Warum es immer noch Gedankenfreiheit gibt

Erörterung zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  loslosch

Liberae sunt nostrae cogitationes (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; De senectute). Unsere Gedanken sind frei.

Dieser schlichte Gedanke, vermutlich älter als Cicero, stößt in der Moderne mit ihren Methoden offener oder verdeckter Beeinflussung vermehrt auf Widerspruch. Wie frei können Gedanken sein, wenn der Mensch durch Erbanlagen, Erziehung, Milieu und mediale Steuerung vorgeprägt ist bzw. geprägt wird?

Hier gilt es, innezuhalten und sich zu vergewissern, dass Gedankenfreiheit der Willensfreiheit vorgelagert ist. Letztere, die Willensfreiheit, ist in Forschung, Wissenschaft und Gesellschaft (Philosophie, Ethik, Medizin, Physik, Psychologie, Theologie) in der Tat umstritten. Gedanken hingegen, mit denen der Mensch sozusagen spazieren geht, sind zunächst nicht auf Entscheidung oder gar Handlung angelegt. Ihre Freiheit manifestiert sich auch darin, dass sie nicht strafbewehrt sind. Um mit Ulpian (~170 n. Chr. bis ~225 n. Chr.), dem spätantiken römischen Juristen, zu sprechen: Cogitationis poenam nemo patitur. Niemand wird für seine Gedanken bestraft. Es sei denn, eines Tages gelingt der Neuroforschung der ganz große Coup, die Entwicklung eines Tele-Gedankenlesegeräts ...

"Moderne" Auswüchse der Gedankenfreiheit sind Hasstiraden und Unausgegorenes aus dem Grenzbereich zwischen Traum und Bewusstsein, die aus vermeintlicher oder gesicherter Anonymität in sozialen Netzwerken ausgespien werden.

Diese Erwägungen zur Gedankenfreiheit gelten für alle Regierungsformen, von der Diktatur bis zur offenen Gesellschaft. In der Diktatur dahingehend modifiziert, dass Menschen in Straflagern mit erbärmlichen Lebensbedingungen zu keinen klaren Gedanken mehr fähig sind - außer denen an die ersehnte Stillung von Hunger- und Durstempfindungen.

Wie sehr das Thema die Herrschenden immer schon bewegt und fasziniert hat, lässt Schiller (1759 - 1805) den Marquis von Posa in seinem Drama Don Karlos in ironischer Zuspitzung ausdrücken: "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!" So, als wären die Gedanken längst von außen kontrolliert. Ein Wunschtraum jedes Potentaten.


Anmerkung von loslosch:

Das Gedanken-Lesegerät war Thema in der Tagesschau vom 20.4.17. Dabei ging es um eine Erweiterung von Schreibhilfen für motorisch eingeschränkte Personen.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(23.04.17)
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 loslosch meinte dazu am 23.04.17:
die gehirnwäsche etc., das sind verfeinerte karl-may-methoden. man rasiert zb eine schädelstelle und zieht das opfer unter einen tropfenden hahn usw. mit brachialgewalt lassen sich gedanken austreiben, in meinem text mit hunger- und durstqualen angedeutet.
Graeculus (69) antwortete darauf am 23.04.17:
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 loslosch schrieb daraufhin am 23.04.17:
im kv wurde oft die ansicht vertreten, gedankenfreiheit sei real nicht existent. dabei lässt sich die position allenfalls auf der willensebene vertreten. gefangene soldaten lassen sich natürlich gewaltsam manipulieren, in einer offenen gesellschaft dagegen lässt sich nur die willensfreiheit sublim steuern, nicht dagegen die gedankenfreiheit. - das wollte ich herausstellen. wenn der arbeitgeber seinen mitarbeiter schurigelt, so bleiben dessen gedanken immer noch frei. im gegenteil: der betroffene könnte hasserfüllte gedanken produzieren. (sieht ja - noch - keiner.)
Graeculus (69) äußerte darauf am 23.04.17:
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 loslosch ergänzte dazu am 23.04.17:
die sekten hatte ich übersehen. da werden idr mitglieder geworben, die präkonditioniert sind. schwache, randständige naturen suchen sozialen halt. in einer offenen gesellschaft ein dilemma. (oder einfach die zeugen jehovas verbieten à la putin?)
Graeculus (69) meinte dazu am 23.04.17:
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 loslosch meinte dazu am 23.04.17:
spiegelzimmer: was ist gemeint?
Graeculus (69) meinte dazu am 23.04.17:
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 loslosch meinte dazu am 23.04.17:
es lässt sich immer noch nicht kugeln; aber ich weiß jetzt bescheid. danke.

 niemand (23.04.17)
Ich glaube, dass dieses "die Gedanken sind frei" nicht gemeint war als, dass sie von nichts, aber auch garnichts quasi in eine "Inhaltshaft" genommen wurden, sondern, dass wir sie jederzeit, ohne Zensur in uns haben und sie sich quasi in uns frei bewegen können, da sie ja weder hörbar noch sichtbar für andere sind. Frei von Beschlagnahme durch andere, frei von Be- und Verurteilung, allerdings beschränkt sich diese Freiheit auf den Raum in welchem sie hausen auf die mehr oder weniger taugliche Birne. Sobald sie diese via Mund verlassen, werden sie be- oder verurteilt, zensiert, verteufelt, gelobt, angebetet, etc. etc. alles das was man mit Ausgesprochenem eben so manchen kann. LG Irene

 loslosch meinte dazu am 23.04.17:
genau. (ähnlich der text eines alten volkslieds.)

diese restfreiheit ginge verloren, wenn ein tele-gedankenlesegerät heimlich (!) aktiv werden könnte. lo

 niemand meinte dazu am 23.04.17:
... wollte da nicht irgendwer solch ein Gerät erfinden,
oder habe ich geträumt? - glaube es irgendwan mal gelesen zu haben.

 loslosch meinte dazu am 23.04.17:
in der tagesschau kam es (siehe anmerkung unter meinem text.) dort ging es aber um bewusste hilfen. mein pc schreibt, was ich vordenke. ein echter fortschritt.

eben sah ich - für paar sekunden nur - in der tagesschau, wie ein mensch mit einem roboter tischtennis spielte!
Graeculus (69) meinte dazu am 23.04.17:
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 niemand meinte dazu am 24.04.17:
@ Loslosch
mir fällt da noch eine kleine Wortspielerei bezüglich
der Gedanken, die da frei sind, ein: Die Freiheit der Gedanken
spielt sich in grauen Zellen ab

 loslosch meinte dazu am 24.04.17:
weiß getünschte gefängniszelle versus graue innere zellen. über den intelligentesten und raffiniertesten nazi albert speer las ich, er habe bei den täglichen rundgängen seine schritte gezählt und sich mental auf die haftentlassung vorbereitet.
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