Der Mann, dessen Name Dieter war, hieß Dieter (+ Video)

Text

von  Janoschkus

Eines Tages, nicht weit von hier entfernt, da ergab es sich, dass sich etwas, nachdem es geschehen war, zugetragen hatte. Ein Mann kaufte sich ein Haus, ein großes Haus, durchaus ansehnlichen Schnittes – ein hübsches Haus, um nicht zu sagen schnittig. Er wollte darin wohnen. Als er das Haus nun endlich sein eigen nennen konnte, fiel ihm der missliche Umstand auf, als er so durch die Flure streifte und die großen Gardinen aus den Fenstern wedeln sah, da es gerade unübertrefflich stürmte und schneite - ja, da fiel ihm auf, dass ihm irgend etwas fehlte in diesem seinem neuen Haus. Er kam recht schnell darauf, was es denn war, aber vorher nahm er sich seine Brille zur Brust und putzte sie gehörig, denn auch eine Brille verzehrt sich nach der täglichen Pflege durch den kleinen Mann mit Hut, ebenso wie durch den großen Mann mit Bart und Fingerhut. Alsbald kaute er lässig auf einem der Bügel herum und begann in sich hineinzuschnauben:
„Ach, liebe Welt. Jetzt habe ich hier ein Haus, bin überglücklich und restlos zufrieden, jedoch, ach, bangt und rumort es in meiner Brust. Es ist ein bitteres Ziehen, ein wehes Leid – es ist mir ganz, als zöge jemand Tau in meinem Herzen und alle Stricke rissen. Was mir fehlt, oh ach, meine liebe Brille, ist ein Weib, das ich mir zur Brust nehmen kann, wenn ich einmal sauer auf sie bin. Eine holde Magd, die immer Zuhause ist und mir ein Süppchen kocht, wenn mir danach beliebt. Eine schimmernde Erscheinung gar wohlgeschwungenen Augenaufschlags, eine rechtschaffende Natur, die mir Zuhause den Hof bereitet, ordentlich kehrt und oben im Schrank schrubbt und staubsaugt, in allen Ecken und Kanten, bis die zu kurze Schnur des Staubsaugers ihr „Nö“ an die Decke ruft. Eine treue Weggefährtin, Seelenverwandte und Kumpanin, ein phänotypisches Zuckerbeispiel der weiblichen Existenz, ein verlängerter Arm, mit dessen Hilfe ich im Keller an die Schallplattenkartons rankomme, die ich, ach, zu hoch gestapelt habe.“
Der Mann, dessen Name Dieter war, hieß Dieter. Ihm war in seinem langen Leben, das er nunmehr bereits seit achtunddreißig Jahren führte, so einiges Untergekommen. Selbst bei heftigem Regen war er meist noch irgendwo Untergekommen. Manchmal unter einem Schirm, anderntags auch einfach unter einem x-beliebigen Hochstand im Wald. Aber die richtige Frau war ihm noch nicht Untergekommen. So sehr er sich auch bemühte und abrackerte wie eine trächtige Kuh im Mausrad, die richtige Frau war bisher nicht dabei. Einmal wäre er sogar beinahe, um nicht zu sagen um ein einziges Haar, ein sehr, sehr dünnes zudem, umgekommen. Doch jemand rettete ihm total knapp das Leben.

Dieter war ein sehr angesehener Mann - er arbeitete im staatlich verifizierten Bootsverleih, der nah am Wasser gebaut war, im nächsten Ort. Sein Haus stand in einem anderen Ort, wobei beides ziemlich kleine Orte waren, um die im Grunde keinerlei spannende Geschichten ranken. Dieter selbst jedoch war ein ganz außergewöhnlicher Mann mit sehr sehr vielen erzählenswerten Eigenschaften. So z.B. mochte er Kaffee. Er trank viel, gerne und schnell. Am Frühstückstisch jedoch fiel ihm immer wieder auf, wie alleine er doch war in seinem neuen, großen, schnittigen Haus. Auf dem Tisch hatte er Zeitschriften mit einigen hübschen Frauen platziert und das war auch der Grund, warum er sich in die Tageszeitung, die er stets am Morgen vor der Arbeit zu lesen pflegte, ein großes Loch hineinschnitt: Damit er da hindurch gucken und die ansehnlichen Frauen in den Magazinen und Modeheften studieren konnte, die sich da auf dem Tisch für ihn räkelten.
Dieter fuhr mit dem Fahrrad zur Arbeit, wobei zu seinem Bedauern die Strecke ziemlich weit, steinig und schwer ausfiel, sodass er stets völlig durchnässt seinen Chef begrüßen musste. Dieser jedoch empfand dies als vorbildliche Geste, da es recht gut mit dem für seinen Bootsverleih repräsentativen Wasser harmonierte, das ja durchaus ebenfalls nass war. Sein Chef trug Glatze, Bart und Fingerhut. Es war ein sehr gutaussehender Chef; er hatte Frau und Kind und führte daneben noch eine weitere Familie, ebenfalls mit Frau und Kind, wobei er in letzterer zwei Kinder hatte, zwei Töchter, die er alle beide, wie auch das eine Kind seiner anderen Familie, den Burschen, wie er ihn nannte, selber gezeugt hatte. Die Frauen aus beiden Beziehungen wussten nichts voneinander, die Kinder jedoch gingen in die gleiche Schule, zumal es nur eine Schule gab, die für sieben Örtlichkeiten, Kaff und Käffer genügen musste. Die Kinder wussten davon, dass sie einen gemeinsamen Vater hatten, hielten aber dicht.
Dieter jedoch hatte keine Kinder, keine Frau. So manches Mal trug es sich zu, dass er sich bei der Arbeit herrlich durch die Haare fuhr und über alles nachdachte. Über die Frauen und über die Kinder und über die Welt an sich mit ihren fiesen Tücken und Machenschaften. Er überlegte sich gut, dass er unbedingt sterben wolle, wenn er denn älter sei, so um die achtundneunzig Jahre vielleicht. Jünger wollte er keinesfalls sterben, auch in Anbetracht dessen, dass es ja sicher noch einiger Zeit bedurfte, bis er endlich eine Frau gefunden hätte. Und diese Zeit wollte Dieter nutzen.

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Video zum Text, vom Westslam in Leipzig:  Hier Klicken

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (29.12.14)
"Ein phänotypisches Zuckerbeispiel..." Da fällt der Protagonist etwas aus der Rolle, finde ich.
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