Heimat

Glosse zum Thema Aktuelles

von  Reliwette

"Nicht alles Konservative müffel,t und nicht alles Moderne ist gut"



Während sich auf der Cara Mia die Piraten mit Mau-Mau-Spielen die Langeweile vertrieben oder auf ihren Holzbeinen zum Spiel der Fidel auf den Planken herum hüpften - nicht ahnend, dass sie in der Sylvesternacht durch einen unglücklichen Umstand aus dem Leeraner Hafenbecken ins offene Meer geschleudert werden, bereitete sich Opa Hermann mit Amos und Linda auf die bevorstehende Sylvesternacht vor.
Es gab eine Überraschung: Kumpel Jupp hatte sich gegen 20 Uhr in der Kate von Opa Hermann eingefunden:  "So alleine möchte ich das alte Jahr nicht verlassen", hatte er zur Begrüßung gesagt.
Also saßen die beiden alten Herren bei einer Feuerzangenbowle am Küchentisch und erzählten sich alte Erinnerungen an ihre Heimat im Kohlenpott, an die Abende im Schrebergarten in Oberhausen, wo der schwärzeste Blumenkohl des Reviers gezüchtet wurde, an die Grubenfahrten auf Prosper II, an den Steiger Otto, der die neuesten Witze erzählen konnte.
Dann hieß es:"Kennst du noch?" und "weißt du noch?"
Das Piratenschaf hatte es sich mit Linda unter dem Küchentisch bequem gemacht und lauschten den Erzählungen der beiden Freunde. Jeder von ihnen hatte zur Feier des Tages eine Flasche Kakao bekommen, an der sie gemüsslich nuckelten.

Gerade sagte Opa Hermann:"Als ich 1981 nach Ostfriesland kam, war hier alles noch ganz anders. Das Dorf war noch nicht so eng bebaut wie heute. Man konnte hinter dem Haus noch fast bis an den Horizont sehen. Abends fiel die Sonne buchstäblich in die Wiese. Ein roter großer Feuerteller zerfloss in den glutroten Abendwolken am Horizont. Wenn ich an den Wochenenden aus dem Ruhrgebiet angereist kam, nahm ich zu allererst die Vorderladerpistole und gab einen donnernden Schuß in die Luft ab. Dann kam mein Nachbar angerannt und fragte, ob ein Reifen geplatzt sei. Es war sozusagen der Auftakt zu einem feuchtfröhlichen Nachbarschaftstreffen."

"Kenn ich auch so ähnlich", sagte jetzt der Jupp." Ich habe abends das Schifferklavier aus der Stube geholt. Wir saßen dann mit vielen Nachbarn um mehrere Tische herum und sangen Volkslieder. Wir haben auch Blätter verteilt mit den Texten. Das ging bis spät in die Nacht.
Dann kam die Zeit der Fernseher. Plötzlich mussten alle um 20 Uhr zur Tagesschau vor ihre Flimmerkisten, die damals  nur schwarz-weiße Bilder lieferten."

"Heute wird mir alles fremder", seufte Opa Hermann, "schnelllebig und fremd!  Allein die Bauweise der Häuser, deren Architektur und die Gartengestaltung macht mir alles fremd.
Die Urlaube der Menschen in Spanien erwecken neue Bedürfnisse. Sie lassen sich hazienda-ähnliche Gebäude entwerfen, die mit hellem Klinker verblendet werden und blaue Dachbedeckungen haben. An ihren Grundstücksgrenzen errichten sie sogenannte "Gambione".
Das sind rechteckige Drahtkäfige, die mit Steinen befüllt werden. Als Baumbewachsung suchen sie sich Zypressen und Koniferen aus, manche wählen Bosaibäume, die in Kugelform zugeschnitten werden. Die Garagen für ihre SUV`s sind zum Teil so groß, dass eine kleinere Familie darin wohnen könnte. Für Linda und Amos würde es alle Male reichen!"

"Heimat, das sind doch nur Erinnerungen an früher!" meinte jetzt wieder Jupp. "Erinnerungen an die Örtlichkeiten sind doch immer verbunden mit Ereignissen, die damit in Zusammenhang stehen. Selbst wenn du jetzt sofort an einen Ort deiner Erinnerung versetzt würdest, also 50 Jahre zurück oder länger, es würden die Menschen fehlen, mit denen du Erlebtes verbindest.
Wenn es diese Situationen nicht mehr gibt, ist auch ein Stück Heimat weg.

Heimat existiert nur in deiner Erinnerung und ist mit Erlebtem verbunden. Das aber kann man nicht mehr wiederholen", fasste Jupp noch einmal zusammen."

"Ist wohl auch viel Jugendzeit den Bach runter, wir haben doch als junge Menschen anders gefühlt, anders erlebt", ergänzte Opa Hermann. Wir haben doch damals nichts abgewogen!
Wenn wir in den Bäumen "fangen" gespielt haben,  sind uns doch keine Bedenken gekommen, ob der Ast halten würde, zu dem wir hinüber schwangen. Wenn er brach, haben wir uns den Arm gebrochen. Das tat zwar weh, aber nach 6 Wochen sind wir wieder in die Bäume geklettert.
Seit 40 Jahren sah ich keinen Jungen mehr in einem Baum! Die rennen heute mit einem Smartphone rum, sobald sie es halten  und laufen können!"

"Die Mädchen bekamen plötzlich diese "Barbie-Puppen" samt Reitpferd und Wohnanhänger und einen Freund, der hieß Ken"

"Und die Jungen fingen wieder an mit Panzern zu spielen. Der Krieg war gerade 20 Jahre vorbei!"
Jupp und Opa Hermann wechselten sich jetzt ab, moderne "Grässlichkeiten" aufzuzählen, die ihrer Meinung nach die Apokalypse des Abendlandes einläuteten.

"Du kannst auch abends nach 20 Uhr nicht mehr so ohne weiteres die Haustür aufsperren, wenn es an der Haustür klingelt. Die Verrohung in weiten Schichten der Bevölkerung nimmt zu!"
"Heutzutage wird auf Menschen eingetreten, die bereits am Boden liegen und sich nicht mehr wehren können."
"Das kommt von den "Kung-Fu-Filmen", wusste jetzt wieder Jupp! "Hast du mal gesehen, was die im Film alles wegstecken können? Selbst wenn die gevierteilt werden, wachsen die wieder zusammen und kämpfen weiter! Da muss schon eine Kettensäge her, um ein "finish" zu erreichen!"

"Grässlich, grässlich!"

"Und hast du mal gesehen, wenn sich manche  "Weiber" die Lippen aufspritzen oder sich "Gumminuppen" unter die Haut schieben lassen? So groß wie kleine Kürbisse! Erzähle mir mal, was daran erotisch sein soll?"

"Weiß ich, weiß ich, die sind fremdgesteuert" Die haben einen Empfangssender im Kopf, und jemand steuert die aus der Ferne!"

"Muss die Gumminuppenfabrik sein, anders kann ich mir das nicht erklären!"

Mittlerweile war es Mitternacht geworden. "Komm mit raus", empfahl Jupp,"die Knallerei geht los. Ich habe noch ein paar Handgranaten dabei aus dem Zweiten Weltkrieg,  die können wir jetzt entsorgen!"

"Waaaaas?"

Neee, war ein Scherz! Prost! Auf die alte Heimat!"

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (01.01.17)
Ein hiesiger kV-Dauerbrenner, lieber Reliwette, ist die falsche Schreibweise des letzten Tags des Jahres. Korrekt lautet er Silvester. Schönes, neues Jahr!
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