Nee, diese Drogen sind auch nicht wirklich gut....

Text zum Thema Außenseiter

von  Access

Auf einmal sah ich alles von oben, ich schwebte über den Dingen. Unser Institut mit seinen Angestellten, meinen Therapeuten, meine Gitarrenlehrerin, meine Trommelworkshop-Teilnehmer, meine Freunde, ja selbst meinen Mann Bulli und unsere Kinder. All die Situationen, in denen ich nervös und angespannt war.

Nein, ich hatte keine Nahtoderfahrung, ich sah nur plötzlich alles von außen, wie auf einer Bühne. Da lief Herr Maier über den Flur, die Hand schon ausgestreckt nach meiner Türklinke, mal wieder mit geschwollener Halsschlagader, weil ich seine Raumvergabe-Richtlinien nicht beachtet und das System durcheinander gebracht hatte. Mich selbst sah ich, als er die Tür aufriss, auf meinem Schreibtischstuhl, ein bisschen geduckt, als würde ich Schläge erwarten. Ich sah mich vor meiner Therapiestunde fünfmal zum Spiegel laufen, ob ich auch gut aussehe. Eine viertel Stunde bevor ich ins Auto steigen musste, um zur Gitarrenstunde zu fahren, sah ich mich nervös durch die Wohnung rennen, Geld raus kramen, meine Notenblätter einsammeln. Vor meinem Trommel-workshop sah ich mich kreidebleich, treppauf, treppab laufen, Schweißflecken unter den Achseln, ängstlich schnuppernd, ob man das riecht. Sah, wie ich auf dem Kalender notierte Bulli abholen, Tamara aus dem Hort holen, Kim zu Dörte fahren, für Peter Sojamilch kaufen -- und auf einmal lachte ich. Ich lachte, weil das alles so unwirklich und so unwichtig und so klein war. Ich lachte und lachte, ich lachte, als hätte ich Drogen intus und dann fragte ich mich, was ich eigentlich wollte vom Leben, wovor ich Angst hatte und wer das verdammte Recht hatte, mich und meine Bedürfnisse klein zu reden, zu ignorieren, mich zu vereinnahmen.

Die Antwort war: Ich wollte sein. Ich wollte einfach nur sein. Frei von Angst, jeden Moment genießen, frei sein, ich wollte sein, einfach nur sein, meine Scheißvergänglichkeit begreifen und feiern und niemand hatte das Recht über mich und meine Zeit zu bestimmen oder zu urteilen außer mir selbst. Dann ging ich kiffen, saufen und trommeln. Ich griff zur Gitarre und sang so scheißlaut und schräg, wie ich nur konnte, dass die Nachbarn es auch garantiert hören und sich über das verlodderte Pack aufregen konnten. Danach ging’s mir besser.


Anmerkung von Access:

Jau!

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

matwildast (37)
(09.05.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Access meinte dazu am 10.05.17:
...das freut mich -- dann habe ich das, was ich ausdrücken wollte, glaube ich ganz gut transportiert...

 AZU20 (09.05.17)
Mutig und richtig. LG

 Access antwortete darauf am 10.05.17:
Danke -- naja, der letzte Abschnitt mit dem Kiffen und Saufen ist eine etwas arge Maßnahme und trägt nicht wirklich zur Freiheit bei aber vielleicht momentan und danach kann es dann wieder aufwärts gehen

 LotharAtzert (09.05.17)
Was, Du kiffst?
Ach, ich weiß ja: es ist nur die Protagonistin.
Gruß vom putzigen Kerlchen

 Access schrieb daraufhin am 10.05.17:
.. du hast Recht, die Autorin hat noch nie gekifft, sie hat nur einmal die Wirkung bei einem Arbeitskollegen beobachtet -- der sah danach recht fröhlich aus, stierte einer Bedienung überglücklich in den weiten Ausschnitt und wirkte insgesamt eher ruhig und entspannt..... (habe auch weder Kinder, noch Bulli, noch wäre ich in der Lage Trommelworkshops zu geben...)
RedBalloon (58) äußerte darauf am 10.05.17:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Access ergänzte dazu am 10.05.17:
...die Grüße waren schon von ihm selbst, ich nannte ihn dereinst so.... soso, du glotzt also ganz testosterongesteuert-sexistischer-Macho-mäßig Damen in den Ausschnitt und beobachtest glückselig die sich dort abspielenden Schaukelgeschichten, tss, tss...
Hilde (62)
(10.05.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Access meinte dazu am 10.05.17:
Danke, Hilde

 Dieter_Rotmund (10.05.17)
Mutti am Rande des Nervenzusammenbruchs.

 Access meinte dazu am 10.05.17:
...ja, so kann man das lesen -- schön, wenn ich das hinbekommen habe (die Kinder und Bulli habe ich extra noch mit reingebastelt, wobei ich vergessen habe, Bulli auch noch Stress machen zu lassen, fremd- oder pleite gehen oder so). Es ist einfach lustig zu sehen, wie irrelevant die Dinge sind, von denen wir uns im Alltag irre machen lassen. Hatte eher gehofft, du sagst mir, an welchen Stellen ich mal wieder Murks mit den Kommata gemacht habe....sie erscheinen mir zahlenmäßig überrepräsentiert...

 TrekanBelluvitsh (16.08.17)
Den Großteil meines Lebens war es meine feste Überzeugung, dass romantische Liebe eine Illusion ist. Sie ist ein nutzloser Schutzschild gegen den existenziellen Schrecken, der in unser Einzigartigkeit liegt.

- Sherlock Holmes; In: Elementary -
(auch  hier.)

Holmes passt hier irgendwie, auch wegen den Drogen.
Aber schon in den Büchern von Doyle erträgt er - als weiser misanthropischer Geist - seine Mitmenschen ja nur, in dem er die größten Bösewichter zu Fall bringt. Diesen Antrieb kann ich nachvollziehen...

(Kommentar korrigiert am 16.08.2017)

 Access meinte dazu am 16.08.17:
....oha, vielleicht werde ich dann doch noch Sherlock-Fan...Als ich noch einen Fernseher nutzte, habe ich mal zufällig in Elementary rein gezappt und bin da hängen geblieben. Fand die Inszenierung ungewöhnlich und den Typen sehr abgefahren, in Kombination mit dem weiblichen Watson höchst schrullig und sympathisch... Allerdings verbinde ich mit Sherlock meinen sich vor zwei Jahren mit Hilfe der Alltagsdroge Alkohol selbst ins Jenseits katapultiert habenden Ex-Freund. Vor ca. 25 Jahren kaufte er sich einen Sherlock-Hut und fing an Pfeife zu rauchen. Er hörte zum Einschlafen Kassetten von den drei Fragezeichen...und..naja..das führt jetzt wohl zu weit .... Dem obigen Zitat stimme ich voll zu, wäre dennoch unter keinen Umstäden bereit, auf die romatische Liebe zu verzichten....dafür ist sie zu schön, zu himmlisch (=Droge) und ich würde ihr ähnliche, wenn auch abgeschwächte selig machende wie zerstörerische Wirkungen zuschreiben, wie den Drogen. Letztendlich ist es doch wurscht, an welcher Droge man verreckt....
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram