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Novelle zum Thema Weihnachten

von  Skala

Kowalski rannte und rannte – etwa zweihundert Meter, treppab, durch eine hellerleuchtete Halle, nach draußen in den Regen, dann blieb er mit brennenden Lungen stehen, keuchte, stemmte die Hände auf seine Oberschenkel, schaute sich um – und stutzte. Er stand in der Nähe des Hauptbahnhofes ... hatte der Zug etwa gar nicht den Bahnhof verlassen? Kowalski schüttelte fassungslos den Kopf. „Das gibt es doch gar nicht“, murmelte er und rieb sich die Augen. Er hatte gesehen, wie die Lichter des Bahnhofes verschwanden, er hatte das Ruckeln des Zuges gespürt, das Kreischen der Bremsen gehört – konnte eine Regionalbahn im Kreis fahren?

Ratlos suchte Kowalski unter dem Vordach einer Würstchenbude Schutz vor dem beständigen, kalten Nieselregen. Aus einem altmodischen Radio tönte Wham!s „Last Christmas“ und der Würstchenverkäufer beäugte ihn skeptisch, als Kowalski sein Smartphone aus der Manteltasche zog, um sich ein Taxi zu rufen. „Kein Netz, Überraschung“, grummelte Kowalski und starrte frustriert auf die leeren Empfangsbalken. Er steckte das nutzlose Gerät wieder ein und drehte sich zu dem Würstchenverkäufer um. „Einmal Pommes Schranke, bitte“, bestellte er. Der Würstchenverkäufer zog die Augenbrauen hoch, musterte Kowalski misstrauisch, griff aber zur Fritteuse. „Wie Sie wünschen“, sagte er.

Kowalski legte die Hände auf die Ablage vor der Glasscheibe, hinter der Bratwürstchen und Frikadellen vor sich hin brutzelten, und beobachtete den Würstchenmann dabei, wie er Pommes Frites in eine Pappschale füllte und sie ohne Weiteres auf die Theke vor seine Nase stellte. „Ketchup und Mayo stehen da vorne, das macht dann ...“
Kowalski legte einen Fünfer auf die Glastheke und schnitt dem Würstchenverkäufer mit einem „Stimmt so, wünsche frohe Adventstage“, das Wort ab. Verdutzt griff der Würstchenmann nach der Banknote. „Sagen Sie mal – wollen Sie mich verarschen?“
Kowalski starrte ihn ratlos an. „Wie bitte?“
„Ob Sie mich verarschen wollen, hab ich gefragt! Geld her, oder Fritten zurück! Frohe Adventstage, ich glaub ja wohl, es hackt!“

„Aber ...“ Kowalski schaute auf den Fünfer, auf seine Brieftasche, auf die Portion Pommes, und wusste nicht, was er erwidern sollte. Der Würstchenverkäufer verdrehte die Augen, griff nach der Schale und begann, die Pommes in Alufolie einzuwickeln.
„Schon verstanden. Machen Sie, dass Sie hier wegkommen!“
Kowalski konnte nicht anders, als zu gehorchen, und trat langsam zurück in den Nieselregen. Während George Michael seine letzten, schluchzenden Töne sang, meinte er, den Würstchenverkäufer leise „Verdammte Ausländer!“, murmeln zu hören. Kowalski blinzelte, versuchte, das Knurren seines Magens zu ignorieren und machte sich, da er nicht wusste, welchen Weg er sonst einschlagen sollte, ratlos auf den Weg zurück ins Büro.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (05.12.16)
Weihnachten ist das Außerordentliche. Verhält man sich außerordentlich, stößt man auf Unverständnis. Es ist schwierig, Weihnachten richtig zu feiern.
LG
Ekki
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