Big Time

Kurzgeschichte zum Thema Begegnung

von  Hartmut

Elektrische Energie so zu speichern, um damit ein normales, alltagstaugliches Auto anzutreiben ist nicht ganz einfach und, seien wir mal ehrlich, die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Das sind die Worte von Paul P., Entwicklungsingenieur bei einer großen Autofirma. Oft muss er seine Kollegen aus der Werbeabteilung zur Mäßigung aufrufen, oft muss er die Konzernleitung beschwichtigen. 38  ist er, mit der Zeit verliert er seine Haare und seine Figur. Vom Chef einer Entwicklungsabteilung erwartet man Überstunden. So  kommt er oft erst gegen 20 Uhr nach Hause und macht aus Einsamkeit den Kühlschrank leer.
Heute sitzt er in einer kleinen Bahnhofskneipe und wartet auf Silvia, 32, promovierte Juristin, auch einsam und tief enttäuscht von einer langen Beziehung.
Das Internet hat die beiden ausgewählt, geheimnisvolle Beziehungsalgorithmen versprechen Liebe. Die Auswahl scheint groß zu sein, und wenn es diesmal wieder nicht klappt, warten andere einsame (Elite) Menschen. Die Zeit, die die Datenbank braucht, um einen neuen Namen auszuspucken, beträgt nicht einmal eine Zehntelsekunde.
Sie wird mit dem Zug aus Westen anreisen, er aus dem Osten. Man trifft sich hier in der Mitte.
Er sitzt da, noch allein, bestellt einen Kaffee. Ein halbe Stunde ist er zu früh, der Fahrplan der Bundesbahn diktiert die anbahnende Liebe. Eine junge Frau mit Kopftuch betritt den Wartesaal, bestellt einen Kaffee und kramt ein paar Blätter hervor. Stille. Dann steht sie auf und kommt überraschenderweise auf ihn zu. „Helfen sie zu mir ausfüllen den Antrag, der Schalter wird öffnen später halb eine Stunde.“ Er schaut in ein fremdes Gesicht. Es ist nicht das Kopftuch, die Augen sind es. Dark mirrows behind the stars. „Was heißt das“ und sie zeigt auf ein Formblatt, schaut ihn jetzt direkt an: Erstattet werden 50% des Normalpreises auf verkehrsüblichen und werktäglichen Verbindungen? Er nimmt ihren Stift, schreibt, fragt. Aber es geht nicht auf Deutsch. So versucht er es in Englisch. Jetzt antwortet sie erfreut, temperamentvoll. Es sind ihre Augen, die ihn nicht loslassen, ihn fast zum Schweigen bringen. Einmal berührt sie ihn absichtlich oder auch unabsichtlich, eher aus Ärger oder Unverständnis über eine Frage. „Sorry!“ Einmal trinkt er aus ihrer Tasse, der Papierkram auf dem Tisch ist schuld. „Sorry, ich bestelle ihnen eine neue.“ „Nein!“ Das Kopftuch ist etwas verrutscht, das schwarze Haar kommt zum Vorschein. Schließlich ist der Antrag ausgefüllt. Die Zeit von 18000 Zehntelsekunden ist abgelaufen. Durch die Glastür erkennt man, dass der Schalter geöffnet wird. Er schaut aus dem Fenster zum Bahnsteig, gerade fährt auch der Zug ein. Sie verabschiedet sich in einer fremden Sprache, die so fremd klingt, als ob sie von einem anderen Stern käme. „Das war afghanisch, ich sagte, du bist gewesen wie ein lieber Freund für mich.“ Als er mit Silvia den Bahnhof verlässt, sieht er sie noch einmal. Er schaut ihr lange nach und vergisst fast seine neue Matchingpoint- Partnerin.
Fast ein Jahr später sieht er sie wieder.  Sonntag, Altstadt, Flohmarkt. Er ist wieder einsam, Ehepaare und verliebte Pärchen um ihn herum. Er sucht eine bestimmte Schallplatte von Neil Young, die man nur hier noch bekommt. Sie steht an einem Tisch gegenüber mit Allerweltskram, schaut auf und  ihre Augen treffen sich! Ein kurzes Lächeln, ein Nicken, dann widmet sie sich einem Kind, einem Jungen mit tiefschwarzen Haaren, der neben ihr steht und ihr (unbedingt) was zeigen will. Nicht einmal 600 Zehntelsekunden haben sie sich gesehen. Big Time!

Talkin' bout a friend of mine
Talkin' bout a gold mine
Richest vein in any mountain
Talkin' bout the enemy
Inside of me
Talkin' bout that youthful fountain
Talkin' bout you and me
Talkin' bout eternity
Talkin' bout the big time
I'm still living in the dream we had,
For me it's not over
(Neil Young)

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.07.18)
Der Songtext am Ende stört sehr, Rest gerne gelesen.
Marjanna (68)
(05.07.18)
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