Als Lily einen Heimatroman schreiben wollte.

Erzählung zum Thema Schreiben

von  Skala

In der Wohnung riecht es angenehm deftig, als ich von der Arbeit nach Hause komme. Offenbar hat Lily gekocht, und somit ist mein erster Gang in die Küche. In unserem größten Topf finde ich Gulaschsuppe, die offenbar für den Rest des Monats reichen soll. Von Lily keine Spur. Ich schöpfe mir Suppe in eine Tasse, nehme mir ein Brötchen aus dem Brotkasten und eine Dose Cola Light aus dem Kühlschrank und bugsiere alles ins Wohnzimmer, wo Lily auf dem Boden hockt, umgeben von vollgekritzelten Zetteln, Stiften und ihrem wie üblich gelangweilt und missmutig dreinblickenden Kater Schrödinger.
„‘n Abend“, grüße ich und lasse mich mit meinem Abendessen auf unserem Sofa nieder.
„Griaß di“, antwortet Lily und ich ziehe die Augenbrauen hoch. Lily kommt weder aus dem Süden des Landes, noch strahlt sie, zart und zerbrechlich wie sie da auf dem Teppich hockt, die gesunde Derbheit eines dirndltragenden Landmädchens aus. Sie bemerkt meinen Blick und verzieht das Gesicht.
„Nicht gut?“
Ich schüttele den Kopf.
„Okay. Ist ‚Grüß Gott‘ besser?“
„Kommt darauf an, wofür. Die Gulaschsuppe ist übrigens hervorragend.“ Ich puste und schiebe mir einen Löffel in den Mund. Schrödinger gähnt, streckt sich und schaut mich einen Augenblick erwartungsvoll an. Ich mache „Kscht!“ und er dreht mir beleidigt den Hintern zu, wie immer, wenn ich mich weigere, Lilys köstliche Kreationen mit ihm zu teilen.
„Du hattest doch schon Futter, Dicker!“, sagt Lily liebevoll und tätschelt Schrödinger den Rücken. Er maunzt beleidigt und huscht durch die Wohnzimmertür. „Hast du den Deckel auf den Suppentopf getan?“, fragt Lily besorgt.
„Sicher“, beruhige ich sie. „Ich biete diesem verfressenen Tiger bestimmt keine Möglichkeit, in den Suppentopf zu springen, und ich hab dann die Haare im Essen!“
„Ich hab ihm beim Kochen sogar etwas Rindfleisch gegeben“, klagt Lily. „Dieser Kater ist unersättlich.“
„Er wird schon irgendwann verstehen, dass er bei dir nicht hungern muss“, beruhige ich sie und kratze bedauernd mit meinem Löffel durch die fast schon leere Suppentasse. „Aber erzähl: Warum ‚Griaß di‘?“
„Ich kann auch ‚Servus‘ sagen“, bietet Lily an, das R seltsam rollend. Ich grinse.
„Willst du dich im Freistaat einbürgern, oder was hast du vor?“
„Mitnichten“, antwortet Lily. „Ich stehe eher vor einer Identifikationskrise.“
„Oha“, sage ich grinsend, „das klingt allerdings fatal. Los, sag schon, was willst du diesmal schreiben? Einen Thriller aus der Perspektive des Mörders? Ein Drama um einen Todgeweihten? Ja, dann kann ich verstehen, dass es mit der Identifikation hapert.“
Lily schüttelt den Kopf. „Ne“, sagt sie. „Eher im Gegenteil.“ Sie zieht ein leeres Blatt zu sich heran und schreibt mit einem Kugelschreiber das Wort ‚Heimat‘ in die Mitte. „Was ist für dich eigentlich Heimat?“
„Heimat?“, wiederhole ich. „Da fragst du den Richtigen. Warum willst du das wissen?“
„Na ja“, antwortet Lily und zieht einen Kreis um das Wort ‚Heimat‘. „So albern es klingt, aber… ich dachte, ich versuche mich einmal an einem Heimatroman. Simple Handlung, schwarzweiß stereotype Charaktere und ein atemberaubendes Setting in einem lieblichen Tal vor der imposanten Silhouette der Alpen.“
„Beeindruckend“, nicke ich. „Und wo liegt jetzt das Problem?“
„Genau da“, seufzt Lily. „Ich war in meinem Leben noch nicht in den Alpen. Oder in Bayern. Oder überhaupt in einem kleinen Dorf, wo die Leute ‚Griaß di‘ sagen, Lederhosen tragen und von der Alm ins Tal hinabjodeln.“
Ich muss mir das Grinsen verkneifen. „Und wo liegt jetzt wirklich das Problem?“
Lily verdreht die Augen und greift sich mit beiden Händen in ihr widerspenstiges Haar. „Hast du dir mal die Coverbilder von Heimatromanen genauer angeschaut?“
„Ne“, sage ich. „Warum auch?“
„Dirndl, Lederhosen, Berge, versonnen lächelnde junge Mädchen mit Flechtfrisuren und im allerschlimmsten Fall eine Kuh mit Blumengirlande um die Hörner!“
„Glaubwürdig dargestellt“, würdige ich Lilys Ausführungen. „Das so als Schilderung in deinen Heimatroman, und jedem Alm-Öhi werden vor Sentimentalität die Tränen in die Augen schießen.“
„Ich weiß nicht.“ Lily sieht mich mit ihrem traurigen Hundeblick an, während Schrödinger zurück ins Wohnzimmer getapst kommt, uns beide keines Blickes würdigt, auf sein Kratzbaumgebilde springt, das Lily in einer Ecke neben dem Sofa aufgebaut hat, und ein klagendes Maunzen von sich gibt. „Wie soll ich eine Geschichte glaubhaft wiedergeben, in der die Heimat ein so großes Thema ist, ich das Milieu, in dem die Geschichte spielt aber nicht als Heimat empfinde, geschweige denn kenne?“
„Du hast es doch schon ganz gut beschrieben“, merke ich an. „Und im Zweifelsfall schaust du dir einfach mal Heidi an und liest ein paar dieser Schmonzetten, dann wird das schon.“
„Ich weiß nicht“, wiederholt Lily, immer noch todunglücklich dreinblickend. „Was mich übrigens wieder zurück zu meiner Frage bringt: Woran denkst du, wenn du das Wort ‚Heimat‘ hörst?“
Ich brauche eine kleine Weile um darüber nachzudenken. „Ich gebe dir den Vortritt“, sage ich zu Lily. „Was bedeutet ‚Heimat‘ für dich? Schuhplattler, Lederhosen und der Geißenpeter ja offenbar nicht.“
Lily lächelt versonnen, antwortet aber nicht.
„Okay, lass mich raten“, starte ich einen Versuch. „Du bist mit deinen Eltern damals umgezogen, hast deine Kindheit auf dem Land verbracht. Ich wette, deine Heimat wird immer die Heimat deiner Kindheit bleiben. Du bist vertraut mit dem Landleben. Warum kannst du nicht darüber schreiben?“
„Zu wenig Berge“, antwortet Lily und seufzt. „Und keine Dialektsprecher in Lederhosen. Was mir fehlt ist diese Idylle, die in jedem Heimatroman vorherrscht.“
„Aber es heißt doch Heimatroman“, bemerke ich. „Nicht Idyllerzählung oder Paradiesprosa.“
Lily wirft mir einen zweifelnden Blick zu. „Ach“, sagt sie, „du hast doch keine Ahnung.“ Schrödinger, der die ganze Zeit auf seinem Kratzbaum vor sich hin geschnarcht hatte, schlägt die Augen auf, zustimmend, wie ich finde. Ich schwanke zwischen Belustigung und dem dringenden Bedürfnis, ihn mit meinem Pantoffel zu bewerfen, entscheide mich dann aber für ein gequältes Grinsen.
„Also gut. Du willst wissen, was ich als Heimat bezeichne?“
Lily nickt.
„Heimat bedeutet für mich, an einen Ort gern zurückzukehren, oder auch nur zu wissen, dass es einen Ort gibt, an den ich zurückkehren kann und wo man mich willkommen heißt, unabhängig von landschaftlichen Besonderheiten oder Menschen mit Lederzöpfen und Flechtzöpfen die „Griaß di“ zu mir sagen und Rosi und Seppel heißen. Heimat hat für mich auch etwas mit unverwechselbarem Geruch zu tun, wie von frisch zubereiteter Gulaschsuppe…“
„…oder Geräusche, wie das zufriedene Schnurren eines Katers“, unterbricht mich Lily und ich lächle gequält.
„Zufrieden, ja“, sage ich. „Genau. Heimat sind für mich lange Haare auf dem Boden der Dusche…“
„…und kurze im Waschbecken!“, ergänzt Lily. Ich grinse. „Ganz genau. Das ist für mich Heimat. Und offenbar haben wir da eine ziemlich ähnliche Definition. Und wenn du noch nach einem richtig stereotypen Charakter suchst – bitte! Fred, der gutaussehende, liebenswerte… na, sagen wir Tierpsychologe, der es zu seinem Lebensziel gemacht hat, verstörte Tiere zu heilen…“ Schrödinger gibt eine Art Schnarchen von sich. „Na ja. Du weißt besser, wie es weitergeht.“
Lily lacht. „Ja“, sagt sie. „Ich denke, das weiß ich.“
Wir sitzen uns gegenüber, im Schneidersitz auf dem Wohnzimmerboden. In der Wohnung über uns läuft laut der Fernseher, und von Zeit zu Zeit schnauft Schrödinger vor sich hin, ansonsten ist es still. Es riecht nach Suppe, und Lily lächelt wieder versonnen vor sich hin.

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Kommentare zu diesem Text

fragilfluegelig (49)
(17.10.14)
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 Skala meinte dazu am 18.10.14:
Danke für deinen lieben Kommentar! "Vertraut, gemütlich, zum Wohlfühlen" - genau das ist es das Gefühl, was ich in meinen Lilytexten versuche herüberzubringen. Deswegen sitze ich jetzt hier - ohne Katze, aber mit Schwester, was immerhin die Kratzbürstigkeit manchmal ausgleicht und ohne Gulaschsuppe - und freue mich ganz doll. (Und Lily freut sich auch, sagt sie mir gerade ins Ohr.)
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Skala
AbrakadabrA (45) antwortete darauf am 14.11.14:
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 Skala schrieb daraufhin am 15.11.14:
Dann hoffe ich mal, dass der Durchfallbierfurz irgendwann in den Achtzigerjahren stattfand... auf den  klassischen Sofagarnituren fielen die Flecken wahrscheinlich nicht allzu sehr auf...

 EkkehartMittelberg (18.10.14)
Schön, wie du in deiner amüsanten Erzählung Heimat definierst.
Aber meinst du nicht auch, dass landschaftliche Besonderheiten doch dazu gehören, weil sie die Menschen prägen, die dich in deiner Heimat wilkommen heißen?

LG
Ekki

 Skala äußerte darauf am 18.10.14:
Danke für deinen Kommentar, Ekki. Ich denke schon, dass landschaftliche Besonderheiten zur Mentalität der Menschen beitragen, aber was ich (oder eher Lily und Fred) etwas auf's Korn nehmen ist diese Heimatromantendenz, alles zwischen Zenzie und Rosie, dem Oberhuber's Sepp, Weißbier, Obatzter und Kuhglocken anzusiedeln. Auch wenn ich mir selbst (und Lily wahrscheinlich auch) nie vorstellen könnte, irgendeine Metropole mitten im Pott als Heimat zu betrachten (nur mal als Beispiel), geht es den Menschen die dort aufgewachsen sind vermutlich ganz anders. Ein Heimatroman aus Gelsenkirchen, oder Castrop-Rauxel oder so, das wär's ja vielleicht mal?
Herzlichen Dank nochmal, auch für die Empfehlung.
Skala
Scrag (28)
(19.10.14)
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 Skala ergänzte dazu am 19.10.14:
Viiiielen Dank für dein Lob. Ja, Lily und Fred sollen sich ja auch nicht immer streiten (auch wenn ich noch ein, zwei Ideen für ein prickelndes Streitgespräch zwischen ihnen habe) Und der Kater Schrödinger (ja, da habe ich an Schrödingers Katze gedacht, und die Geschichte, die ich im Kopf habe, wie genau er zu Lily und Fred kam, mal sehen, ob ich die mal aufschreibe, liefert auch noch eine Erklärung für den Namen (da gibt es nämlich auch noch eine Verbindung zu Schrödingers Theorie, soweit ich die mit meinem ja doch arg ausgeprägten physikalischen Sachverstand begreife :D).
Liebe Grüße, auch natürlich von Lily und Fred (Schrödinger maunzt gerade, was du schon wieder für ein Störenfried bist )
Skala
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