Begegnung mit Linda

Satire zum Thema Absurdes

von  Reliwette

"Ob Mode schön macht, liegt im Auge des Betrachters"


Inzwischen war viel Wasser die Leda herunter geflossen. Die lieben Piraten waren ohne ihren "Mann" im Ausguck davon gesegelt. Sie hatten die Suche einfach aufgegeben.
Da Ibrahim, der 1. Kanonier der Cara Mia, nichts zu schießen hatte, wurde er in den  Mastkorb versetzt. Derartige Entscheidungen vollzogen sich bei Käpten Hornblewer (mit "e") ganz schnell. Der Pirat bekam seine rostigsten Kanonenkugeln mit in den Korb, so dass er sie nebenbei putzen musste. Sein Glasauge hatte er in die Hosentasche gesteckt, denn beim Ausschau durch das messingfarbene Fernrohr half es ihm ohnehin nicht.
Jedenfalls war die Piratenmannschaft auf und davon. Amos war wieder einmal auf sich gestellt und hatte außer Opa Hermann, den alten Bergmann, niemanden, der sich um ihn kümmerte.
Doch halt! Da gab es ja noch Linda, seine geliebte Schafsdame, an die er sein kleines Schafsherz vor zwei langen Jahren verloren hatte. Aber  so viel er die ostfriesische Landschaft auf der Suche nach ihr durchstreifte, bisher war seine Suche erfolglos verlaufen.
Auf dem Rücken trug das Piratenschaf den kleinen Rucksack, den ihm der Wollene Erich geliehen hatte. Im Rucksack selbst befand sich der Troyer-Pullover,  ein Abschiedsgeschenk des Schäfers für Linda .
Etwas seltsam ist es schon, wenn man ein Schaf schert, aus seiner Wolle einen Troyer herstellt und  diesen einem geschorenen Schaf  überzieht. Im Grunde ist das ein Paradoxum. Amos wusste nicht, was ein Paradoxum ist, aber das Wort klingt gut, deshalb wird es hier erwähnt. Geschenk hin, Paradoxum her, Amos hatte eines für Linda. Nun musste er sie nur noch finden.

Und wieder ging es an Deichen entlang, an saftigen Weideflächen vorbei. Das ging nun schon seit Tagen so. Zu essen gab es ja unterwegs in Hülle und Fülle. Gras war überall, sogar an den Gräben rechts und links der Straßen und Wege.
Der Kompass, den ihm Opa Hermann mitgegeben hatte, schien kaputt zu sein, denn er zeigte immer in die selbe Richtung. Auf der Cara Mia war das anders. Der große Kompass war ein Kreiselkompass.
In der Ferne war eine neue Schafherde zu sehen, es war die vierte in dieser Woche, der das Piratenschaf begegnet war. Doch dieses Mal weidete die Herde  nicht auf einem Deich, sondern inmitten  einer riesigen Weide, durch die ein Bach verlief. Beim Näherkommen bemerkte Amos auch zwei Hunde, die sich in der Nähe der Tiere aufhielten und darüber wachten, dass sich keines von ihnen zu weit von der Herde entfernte.
„Mit den Hunden komme ich schon klar", dachte Amos, „Hauptsache ist, nicht wieder mit einem Leithammel an einander zu geraten, der ein Losungswort  einfordert".

Als der Ankömmling die Weide betrat, kam auch schon einer der beiden Hunde angerannt und wollte ihn zur Herde scheuchen. „He he", rief das Piratenschaf, „nun mal langsam, ich bin schon den ganzen Tag auf den Beinen!"
"Nanu", hechelte der Wachhund," du kannst ja sprechen?". "Logisch, ich kann vier Sprachen", kam die Antwort, „vier Sprachen und drei Dialekte!" Der Hund staunte und war sichtlich beeindruckt. "Hast Du das Abitur?", fragte er. "Nee, das nicht, aber das kleine Latrinum! Wo ich hin mache, da wächst kein Gras mehr!
Amos stellte sich vor: „Piratenschaf Amos!"
"Ach so!"
„Übrigens, ich suche Linda, meine Freundin, ist sie hier bei Euch?"
„Ich kümmere mich nicht um Einzelheiten", gab der Hund zurück, "Hauptsache die Menge stimmt!"
"Und der Leithammel", wollte Amos jetzt wissen, "wo kann ich den finden?" „Ach der“, antwortete der Hund, „der ist eine Pfeife und hat hier nichts zu melden! Ich bring Dich hin! Der Boss wird erstaunt sein, wenn heute ein Bewohner mehr ist als gestern".
"Verstehe, mit Boss meinst du dein Herrchen?".
"Wen denn sonst? Aber es reicht, wenn Du mit dem Hammel redest“.
Es stellte sich heraus, dass der Leithammel ein mürrischer Zeitgenosse war, der seinen Dienst nur widerwillig wahrnahm. Sein Hauptbetätigungsmerkmal bestand aus  Essen und das sekundäre aus Ausscheiden. Er konnte die größten Köttel der Herde produzieren. Das erfüllte ihn mit Stolz, gepaart mit Langeweile.
"Es hat sich bereits herum gesprochen", begann der Leithammel das Gespräch, nachdem der Hund den Neuankömmling bei ihm avisiert hatte," dass Du ein Mitglied meiner Herde  besuchen möchtest!" „Dann ist Linda also bei Euch?"
"Schau mal da im hinteren Teil der Herde nach, da tummelt sich eine Frauenclique, so ein harter „Emanzenkern“. Wenn du Glück hast, kommst Du mit einem blauen Auge und zerrissener Wolle davon!" Damit war das Zugangsgespräch beendet. Der Leithammel köttelte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und verzog sich ins Gewühl der Herde.

Amos versuchte, sich Mut zuzupfeifen. Es gelang ihm nicht wegen seiner Spaltlippe, aber er stapfte mutig in die angewiesene Richtung. Weit kam er nicht, denn er wurde sofort von schrill aufgetakelten Schafen umringt. Das mussten die Emanzen sein!
„Seid ihr die Emanzen?", wollte Amos gerade sagen, da wurde er schon geschubst und  gekniffen.
„Lindaaaaaa!", schrie Amos in höchster Unannehmlichkeit und noch einmal: „Lindaaa!"
Das Schafspulk löste sich von ihm und gab den Weg frei. Und da kam sie, Linda wie sie Amos in Erinnerung hatte, nur noch schöner und anmutiger.
„Amos, mein geliebter Pirat", rief sie mit weicher Stimme und vergoss ein paar Freudentränchen, wie habe ich Dich vermisst!".
Und dann stellte es sich heraus, dass die angeblichen Emanzen gar keine waren. Sie wollten sich einfach die aufdringlichen Böcke vom Leibe halten.
Nach der stürmischen Begrüßung und den  üblichen Treueschwüren baten die Damen das Piratenschaf zu Tisch. Zur Vorspeise gab es Gras, der Hauptgang bestand aus  Gras und zum Nachtisch gab es ... richtig!
„Ich habe Dir, liebe Linda, ein Geschenk  mitgebracht".  Mit diesen Worten öffnete Amos seinen Rucksack und brachte den schneeweißen Troyer zum Vorschein.
„O wie schön", kreischte Linda verzückt und gab Amos einen  Kuss mitten auf die Nase, „der ist wundervoll, ich muss ihn sofort anziehen!"
Linda steckte ihre wunderschönen Vorderläufe in die Ärmel des Troyers, und Amos war ihr beim Hochziehen des Rückenteiles behilflich. „Er passt, er passt", rief sie, „er passt wie angegossen! Wo ist ein Spiegel, ich muss mich sofort  betrachten." Amos führte sie  zum Bachlauf. "Schau nur“, säuselte er, „schau nur auf dein Spiegelbild!". Linda spreizte ihre Vorderläufe etwas, um  ihr Äußeres in Augenschein zu nehmen. Sie vollzog  unnatürliche Bewegungsabläufe und wäre beinahe ins Wasser geplumpst. So schaute sie auch durch ihre Beine, um sich von unten zu betrachten, wo der Reißverschluss am Troyer angebracht ist. Es sah alles etwas grotesk aus, aber Mode ist eben Mode.

Amos verkniff sich ein Lachen. Er durfte unter keinen Umständen jetzt lachen: „Es ist Größe 38",  rief er,  „du siehst umwerfend darin aus“! Er wusste, dass der Troyer kein Größenschild mehr hatte. Opa Hermann hatte es entfernt. Kein ausgewachsenes Schaf passt in einen Troyer mit der Konfektionsgröße 38.

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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (29.09.16)
bislang war mir der TROYER unbekannt / weshalb ich deinen beirag lehrreich fand! beste grüße vom harzgebirgler
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