Patienten einst und heute

Erörterung zum Thema Krankheit/ Heilung

von  loslosch

Stultorum incurata pudor malus ulcera celat (Horaz, 65 v. Chr. bis 8 v. Chr.; Epistulae). Das schädliche Schamgefühl der Dummen verschweigt unbehandelte wunde Stellen. Oder: Ein Tor, wer (beim Arzt) unbehandelte Leiden verheimlicht.

Der schlichte Spruch überzeugt zunächst. Dennoch irrt Ovid, gleich zweifach. Verschweigen von Leiden angesichts des damaligen Standes der Heilkunst muss nicht Ausfluss von Dummheit gewesen sein, eher von Angst vor der Anwendung medizinischer Brachialmethoden.

Krankheiten im Bereich von Zwangsstörung und Suchtverhalten gab es sicher schon in der hochentwickelten römischen Zivilisation, wobei die Neurosen wohl eher ein Schattendasein fristeten. Welcher weinselige Alkoholiker ging damals zum Medikus und klagte: Medice, nimis poto. (Herr Doktor, ich saufe zu viel.) So war das immer schon bei der Sucht, und so ist es, und so wird es bleiben. Ähnlich der Zwangsgestörte: Er füttert mit Fleiß den Ärztestand, findet und erfindet ständig Wehwehchen und Befindlichkeitsstörungen, verschweigt aber sein Kernleiden (Waschzwang, Sammelzwang, Kontrollzwang, Zählzwang und dergl.). Erfahrene Ärzte kommen diesem Patiententyp nach einiger Zeit auf die Schliche. Welcher Hausarzt hat den Mut, den privat Versicherten zu fragen: Haben Sie eventuell eine Neurose? Er würde eine Geldquelle verschütten.

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Sind Zwangsgestörte dumm? Nein, sie "hängen" an ihrem Leiden, empfinden es mehr als Lust denn als Last. Suchtkranke wie Alkoholiker gewinnen im fortgeschrittenen Stadium allerdings ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Krankheit. Kühle Rechner sind sie oft, Toren nur aus klassischer medizinischer Sicht.

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Kommentare zu diesem Text

Architektur (32)
(13.08.16)
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 Inlines meinte dazu am 13.08.16:
Diesem Kommentar stimme ich zu. Geht der Zwangskranke seinen Zwängen nicht nach, dann entstehen Ängste, so als ob es um Leben oder Tod ginge. Kann man als Normalo sich nicht vorstellen, ist aber so.

 loslosch antwortete darauf am 13.08.16:
es gibt so viele individualitäten bei den zwangsneurosen, dass man auch qual und genuss wie in einem vexierbild zusammensehen kann. ich bin zwar med. laie, verfüge aber (als beobachtender) über eine leidvolle erfahrung, die ich hier nicht en detail ausbreiten möchte.

 niemand schrieb daraufhin am 13.08.16:
@ Lo
Der Kommentar von El_Bocon ist gut, Lo. Natürlich gibt es auch unter Zwangsneurotikkern welche die, gleich einem Masochisten, sich daran weiden, aber das dürfte wohl eine Minderheit sein.
Ich kenne einige Zwangsneurotiker und ich habe einen sehr guten Bericht [auf Tatsachen beruhend] vor Zeiten gersehen und glaube mir, keiner davorn genoss diesen Zustand, sondern litt daran und wie. Zwangsneurosen sind ein Kreislauf, bei dem sich die bekannte Katze in den eigenen Schwanz beißt: Der Angst folgen Zwänge, den Zwängen [sofern sie nicht fortdauernd ausgeführt werden] folgt die Angst. Leute hängen z.B. auf der Wäscheleine nur gelbe Socken nebeneinander, verfängt sich eine blaue darunter, kommt Angst auf, bis hin zur Todesangst: Wenn ich es falsch mache, dann passiert ein Unfall etc. etc. etc. Das ist so garnicht luschtig für den Betreffenden.
LG Irene

 loslosch äußerte darauf am 13.08.16:
du magst ja recht haben. die scheinbare diskrepanz erklärt sich aus den schillernden nuancen der einzelfälle.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 13.08.16:
Kommt noch was über den Schreibzwang, oder muß ich, ja ich muß schreiben schreiben schreiben ...

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
nein, war schon. einem großen kv-dichter gewidmet.

 schreibwut.

 TrekanBelluvitsh (13.08.16)
Das angenommene Vertrauen(sverhältnis) zwischen Arzt und Patient muss dennoch erst entstehen. Das heißt natürlich nicht, das Schweigen auch Dummheit sein kann, doch sie ist oft eher Selbstschutz.

Wenn dann von verantwortungslosen Politikern (Ah, Thomas de Maizière, der Mann mit der wunderbaren Aura eines Lawrenti Beria, nur ohne dessen Charme) jenes Vertrauen auf dem Altar der Wahltaktik geopfert werden soll, dann bedarf es mit Sicherheit einer anderen Union.

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
thomas war ja noch zurückhaltend, will nicht an der doppelten staatsbürgerschaft rütteln ...

über berija habe ich heute was neues erfahren. nein, über väterchen stalin. der soll gesagt haben, berija sei "unser himmler".

 JohndeGraph (13.08.16)
Das ist sicher ein Problem mit den Zwangsstörungen. Mir fiel allerding zuerst die Scham über andere Krankheiten ein, wie Geschlechtskrankheiten, oder die klassischen Hämoriden zum Beispiel. Auch da trauen sich die Pazienten wohl oft nicht zu sagen, was noch mit ihnen los ist. Zum Arzt gegangen sind sie dann wegen einem Schnupfen und trauen sich nicht zu sagen, was sie eigentlich gerne würden. Das Vertrauensverhältnis könnte da Abhilfe schaffen, nur wenn der Arzt für jeden Pazienten nur wenige Minuten Zeit hat, wie soll sich das da aufbauen?
Diese Zwangsstörungen und Suchtprobleme wollen ja aber verheimlicht werden. Das liegt in der Natur der Sache. Sehen solche Pazienten ein, dass sie ein Problem haben, ist das der erste Schritt zur Heilung. Den Gedanken von allein zu finden und wirklich umzusetzen ist sehr schwer vermute ich. Grüße J.d.G.

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
... Sehen solche Pazienten ein, dass sie ein Problem haben, ist das der erste Schritt zur Heilung ...

ja. ein experte i. s. alkoholmissbrauch schrieb mal, säufer müssten erst unter der seinebrücke geschlafen haben, bevor sie diesen schritt zur heilung tun.

anekdote: ein versoffenes loch an weiberfastnach im dienst. ich griff ihn mir unter 4 augen: herr ollhoff, rufen Sie die abteilung Z an und beantragen Sie eine kur. ollhoff: hab ich versucht. die genehmigen nix.

am nächsten tag erreichte ich Z: herr ollhoff sollte dringend ... aber Sie verwehren ihm das. die dame bei Z: stimmt nicht. er hat heute früh die kur angetreten!

man sieht: der hatte bammel vor der entziehungskur.

 Inlines (13.08.16)
Hallo loslosch,

der letzte und vorletzte Absatz zeugt von einiger Unwissenheit, da Zwangserkrankungen im Normalfall nichts mit "Lust" oder Wollen zu tun haben. Die meisten Leute erleben ihre Zwänge als Qual, als unabwendbaren Drang, Dinge zu tun, die sie selbst als verrückt oder sinnlos betrachten. Sie kontrollieren stundenlang Dinge, und sind nicht in der Lage zu entscheiden, ob ein Fenster nun wirklich zu, oder doch noch auf ist. Diesen in ihren Zwängen gefangenen Menschen eine "Lust" zu unterstellen ist schon ein starkes Stück.

Nur im Falle einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sieht dies anders aus. Hier gibt es Entsprechungen die eher zu einigen der geanannten Beschreibung passen. Dieser Personenkreis findet seine Handlungen sinnvoll und prahlt wohl auch ab und zu damit.

FG El B.

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
jaja, der normalfall ...

am schluss kriegst du dann doch noch die kurve.

 Inlines meinte dazu am 13.08.16:
Die Diskrepanz ist, dass in deinem Fall keine entsprechende Unterscheidung vorgenommen wird. Und der Unterschied zwischen einer Zwangsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeit ist nunmal ziemlich groß. Das sind gewaltige Unterschiede die du hier in einen Topf wirfst.

Daß es Menschen gibt, die übertreiben und sich an ihren Diagnosen laben - das mag sein, jedoch findet sich das bestimmt bei so ziemlich jedem Krankheitsbild. Aus einem Einzelfall, so prägnant dieser auch für dich sein mag, sollte man nicht auf den großen Rest schließen.

Dass Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, für die Mitmenschen anstrengend sind, das glaube ich dir gerne - insbesondere dann wenn diese in die Rituale mit einbezogen werden. Jedoch geschieht dies nicht aus Boshaftigkeit, sondern eher aus Verzweiflung herraus. Da muß man dem Zwangserkrankten dann klare Grenzen setzen.

FG

 Fuchsiberlin (13.08.16)
Sind Zwangsgestörte dumm? Nein, sie "hängen" an ihrem Leiden, empfinden es mehr als Lust denn als Last.


Woher auch immer Du dieses "Wissen" hast, es stimmt nicht. Ich kenne seit ca. 20 Jahren einen Menschen mit einem Wasch- und Kontrollzwang. Informierte mich auch über diese Erkrankung. Es ist für Betroffene eine große Last, eine Qual, ein Kampf, und dies tagtäglich. Eine psychiatrische Erkrankung, die wenn sie zu spät behandelt wird, sehr schwer zu behandeln ist, insbesondere dann, wenn Zwänge sich über einen sehr langen Zeitraum festigten. Dennoch sind auch hier durch jahrelange Verhaltens-Gesprächstherapien Verbesserungen möglich. Heilung dagegen nicht immer. Es ist zu unterscheiden zwischen kleineren Zwängen und schon einer ernsthaften Zwangserkrankung (Waschzwang, Zählzwang, Kontrollzwang etc.) Erlebe ein oder zwei Tage einen Menschen mit einem Wasch- oder Kontrollzwang, dann würde Dein Text anders geschrieben sein.
(Kommentar korrigiert am 13.08.2016)

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
einen menschen kennen oder mit ihm zusammengelebt haben - ein himmelweiter unterschied.

du verstehst hoffentlich, was ich meine.

 Fuchsiberlin meinte dazu am 13.08.16:
Ich habe mit diesem Menschen zusammengelebt. Mehr brauche ich dazu wohl nicht zu sagen.

 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
da siehst du mal, wie unterschiedlich die einzelnen fälle gelagert sind - anders als beim schnöden blinddarm.
Graeculus (69)
(13.08.16)
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 loslosch meinte dazu am 13.08.16:
kein ekel. das gehört zum berufsethos des arztes.

prof. med. bei der prüfung: das hier ist die ekelhafteste brühe (zählt auf ...) ich tauche jetzt den finger ein und lecke ihn ab. dann bitte ich alle, es mir gleichzutun. - so geschehen.

meine damen und herren, Sie haben die eine hälfte der prüfung bestanden. Sie haben keinen ekel gezeigt, aber Ihre beobachtungsgabe ist unzureichend. sonst hätten Sie bemerkt, dass ich den mittelfinger eingetaucht und den zeigefinger abgeleckt habe.
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