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Tagebuch zum Thema Ende

von  keinB

Ich besuche meine Zukunft. Zusammengesunken und grau sitzt sie in ihrem Rollstuhl am Tisch. Der Geruch hier ist typisch, aus irgendeinem Grund zieht sich durch Gebäude, in denen gestorben wird, immer der gleiche Geruch, ein Gemisch aus resignierter Hoffnungslosigkeit, abgestandener Luft und fortgeschrittenem Alter.
Der Aufenthaltsraum ist trostlos, obwohl jemand versucht hat, mit winzigen Primeln in bunten Töpfen Farbtupfer zu setzen. Der Eindruck verstärkt sich, wenn zum Kaffee die Patienten, die nicht das Bett hüten müssen, in festgelegter Reihenfolge an Tische sortiert werden, Kaffee in Plastikbechern mit Millimetermaß und diverse Teilchen vorgesetzt bekommen.

Großmutter bekommt einen Berliner von Mutter. „Saugut!“ Die Marmelade lässt sie sich gerne herauslöffeln. Und das ‚saugut‘ ist laut, klar und verständlich. Im Gegensatz zum Rest, den sie flüstert und nuschelt. Mutter erzählte schon mehrmals, wie sie eine der Pflegerinnen schlicht auslachte, als diese im Gespräch den etwas erhöhten Zucker meiner Oma bemängelte. „Die Frau ist 91 und wird diese Einrichtung sowieso nicht lebend verlassen.“ Damit war die Sache gegessen.

Manche wippen. Andere brabbeln einfach nur vor sich hin. Eine Frau, körperlich recht fit, räumt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Dinge auf. Servietten, leere Kaffeebecher, Flusen, Papierschnipsel. An meinem Bruder hat sie einen Narren gefressen, jedes Mal steht sie nach kurzer Zeit am Tisch und fragt, ob sie ihn anfassen dürfe. Dann tätschelt sie ihm den Oberarm und lächelt. Ich frage mich, wen sie wohl sieht.

Das Pflegepersonal benutzt diesen typischen Kindergartentonfall. Langsam, einfach und laut. Wenn Großmutter einen lichten Moment hat, blafft sie. Man müsse sie nicht wie ein Kind behandeln. Dann wird sie ausfallend, unflätige Bemerkungen über die Herkunft des Gegenübers folgen, seltsamerweise meistens ebenfalls laut und klar.

Die Luft hier ist abgeatmet. Verlebt. Ich weiß, wenn ich nicht vor einen Bus laufe, werde ich irgendwann auch dement in einem Pflegeheim sitzen. Allerdings ohne Besuch. Mein Bruder hat es da besser, die einzige universelle Wahrheit in unserer Familie besagt: Die Männer sterben vor der Rente an Krebs. Die Frauen werden zwar alt, richtig alt, sind dafür aber auch alle geisteskrank.

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Kommentare zu diesem Text

SirGalahad (51)
(13.04.17)
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 keinB meinte dazu am 14.04.17:
Auch als Busfahrer(in) kann man unter die Räder kommen. ;)
SirGalahad (51) antwortete darauf am 14.04.17:
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Graeculus (69)
(13.04.17)
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 keinB schrieb daraufhin am 14.04.17:
Ich bin nicht sicher - entweder gabs die erste Kopftransplantation schon oder sie steht demnächst an ...
Ah, Dezember, sagt Wiki. Bin gespannt. Prinzipiell finde ich aber eher erschreckend, was alles möglich ist / sein könnte.

Dank&Gruß
Kb
Die Tante (67)
(13.04.17)
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 keinB äußerte darauf am 14.04.17:
Danke. :)

 Augustus (14.04.17)
Wie rosig du das Alter malst, vielleicht rühren genau daraus die Genderbewegungen

ave

 keinB ergänzte dazu am 14.04.17:
Besten Dank für den Lacher. :)
managarm (57)
(17.04.17)
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