Die Katze im heißen Sand II

Text zum Thema Fiktion

von  Ana Riba

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Meine Post hole ich immer freitags aus der Poststelle unten am Hafen ab. Für gewöhnlich ist immer eine große Sendung mit Büchern dabei, die ich im Laufe der Woche bestellt habe. Manchmal habe ich schreckliche Angst, dass mir der Lesestoff ausgehen könnte. Ich halte mich an meine eigenen Vorgaben, das Internet oder mein Telefon nur in absoluten Notfällen zu nutzen. Und ein leerer Bücherschrank ist ein absoluter Notfall. Die Dame hinter dem Schalter sieht mich jedes Mal ziemlich pikiert an, wenn ich meine Post hole. Ich glaube, ich bin die Einzige hier im Ort, die ihre Sendungen postlagernd schickt, und somit hat die Dame einiges zu tun. Mittlerweile kenne ich auch ihren Namen.  Mme Sylvie Legrand.  Mit meinen miserablen Sprachkenntnissen trieb ich Madame für gewöhnlich in den Wahnsinn und es gab Momente, in denen sie arg an ihrer Höflichkeit arbeiten musste. Jedenfalls sprach ihr Gesichtsausdruck meist Bände, wenn sie mich sah.
Der Rote hingegen freute sich auf diesen für ihn so wichtigen Termin. Als Kater fuhr er erstaunlich gerne mit dem Auto. Während der Fahrt stand er auf dem Beifahrersitz, sah zum Fenster hinaus. Mussten wir an Ampeln halten, setzte er sich auf meinen Schoss und legte die Vorderläufe auf das Lenkrad. Wollten wir dann abbiegen, sah es so aus, als würde er das Lenkrad selbstständig drehen.  Wie viele Fußgänger bei unserem Anblick verwundert stehen blieben und sich die Augen rieben, kann ich nicht mehr zählen.
Doch sobald ich vor der Post anhielt, den Motor ausstellte, setzte er sich wieder auf den Beifahrersitz und sah mich mit einem Blick an, als wenn er sagen wollte, dass ich die Pakete alleine schleppen durfte. Er schickte dann noch ein energisches Miau hinterher, weil er wohl endlich seine Kartons haben wollte.
Nachdem ich nach der Sache mit meinem Vater und dem Los wieder einen klaren Kopf hatte, suchte ich mir einen Anwalt und Notar. Ich fand einen in meiner damaligen Nachbarschaft. Ich beauftragte Hector Sands für zwei Aufgaben. Er sollte alle meine finanziellen Angelegenheiten regeln, so wie mir die Leute vom Hals, die meinten, ein Anrecht auf ein Stück vom Kuchen meines Vaters zu haben. Die Leiche meines Vaters war noch nicht kalt und unter der Erde, da tauchten bereits Verwandte auf, von denen ich nie etwas gehört hatte. Die aber eine Penetranz an den Tag legten, die ihresgleichen suchte. Hätte ich zu der Zeit noch Unterstützung durch meinen damaligen Freund bekommen, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, dieser Penetranz mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch entgegen zu treten. Hatte ich aber nicht. Deshalb war Hector meine erste Wahl. Als Anwalt schien er nicht besonders wählerisch zu sein, was seine Klientel anging. In seinem Büro gaben sich Nutten und Drogendealer die Klinke in die Hand. Er sollte mich nur vor den Aasgeiern abschirmen. Und ich glaubte zu wissen, dass er das mit seinen bisherigen gerichtlichen Angelegenheiten durchaus konnte. Hector war nicht begeistert, dass ich ins Ausland gehen wollte. «So kann ich Dich nicht erreichen», nölte er stundenlang, aber ich ließ mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. So biss er zwangsweise in den sauren Apfel und schickte mir mal eine Mail, meist aber kleinere Umschläge mit Infos zu Dingen, die unbedingt erledigt werden sollten. Mir waren die Pakete mit den Büchern lieber, aber ich konnte mich nicht ganz von dem verabschieden, was mir die Möglichkeit gab, unterzutauchen. Mein Erbe. Zum anderen sollte er sich um meinen Papierkram kümmern und jene Unterlagen, von der er der Meinung war, dass sie meiner Aufmerksamkeit bedurften, schickte er mir in wattierten Umschlägen zu.
Dem Roten war es egal. Er mochte nicht nur die Kartons. Er fand auch Hectors Umschläge äußerst spannend. Natürlich jeweils erst, nachdem ich beide gelehrt hatte. Dann tobte mein Mitbewohner wie von der Tarantel gestochen durch den Raum; schubste den Karton über die Holzdielen, sprang hinein, versteckte sich und sprang wieder hinaus. Manchmal biss er in die Umschläge, schleppte sie wie kleine Kitten, warf sie in die Kartons oder Schachteln, und fand das alles ganz spannend. Wer brauchte schon einen Fernseher, wenn er ein solches Abendprogramm geboten bekam?
Dass er sich von mir nur selten anfassen ließ – meist, wenn ich ihn von irgendetwas für Katzen Gefährlichem wegholen musste – machte mir ein wenig zu schaffen. Ich entwickelte eine Sehnsucht nach diesem roten Vieh, die ich von mir nicht kannte. Ich wünschte mir, dass er zu mir kam und mich so sehr brauchte, wie ich ihn. Er war zwar immer in meiner Nähe, beobachtete mich, bettelte mich um Futter und Leckerchen an; doch das war nicht das, was ich von einer Mensch-Katze-Beziehung erwartete. Ich wollte ihn streicheln, verwöhnen und mich in meinem zeitweise aufkommenden Kummer in ihm verlieren. Wollte meine Nase in sein Fell stecken, wollte, dass er sein Köpfchen an meiner Hand rieb.
Aber dieses kleine rote männliche Luder ließ nichts dergleichen zu. Ich musste also eine schwere Lektion lernen: Er war der Boss und er bestimmte, ab wann er mir zugeneigt war. Deshalb beschloss ich, einfach die Momente zu genießen, in denen er – meist so einen halben Meter entfernt – bei mir war und mir zusah. Ich war nun beinahe achtundzwanzig Jahre alt und schon auf dem besten Wege eine „Cat-Lady“ zu werden. Eine verdammte „Strange Cat-Lady“. Ich redete mit ihm, unterhielt mich mit ihm und wartete auf seine Reaktion. Unglaublich, aber wahr: Ich bekam sie. Ob sie mir in den Kram passte? Manchmal. Meist entlockte sie mir ein wissendes Schmunzeln. Ich war auf dem besten Wege irre zu werden und ich hatte verdammten Spaß daran.
An diesem Freitag lag auf den ganzen Briefen, zu denen ich meine Kommentare abgeben sollte, noch eine persönliche Nachricht von Hector obenauf. Ich solle endlich meinen verdammten Arsch hochbekommen, mir ein vernünftiges Nachrichtensystem anschaffen und um Gottes Willen erreichbar sein. Mir rutschte das Herz in die Hose und das spürte sogar mein roter Mitbewohner. Mitten in seiner Rutschpartie über das Parkett hielt er inne, sah mich fragend an. «Die Welt will mich», sagte ich leise und er schnaubte verächtlich. Roter setzte sich hin, beobachtete mich, während ich die Briefe durchging, die mir Hector schickte. Als ich aufstand, um mein Telefon zu holen, folgte er mir mit seinem Blick. Ich weiß, dass ich es mir nur einbildete, aber mein schnurrender Mitbewohner wirkte besorgt.
«Meine Güte», sagte Hector, «endlich. Du bist schwerer zu erreichen, als der Papst.» Ich grinste schräg und war froh, dass er es nicht sehen konnte. «Was macht das Geschäft», fragte ich ihn stattdessen und er grunzte. «Meine einzige Klientin ist sturer als ein Bock», antwortete er, »noch Fragen?» Innerlich schüttelte ich den Kopf. Natürlich hatte ich keine Fragen. Ich wollte nicht fragen, denn sonst hätte ich mich mit dem Mist dort draußen beschäftigen müssen.
«Was kann ich für Dich tun?», fragte ich stattdessen, in der Hoffnung, dass er nicht auf sein Schreiben einging. Aber hey, wenn jemand in diesem Augenblick noch falscher liegen konnte, als ich, dann sollte der sich melden.
«Du bekommst Besuch», sagte er und ich stöhnte innerlich auf.
«Muss das sein?»
«Ja», gab er knapp zur Antwort und machte eine bedeutungsschwere Pause.
«Hector?», hakte ich nach. Ich hörte sein seufzen, dann räusperte er sich.
«Ich hab’ hier einen Aspiranten auf Dein Erbe, bei dem es nicht so leicht ist, ihn mit einer Verleumdungsklage vom Tisch zu wischen.»
«Ich habe keine Verwandten mehr», sagte ich bestimmt und mit dem Unterton der Gewissheit. Es gab nur mich. Mein Vater hatte keine Geschwister, meine Mutter, die starb, als ich klein war, ebenso wenig, und ich hatte ebenfalls keine Blutsverwandten mehr. «Was macht Dich so sicher?»
Eine Pause entstand, in der ich Gelegenheit hatte, den Roten zu betrachten. Ein klein wenig beneidete ich ihn. Seine größte Freude waren Pappkartons. An Einfachheit nicht zu übertreffen. Roter brauchte nicht viel: Einen vollen Napf, einen bequemen Schlafplatz, jemanden – also mich, der sich um ihn sorgte. Denn trotz seiner Weigerung, sich von mir anfassen, gar streicheln zu lassen, glaubte ich, nein, war ich der festen Überzeugung, dass er sich bei mir wohl fühlte.
Mein Blick ging vom Roten hinüber zum Erkerfenster. Ein Schatten ließ mich innehalten. Auch, dass Hector für dieses Gespräch so lange Pausen einlegte. «Wer ist das», fragte ich, obwohl ich die Antwort nicht hören wollte und weil ich sie obendrein eh kannte. Es war jemand, der sich an meiner Trauer und dem dazugehörigen Reichtum, laben wollte. Dieser Jemand hatte die Zeitungsberichte gelesen und glaubte, ich wäre ein leichtes Opfer. Hector wusste das. Ich wusste das. Und trotzdem versuchten es immer wieder Leute.  Ungerechtfertigter Weise, wohlgemerkt. Irgendwann kamen wir auf die Idee, eine Probe mit Genmaterial bei einem Institut zu hinterlegen. Es ermöglichte mir, in Deckung zu bleiben, und Hector, etwaige Aspiranten von vornherein zu eliminieren. Dass er dieses Mal besorgt klang, machte mich nervös. «Ich habe Dir jemanden geschickt. Er ist absolut vertrauenswürdig …» Ich verdrehte die Augen. Wer hier vertrauenswürdig war, entschied immer noch ich. Ich verließ mich da auf tierische Hilfe. Der Rote hatte schon ganz andere Leute von meinem Zaun vertrieben.
Der Schatten bewegte sich. «Wann soll Dein Jemand kommen?», fragte ich angespannt. «Er müsste gleich da sein», behauptete Hector.
«Beschreib ihn mir.»
«Eins Achtzig, dunkle Haare, Vollbart und er wird einen Koffer tragen.» Der Schatten nahm Gestalt an. Trotzdem wollte ich noch nicht klein beigeben. «Ein paar Infos mehr wären hilfreich.» So leicht wollte ich Hector nicht von der Angel lassen. Dazu war seine Beschreibung zu allgemein. «Name?», forderte ich ihn auf. Schmunzelnd hörte ich, wie Hector in den Hörer grunzte. «Arthur, Dylan Arthur. Er wird Dir unaufgefordert seinen Ausweis zeigen. Ich weiß doch, was Du für eine paranoide Zicke bist.» Ich lachte leise. Es gab nicht viele Menschen, die mich beleidigen durften. Hector gehörte jedoch in diesen kleinen Kreis. Zumal er ja vollkommen im Recht war.
«Er steht vor der Tür», sagte ich, «ich melde mich.»

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (04.11.17)
Solch eine amüsant und flüssig geschriebene Erzählung darf nicht unkommentiert bleiben: Bravo!

 Ana Riba meinte dazu am 04.11.17:
Vielen Dank

 Dieter_Rotmund (16.01.20)
"Er sollte alle meine finanziellen Angelegenheiten regeln, so wie mir die Leute vom Hals, die meinten, ein Anrecht auf ein Stück vom Kuchen meines Vaters zu haben." -> da fehlt ganz offensichtlich ein Verb?
Und wer ist dieser Weise, der plötzlich auftaucht?

Inhaltlich nimmt die Katze viel zu viel Raum ein. Das ist lange nicht so spannend, wie Du denkst. Ich hätte diesen Text fast empfohlen, aber der Katzenteil ist einfach viel zu groß.

 Ana Riba antwortete darauf am 16.01.20:
Hallo,
das mit dem fehlenden Verb stimmt danke.

Aber die Katze braucht diesen Raum, denn sie ist die Hauptperson in der Geschichte und darf auch noch zum Helden avancieren. Deshalb ... Ehre wem Ehre gebührt
Trotzdem danke.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 16.01.20:
Nun gut, wenn Du Deine Geschichte so vor die Katzen äh.... Hunde gehen lassen willst, Deine Entscheidung. Ich hielt den Titel für eine Metapher, so wie in Richard Brooks Cat on a Hot Tin Roof (USA 1958), wo gar keine Katze mitspielt, oder so wie ein cat burglar kein Katzenkoch in einem Hippstercafé ist, sondern ein Fassadenkletterer ...
Schade, hat gut angefangen!
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