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Kurzgeschichte zum Thema Allzu Menschliches

von  StillerHeld

An einem außergewöhnlich milden Herbsttag verließ G. seine Wohnung, schloss die Tür zweimal ab, zündete sich eine Zigarette an und sprang schwungvollen Schritts die Stiegen hinab. Er holte sein Fahrrad aus dem Keller und trug es vor das Haus. Ohne Eile schob er das Rad den Gehsteig entlang, kreuzte die Straße, bog zweimal ums Eck und stand dann vor einer Bankfiliale.

Vor dem Eingang stellte sein Fahrrad ab, warf die Zigarette auf den Boden und trat gründlich die Glut aus. Dann nahm der den Rucksack von der Schulter, griff in die Innentasche seines karierten Sakkos, holte eine dunkle Sonnenbrille heraus und setzte sie sich auf.

Er betrat die Bank, drängte sich ruhig, aber bestimmt an den Wartenden vorbei und legte einen Zettel auf den Schalter, auf dem die Worte "Überfall - kein Alarm" zu lesen waren. Es war sein dritter Banküberfall und er wusste, dass seine Chancen gut standen, auch diesmal ungestraft davon zu kommen. Drei Minuten später stand er wieder auf der Straße. Sein Rucksack war prall gefüllt, sein Puls unverändert ruhig. Alles war glatt gelaufen, jedoch: er fand sein Fahrrad nicht mehr, jemand musste es ihm gestohlen haben, in der kurzen Zeit, die er als routinierter Bankräuber für den Überfall gebraucht hatte.

Da war sein Kopf auf einmal leer, ein Abgrund tat sich im Innern auf, während um ihn das städtische Leben weiter pulsierte. Es hatte keinen Sinn mehr, zu viel Zeit war vergangen, zu viele Zeugen hatten ihn gesehen. Wie gelähmt stand er vor dem Eingang der Bank, den Rucksack mit dem vielen Geld in seiner Hand.

Da bemerkte er aus den Augenwinkeln, wie ein junger Mann aus der Bankfiliale auf ihn zustürmte und ihn an der Schulter packte. Ein Held mit Zivilcourage, dachte er, damit wäre das Maß an Demütigung voll.

Doch der Mann machte keine Anstalten, ihn festzuhalten, sondern grinste ihn an und fragte in breitem Wienerisch: "Na? Brauchst an Fahrer?"

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Kommentare zu diesem Text


 drmdswrt (02.02.17)
Interessante Wendung am Schluss. Schmunzelpointe.

 Dieter_Rotmund (02.02.17)
Gerne gelesen! Nur: Warum hat der Protagonist den Rucksack nciht auf dem Rücken? Immerhin wollte er sich ja aufs Fahrrad schwingen und fliehen. Das Bild wäre stimmiger.

 StillerHeld meinte dazu am 05.02.17:
Kommt darauf an, wie kurz nach dem Verlassen der Bank unser Antiheld das Problem bemerkt hat. Den Rucksack auf den Rücken zu schnallen kostet Zeit, da bietet sich doch förmlich der Schwung beim Auf-das-Fahrrad-Schwingen an, um beide Tätigkeiten zeitsparend miteinander zu kombinieren. So mach ich das jedenfalls immer, wenn ich Rucksack tragend radeln gehe (ohne vorherigen Banküberfall).
Danke für die positive Rückmeldung!
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