Nadezhda (надежда)

Kurzprosa zum Thema Flucht/ Vertreibung

von  Pameelen

Duisburg-Bergheim, Deutschland, In den Peschen 3-5 und die umliegende Beguinenstraße 1-3. Überregional sind die Peschen als sogenanntes Problemhaus für rumänische Wirtschaftsflüchtlinge bekannt geworden, wie Journalisten gern betonen. 2014 leben dort 400 Menschen, und viele Menschen glauben – man versichere sich für einen kurzen Augenblick die Bedeutung und den Wert eines so gefälligen und flüchtigen Wortes - , ja wirklich glauben, es seien tatsächlich längst weit über 1400 Personen. Die meisten sind Roma oder, um sie im landläufigen Vokabular zu bezeichnen, Zigeuner. Die größte europäische Minderheit. Und die Schlagzeilen medialer Wahrnehmung überschlugen sich: „Roma – Die Unerwünschten“, „Das Stigma des Fremden“, „Das umkämpfte Haus – Wer hält das aus?“ „Wir sind Rheinhausen!“ – eine Topographie der rassistischen Stimmung gegen Zuwanderinnen und Zuwanderern in Duisburg. Besorgte Bürger sprechen ihrerseits von Vermüllung und Verwahrlosung, es kommt zu Aufmärschen, Morddrohungen und zu laut gespendeten Beifall angesichts der aufmarschierenden Pro-NRW.

Willkommen bei den Unwillkommenen.

Wie meinen Sie? Der Zuzug nach Duisburg sei ohnehin nur eine zeitlich begrenzte Episode eines seit Jahrhunderten umherziehenden Volkes? Und deshalb rechnen Sie fest damit, dass ein jeder sein kleines Bündel auch wieder sogleich schultern werde, um weiterzuziehen in die nächste urbane und vielbeschworene blühende Landschaft? Es sei Ihrer Ansicht nach nur eine Durchreisegesellschaft?

Wie die Worte sich doch gleichen:
„Von den Züginern oder Heiden,“ sprach Sebastian Münster in seiner Cosmographie aus dem Jahre 1556, „von den Züginern oder Heiden. Als man zalt von christgeburt tausentvierhundertundsiebenzehn/ hat mann zum ersten in Teütschland gesehen die Züginer/ [. . .] Mann hat es wol erfaren/ das dis ellend volck/ es hat kein vaterland/ zeücht also müßig im lande umhär/ ernerer sich mit stelen/ lebt wie die hund/ ist kein religion bey inen/ ob sie schon ire kinder von den christen lassen tauffen/ leben on sorg/ ziehen von einem land in das ander/ kommen überettlich jar haerwider.“

Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Sozialdezernent, in diesem bescheidenen Rahmen doch widersprechen.

Ich erinnere mich an das Interesse Ihrer Durchreisegesellschaft, endlich so etwas empfinden zu können und beanspruchen zu wollen wie Heimat. Ich erinnere mich an die Hausbesuche, an die scheinbar nie enden wollenden Stunden und Stufen, in denen ich gemeinsam mit Abel durch die vom Zerfall gezeichneten Häuser zog, Stockwerk um Stockwerk, von Wohnung zu Wohnung, entlang karger Treppenhäuser, um Eltern von dem Besuch eines Deutschkurses ihrer Kinder zu überzeugen, an die misstrauischen und ängstlichen Gesichter als man uns die Tür zunächst nur einen Spalt öffnete. Kinder, die über Jahre nicht beschult wurden und ein Schulamt, das sich auf Nachfrage barsch jede Nachfrage verbat. Ich erinnere mich daran, dass Abel mich auf eine Tasse Kaffee einlud, die seine Mutter beherzt servierte und daran, dass sie, Mutter von acht Kindern, weinend vor mir stand und immer wieder fragte, weshalb die Polizei in ihre Wohnungen stürzte, während ich eine Antwort schuldig blieb, - konnte ich doch wirklich keinen überzeugenden Grund anführen und ihr müder Blick schrieb sich mir in diesen wie auch in anderen ähnlichen Augenblicken ins Gedächtnis ein, während die Scham ihre Röte ins eigene Gesicht trieb.

Ich erinnere mich an den gemeinsamen Ausflug mit einer Gruppe Romakinder in den Duisburger Zoo, an die verfinsterten Blicke und rohen Gesten der Vorüberziehenden, an Mütter, die eiligst ihre Kinder an die Hand nahmen, an Menschen, die die Straßenseite wechselten, rüde, wie geübt, und zugleich aber auch unbeholfen komisch mit ihren Fäusten wedelten. Wenn man mit einer Gruppe Romakinder durch die Straßen zieht, wird man unter Menschen  zu einem anderen.

„Nimm einfach meine Hand, Sunamita!“

Ich sah einen Tag später eine mit zwei Fahrzeugen einschießende Polizeistreife jeweils aus beiden Fahrtrichtungen der Beguinenstraße. Sie stellten die Mannschaftswagen schräg auf die Straße und blockierten sie. Und ich sah ein Dutzend aus den Sitzen stürzende Beamte, um nichts Bedeutsameres zu tun als eine Fahrzeugkontrolle durchzuführen, während die alten Romafrauen schreiend in die Häuser liefen und sich ihr klagen über die Stockwerke wie wehender Rauch fortwehte und zugleich schossen mir die Bilder aus den Kindheitserinnerungen meines Vaters aus den vierziger Jahren durch den Kopf und zeigten mir, woran dieses Land immer noch so schwer zu tragen hat.

Ich denke wieder und wieder an das Gespräch mit Plamena, einer sechzehnjährigen Einwanderin aus Bulgarien, am letzten Tag eines wieder einmal verspätet begonnenen und vorzeitig beendeten Deutschkurses und an ein Wort, ein letztes Wort, dem sie doch so eine kraftvolle Stimme gab: надежда. Nadezhda.
Nadezhda heißt Hoffnung.

Und was nun Herr Sozialdezernent? Man müsse alles in einem größeren Kontext sehen?
Sie sehen für die osteuropäischen Länder eine große Chance in Europa? Dienstleistungen, Tourismus . . . ?

Gewiss, die sorgfältig einstudierten Tänze, vorgetragen von meist schwarzhaarigen kreolengeschmückten Schönheiten in bunten Wickelröcken als kulturelle Darbietung auf einer Rundreise durch die sonst so herrenlose und vielleicht auch für den kulturgeprägten Besucher nichtssagende Weite der ungarischen Puszta oder nach einem beschwerlichen Weg hinab aus den rumänischen Karpaten oder in einem Hinterhof in Sibiu konnte schon beeindrucken, vielleicht für einen nur kurzen Augenblick ehrliche Begeisterung für das Fremde und Exotische hervorrufen. Und vielleicht beschloss man einen solchen Abend mit tiefrotem Wein und wiegte sich im flirrenden Rhythmus stampfender Akkordeonspieler. Und vielleicht verabschiedete man sich mit einer brüderlichen Umarmung. Aber Kultur sollte doch besser das bleiben, was sie ist: allenfalls ein lohnendes Dessert als Abschluss vom Tagesgeschäft allseits saturierter Charaktere. Und sie sollte vor allem dort bleiben, wo sie ist: In Copsa Mica, Stopolinovo, Sajoszentpeter, Miskolc, Sibiu, Kumanovo . . .

Und nun, verehrter Herr Sozialdezernent? Kein weiterer Kommentar? Ach, die Termine! Sie drängen? Gewiss, . . .

Ich las im Mai 2014 davon, dass der Vermieter, Eigentümer der Wohneinheiten In den Peschen und zugleich Besitzer von mehreren Häusern der Duisburger Bordellzeile, die Stromzähler vom städtischen Versorger unter der Leistung von Amtshilfe des Ordnungsamtes ausbauen ließ und fortan die Stromversorgung eingestellt wurde. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz zur Unbewohnbarkeit von Wohnungen ermöglichte der Stadt Duisburg dann auch schließlich die Schließung und Räumung der Wohnungen in den Häusern In den Peschen 3-5.

Seitdem, so berichtete man, sorgten unruhig tanzende Lichtkegel, hervorgerufen von Dutzenden Taschenlampen, allabendlich für einen bizarren Tanz einander begegnender und wieder in die Unwirklichkeit der Nacht zerstiebender Gebilde aus Licht in einem wie von Geistern beseelten Haus. Nichts wirkt leichter und nichts wirkt schöner als die groteske Dramaturgie aus der Hand leuchtender Wesen, jener letzten Nächte, die einer Himmelspforte gleich, über unzählige mächtige Stockwerke verteilt, den unwirklichen Himmel mit der unwirtlichen Erde verband. Selbst der entfernteste Beobachter würde angesichts dessen lebhaft bezeugen können, dass dieses seltsame und zeitweise vielleicht auch irre wirkende Spiel aus einer Himmelsleiter mühsam empor klimmender Könige bestand oder vielleicht doch nur aus nichts anderem als aus Licht.


Anmerkung von Pameelen:

Eindrücke aus den Jahren 2013 bis 2015 in Duisburg Bergheim.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(14.05.17)
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 Pameelen meinte dazu am 15.05.17:
Duisburg ist auch meine alte Heimat, und was sich dort seit Jahren zusammenbrodelt nehme ich mit Erschrecken wahr. Wie sagte schon Sören Link im September 2015: "Ich hätte gern das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte!" Diese Stadt wird mir immer fremder . . .

LG
Ralf
Hilde (62)
(14.05.17)
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 Pameelen antwortete darauf am 15.05.17:
Vielen Dank für deinen lieben Beitrag. Für sechs Familien konnten aufgrund einer Privatinitiative in Duisburg-Rheinhausen Wohnungen gefunden werden, einige Familien wurden nach Herne in ähnlich prekäre Verhältnisse "umgesiedelt" (u. a. auch die Familie von Sunamita), einige Familien sind weitergezogen. Zu den Duisburgern habe ich heute noch gelegentlich Kontakt.

LG

Ralf
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