Es fühlte sich seltsam an

Erzählung zum Thema Arbeit und Beruf

von  Wortsucht

Es fühlte sich seltsam an. Von Anfang an. Schon als ich aufwachte, hatte ich das dumpfe Gefühl, dass heute nicht mein Tag sein könnte. Natürlich verspätete sich noch der Zug. Erstaunlicherweise konnte ich auf dem Weg zum Büro 10 Minuten zurückgewinnen.
Als ich im Geschäft vor der Eingangsschranke stand, bemerkte ich, dass mein Zugangs-Batch nicht funktionierte. Glücklicherweise kam gerade eine junge Frau, die ich bei uns zwar noch nie gesehen hatte, aber sie liess mich mit ihrem Code rein.
Irgendwie kam mir alles fremd vor – ich setzte mich dennoch an den Schreibtisch und startete den Computer. Vermutlich hatte sich die Putzfrau wieder mal die Mühe gemacht, meinen Tisch ordentlich aufzuräumen. Jedenfalls sah er nicht aus, wie sonst.
Natürlich akzeptierte der Computer an diesem Morgen das Passwort nicht. Genau das hatte mir noch gefehlt. Glücklicherweise klebt die Nummer des Benutzersupports an meinem Bildschirm. Ich liess das Passwort zurücksetzen und konnte mich danach einloggen.
Im Flur vor dem Büro herrschte zunehmend Betrieb, weshalb ich die Türe schloss. Ich war etwas erstaunt – noch nie war mir aufgefallen, dass es einen Schlüssel dazu gab. Nun, um in Ruhe arbeiten zu können, benutzte ich ihn.
Wohl gerade rechtzeitig. Während zwei Stunden klopfte es immer wieder an die Türe, Leute diskutierten laut und einmal versuchte sogar jemand, einen Schlüssel von aussen zu benutzen. Wie blöd kann man sein? Sicher lasse ich den Schlüssel im Schloss stecken, wenn ich nicht gestört werden will …
Trotz des Lärms im Flur kam ich gut voran, ich korrigierte Verträge, bestätigte Rechnungen und beantwortete Anfragen von Kunden. Wie gesagt. Es fühlte sich seltsam an. Normalerweise machte ich solche Dinge nicht.
Der Lärm im Flur wurde immer schlimmer. Kurz vor Mittag zertrümmerte eine Sondereinheit der Polizei die Bürotüre. Ich schaute durch das klaffende Loch hinaus an die gegenüberliegende Wand und da fiel es mir auf: Ich war gar nicht in meinem Büro.
Das anschliessende Verhör auf dem Polizeiposten bestätigte meinen Verdacht nur teilweise. Ich war zwar in meinem Büro – aber nicht bei meinem Arbeitgeber.
Habe ich es nicht gleich gesagt? Bei uns gibt es keine Schlüssel zu den Bürotüren! Es fühlte sich die ganze Zeit seltsam an …

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (08.10.15)
Ich hätte den Schluß offengelassen, wir Leser sind nicht blöd!

 Vessel (08.10.15)
Das ist sehr klug gemacht und gut geschrieben. Schön auch, dass du das Ende so vage gelassen hast, denn: vage Enden sind gut (und wir Leser sind doch auch nicht blöd).
Gefällt mir wirklich sehr.

 Dieter_Rotmund (22.10.18)
Ich kann nur wiederholen:

Ich hätte den Schluß offengelassen, wir Leser sind nicht blöd!
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