Kleine Freuden (im Café am Corso)

Prosagedicht zum Thema Alltag

von  gitano

Kleine Freuden (im Café am Corso), Prosavers
(Corso = belebte Straße, Straßenring)

Das Jahrhunderthoch, inmitten der Stadt,
macht uns zu Pilgern. In Korbstühlen
lehnen bequem Halsknopfoffene mit breiten Ketten,
neben rückenfreien, mehrfachberingten
Chiffonsilhouetten.
Unausweichlich im Blick, bestens platziert
im Café am Corso.

Man haucht sich Küsschen ins Design, am Blick vorbei,
lang geübt und Make-up-ungefährlich, exposiert
für Gönner und Voyeure
die Kunst der Körpermodelleure.
Nur Neid ist da der wahre Lohn!
Zu goldenen Karten und Champagneretiketten
mischt sich leiser Hohn.

Hinter Blickschutzschilden mit Gravur
schweifen Männerblicke, gehen auf Tour,
zum Spaghettiträger
gegenüber an dem Blumenkleid. Hüften,
nicht zu fassen, heben sich dort an
für Momente nur,
bekommt ihr Leben eine andere Bahn.

Abseits sitzend, ein getarnter Leser.
Lugt so, en passant, zu süßen Leckereien in Förmchen
mischt sich mancher Wasser zum Café
und befeuchtet zart, mit Zunge und mit Lippen
Coronaformatzigarren, die er sonst nicht raucht
und lauscht
Geflüster und Geplapper, verzweigt
an kleinen runden Tischen, zu allem
was man sonst nicht braucht.

...und Kinder rufen auch, fast nebenbei...

versperren Ober kühl, heißbegehrte Blicke.
Zu Ritualen zwischen Drei und Fünf
trifft sich stets vertrautes Verlangen.
Stadtnachrichtenkreisen
ist auch heute nichts entgangen.

In Dick und Dünn verschwinden Torten,
offene Geheimnisse und Berge von Eis,
aus gloriosen Pokalen gelöffelt, geleckt
im Hitzeschweiß und hinterlassen Spuren.
Im Kommen und Gehen
von Glanz- und Schattengefühl
suchen und finden viele
hier
Alltagsasyl.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 tulpenrot (18.07.16)
Hallo gitano,
Durch die gekonnten Wortschöpfungen und bildstarken Vergleiche macht das Lesen dieses Textes Spaß.

Ein paar unwesentliche Anmerkungen:
Vielleicht könnte hin und wieder ein Komma fehlen oder eines gesetzt werden - aber das sind Kleinigkeiten.

Und des weiteren:
An folgender Stelle würde ich einen weiteren Bindestrich einfügen:
lang geübt und Make-up-ungefährlich, exposiert
und hier ein "t" gegen das "d" eintauschen wollen (es sei denn es, ist eine Wortneuschöpfung, die mich verwirrt hat)
Zu goldenen Karten und Champagneretiketten[/qote]
und hier könnte ich mir vorstellen, könnte man aus "leider" auch "leichter" machen:
mischt sich leichter Hohn
.
Diese Hinweise sind sehr spontan und schmälern nicht den Wert des Textes und ändern nichts am Lesevergnügen.
Gruß
tulpenrot

 gitano meinte dazu am 18.07.16:
Hallo tulpenrot,
danke fürs aufmerksame Lesen und deine Hinweise. Ich bin manchmal ein wenig nachlässig beim Übertragen der Texte in eine Datei. Ich habe auf Dein Anraten hin, ein paar Kommata gesetzt und zwei Sätze in mehrere Sätze umgewandelt.
Desweiteren:
letzte Zeile S2 heißt es normalerweise im Orginal "leiser Hohn"
und in der Zeile davor sind die Ediketten der Champagnerflaschen gemeint (meist ja auch golden verziert)
Den zusätzlichen Bindestrich in "Make-upungefährlich" (S2) hatte ich auch schon mal in Überlegung. ich habe ihn nun nach Deinen Hinweis dort nach "Up" eingefügt.

Diesen Text habe ich als "leichte Muse" geschrieben und es freutr mich, dass er Dir Vergnügen machte, denn dazu ist er gedacht.
Schöne Sommerwoche für Dich
gitano
(Antwort korrigiert am 18.07.2016)

 tulpenrot antwortete darauf am 18.07.16:
Hallo gitano,
noch mal ich.
Etiketten (auf jedweden Flaschen aufgeklebt) kenne ich, die können sonstwie bedruckt sein. Aber Ediketten sind mir fremd. Oder gibt es da etwas, was nur auf Champagnerflaschen vorkommt? (Ich trinke zu selten welchen, daher meine Unkenntnis).
Das mit dem "leichten" Hohn kam mir deswegen in den Sinn, weil es so ein wenig spöttelnd, vielleicht auch süffisant wäre. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein anderes Wort die Hintergründigkeit des Hohns noch stärker ausdrücken würde. Das "leider" wirkt so bedauernd.
Aber wie gesagt ....
Gruß
ich, tulpenrot
P.S. eben sehe ich, dass meine "Quotes" nicht so doll leserlich waren. Jetzt, nach Llu’s Hinweis ist ja auch das mit "Etiketten" besser....
(Antwort korrigiert am 18.07.2016)

 Lluviagata (18.07.16)
Ähnliches versuchte ich in meiner Alten Stadt festzuhalten. Nicht annähernd so fantasievoll wie du es hier tust.
Deine Caféhausbeobachtungen sind wunderbar bebildert; wie eigentlich immer bei dir finde ich wundersame Blickrichtungen [eines getarnten Lesers]. ;) Vielleicht änderst du noch die Etiketten und dann ist es perfekt.

Liebe Grüße
Llu ♥

 gitano schrieb daraufhin am 18.07.16:
Hallo Lluv,
Danke für Deinen aufmerksamen Blick. Bin zur Zeit wieder mal seit längerem zwei- bis dreisprachig unterwegs (spanisch, deutsch, caló > Übersetzungen) und da passieren mir dann immer wieder so kleine "Erinnerungsdefekte".
Dieser Text war im Entwurf eigentlich uralt. Ich kramte ihn kürzlich hervor, grübelte etwas....doch dann setzte ich mich in ein gleichnamiges (italienisches) Café in meiner Stadt ...und die Ideen und Formulierungen purzelten fast von selbst aufs Papier.
Vielleiicht bin ich ja doch ein "Caféterassenschreiber"...wer weiß.
Danke für Deinen Zuspruch , hab mich gefreut!
gitano
(Antwort korrigiert am 18.07.2016)
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram