eine stumme geschichte

Text

von  Vessel

großvater erinnert sich nicht, es ist nie geschehen. es waren männer gekommen, in grauen anzügen und mit schönen gesichtern. sie waren nie da, es ist nie geschehen, er war keiner von ihnen.
und als sie das verrückte mädchen mitnahmen, dann ist das nie geschehen. sie haben sie gewaschen und verbrannt. warum gewaschen, frage ich. sie mussten waschen, sagt großvater. sie mussten waschen, waschen, den schmutz, das blut, die hoffnung, die schuld. waschen, waschen. er sagt, das ist alles nie passiert. die erinnerung ist fort und das leben und als ich später dabeistehe, wie sie großvater waschen: es ist wenig mensch übrig, und fast habe ich angst, dass die dünne haut reißt.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (18.05.15)
Geht unter die Haut, so tief, dass mir die Worte zu banalen Klumpen gefrieren.
Liebe Grüße
mona

 sandfarben (18.05.15)
Ich lese hier die Geschichte eines senilen, alten Mannes, der sich bruchstückweise (nicht) erinnert, an Geschichten, die er am liebsten ausradieren würde. Ein Text, der im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht.
c.

 monalisa meinte dazu am 18.05.15:
Senil bzw. dement könnte natürlich auch sein oder zusätzlich sein zu einem systematischen Verdrängen (wollen?)
Die 'männer in grauen anzügen ' ließen mich an die Gestapo denken, '... das verrückte mädchen mitnahmen', 'verbrennen', 'waschen' .... an eine nicht bewältigte NS-Vergangenheit. 'er war keiner von ihnen', aber er hat es gesehen, hat darum gewusst und sein Leben damit verbracht, es zu leugnen.
LG mona

 Vessel antwortete darauf am 19.05.15:
danke für die kommentare.
vergessen kann segen und fluch sein. in vielerlei hinsicht. man weiß: da ist was, aber was genau: ist alles vergessen und alles wiederholt sich. nur die anzüge ändern ihre farben.

 loslosch (18.05.15)
typischer war die oma für dieses verdrängen. der opa stand an der front. für einen 25-jährigen heute ists eher die uroma.

die betroffenen eltern waren nicht selten froh, dass das geistig behinderte kind abgeholt wurde, waren jahrzehnte nach dem krieg aber peinlich berührt, wenn ihre 60-jährigen kinder verspätet von der existenz oder dem frühen tod der schwester oder des bruders erfuhren.

 Vessel schrieb daraufhin am 18.05.15:
meine texte sind fiktiv. alle. das ist zwar nicht die regel hier auf kv oder überhaupt, aber mir ist es wichtig.
der text basiert offensichtlich auf den ns-geschehnissen. es würde mich freuen, wenn er nicht nur darauf beschränkt wird (falls das überhaupt möglich ist.)
Sätzer (77)
(18.05.15)
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 Vessel äußerte darauf am 19.05.15:
danke für deinen kommentar
wa Bash (47)
(18.05.15)
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 Vessel ergänzte dazu am 19.05.15:
danke
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