunde und Herr Flipsen erklärte, worum es ging. In den Kisten befanden sich Bücher, vor allem aus ausgemusterten Beständen von Bibliotheken. Diese sollten katalogisiert und dann an Interessenten entweder gegen geringes Entgelt oder auch umsonst verteilt werden. Die Einführung dauerte vielleicht 10 Minuten, dann klingelte wieder Herrn Flipsens Handy und mit den kurzen Worten "Ich muss weiter" verschwand er wie er gekommen war.

Als sich die Tür hinter ihm verschloss, atmeten die drei erst einmal tief. Klattke meinte nur: "Dolligowski, der Mann iss ja uff zack!" Schließlich holten sie die Vorstellungsrunde nach. Ob Zufall oder nicht, passten sie doch irgendwie zum Projekt. Monika und Rainer kamen aus der Werbebranche, und schließlich sollten die Bücher ja vermarktet werden. Klattke als gelernter Buchhalter wiederum konnte die Bestände gut katalogisieren und verwalten.

Zunächst begannen sie die Kartons zu sichten. Diese lagen unter einer dicken Staubschicht und auch die Bücher waren stark angestaubt, man sah ihnen an, dass sie schon lange nicht mehr gelesen worden waren. "Mir laust der Affe" stieß Klattke aus. "Wir werden dit Kind schon schaukeln" gab Rainer zurück." Monika krempelte die Ärmel hoch und meinte: "Packen wir's!". In einem Nebenraum fand sich eine kleine Küche und auch ein alter Eimer mit einem Lappen und eine halbvolle Flasche Putzmittel. So machten sie sich ans Werk, die Bücher zu reinigen und ihre Titel und Autoren zu erkennen. Das war nicht immer leicht, zu verkrustet lastete der Schmutzfilm auf ihnen. Zum Vorschein kamen Titel wie "Mehr Markt - mehr Wohlstand", "Erfolgreich Karriere machen" oder "Finanzdienstleistungen verkaufen". Die Autoren ähnelten alle Herrn Flipsen. Ihre Biografien waren auf den Buchrückseiten zu lesen. dort stellten sie ihre Erfolge vor, hatten Visionen und grinsten dem Betrachter auf Porträtfotos vielsagend entgegen.

Die Putz und Katalogisierungsarbeiten für die vielen Bücher nahmen einige Wochen in Anspruch, dann entwickelten Monika und Rainer einen Werbeflyer, den sie anschließend in der Umgebung verteilten. "Bücher gegen Spende abzugeben" hieß der Flyer und darunter befand sich eine Auflistung einiger Buchtitel. Doch es kam niemand. Sie beteiligten sich an Basaren und Straßenfesten, gaben Kleinanzeigen in der Lokalpresse und im Internet auf. Doch keiner wollte die Bücher, weder gegen Spende noch umsonst. Einmal drückte ihnen eine alte Dame mitleidig fünf Euro in die Hand. Bücher wollte sie dafür keine und schüttelte nur weise ihr Haupt: "Nee, nee, dit kennen wa schon!" Die drei gaben sich wirklich alle Mühe, zogen alle Register, doch vergebens, sie wurden die Bücher nicht los.

Den Projektleiter sahen sie während des Projektes nur noch zweimal: beim ersten Mal bestimmte er Monika zum Führen der Anwesenheitsliste und telefonierte einmal die Woche mit ihr, das zweite Mal erst am letzten Tag. Denn wie jede Maßnahme ging auch diese einmal zu Ende. Die mit viel Mühe geputzten Bücher standen unberührt in der Halle und Herr Flipsen hatte eine Recyclingfirma beauftragt, sie abzuholen. Klattke sah in Gedanken das Entsorgungsfahrzeug schon vorfahren und die Bücher in seinem Schlund verschwinden, da kam Herr Flipsen wild mit den Armen gestikulierend und erzählte, dass gerade eine neue Maßnahme bewilligt worden ist und morgen ein neues Büchervermarktungsprojekt starten würde. Schnippisch meinte er noch: "Vielleicht haben eure Nachfolger bessere Ideen!" Dann klingelte sein Handy und er verschwand, ohne sich weiter zu verabschieden.

Monika, Rainer und Klattke gingen noch in einen Backshop. Klattke bestellte sich einen Kaffee und einen Spritzkuchen. Herzhaft biss er in das Fettgebäck, das sofort in sich zusammen fiel. Viel Luft mit wenig Inhalt …

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(29.08.14)
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 Regina (29.08.14)
Die Maßnahmeteilnehmer dürfen ja keine Arbeit machen, für die man normalerweise eine Person bezahlen würde, also müssen sie etwas tun, wofür niemand einen Cent ausgeben würde. So kommt es zustande, dass allerhand Zeitvertreib zur Arbeitsmaßnahme erklärt würde.
parkfüralteprofs (57)
(30.08.14)
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