Pellinger

Kurzgeschichte zum Thema Kinder/ Kindheit

von  RainerMScholz

Im Freibad in Süd habe ich mich auch oft verbrannt, aber es gab Fritten mit Ketchup mit den kleinen Plastikpieksern und Limo und es roch nach Sonnencreme und Sonnenöl und Chlor und ein bisschen Pipi auf dem Klo und frischgemähtem Rasen. Das war wie August im Sommer. Meine Oma hat weißen Quark auf meinen rotverbrannten Rücken aufgetragen, zur Kühlung, und dann hat sie ihn dort trocknen lassen, während ich blond und auf dem Bauch eingeschlafen bin. Heute denke ich, wieso hat die den nicht einfach abgewaschen, aber sie hat alles trocken abgezupft und abgeribbelt, so dass auch abgeschälte Haut und verklebte Härchen mit dem Trockenquark abgingen. Das war, bevor sie Parkinson kriegte und verstummt aus dem Leben wackelte. Bis siebzig hatte sie noch lange naturschwarze Haare gehabt.
Vom Zehn-Meter-Brett wollte ich nie springen. Ich habe gesehen, wie einmal jemand falsch aufgekommen ist. Der ist dann noch einmal da hoch, obwohl er blutete und halb bewusstlos war. Seine Freunde haben gelacht. Stefan hat seinen Köpper ins Planschbecken gemacht. Er war so außer sich vor Freude über den Ferienbeginn, dass er wohl den Überblick verloren hat, und seine Brille hatte er auch nicht an. Aber sonst war er auch so komisch, hat immer den Rotz die Nase hoch gezogen und an seinen Popeln gelutscht. Niemand wollte mit ihm spielen, auch weil seine Eltern etwas Besseres waren. Das ist mein bester Freund gewesen. Weil er aber auch neben uns gewohnt hat.
Mein Grundschullehrer Winziers, der mich an die Patres verriet, zog im tiefen Becken seine wie mit der Schnur gezogenen Bahnen, wie ein Walross so stoisch, eine Bahn nach der anderen; dabei fixierte er mich, weil ich da am Beckenrand gestanden habe, aber ich sah nicht weg. Ich verlor nur irgendwann das Interesse und schmiss die in Gedanken zum Wurf bereite Harpune ins Gebüsch und ging Fritten essen.
Im Krieg hätten ihre Onkel Nussbaumblätter geraucht in Ermangelung originären Tabaks, sagte meine Oma. Weil es nichts anderes gab. Durchfall bekomme man davon, sagte meine Oma, und braune Finger. Meine erste Zigarette war eine Camel, Mario, der Sohn vom Wirt Zum Eck, bei dem der Küster von St. Valerius seinen Sonntagsfrühschoppen trank, und auch sonst die Woche über, klaute das in Zellophan eingepackte Päckchen seinem Vater hinter der Theke weg. Die Schwester von Mario war toll, mit Busen und so, und manchmal grinste sie mich an, bildete ich mir ein, aber die Frauenhefte vom Vater von Mario waren auch bemerkenswert; wir guckten sie uns heimlich mit schierer Bestürzung an. Die Zigarette rauchten wir bei Sonnenuntergang auf dem neuen Spielplatz, auf dem wir ganz allein waren und kamen uns vor wie der Marlboromann aus der Kinowerbung.
Die sind jetzt alle tot und verschwunden, und ich war ja auch irgendwann weg. Alles wie ausgelöscht, und komme ich zu Besuch, dann ist da eine fremde Welt mit unbekannten Menschen. Wir sprechen nicht mehr diese Sprache, niemand würde es verstehen, und immer kehrte ich mit dem Besen um das Kriegerdenkmal; abgestorbene Buchsbaumblätter, Kippen, Scherben, verwirbeltes Papier; der Geruch von blauen Autoabgasen von der Pellinger, wo ich beim Vivo meinen ersten und letzten Diebstahl beging, ich weiß nicht mehr, wieso; wo die Panzer der am Südblick stationierten Franzosen zu ihren Manövern hinunterrollten, dass die Wände wackelten und zu denen meine Oma in die Häuser putzen ging. Der Opel GT ist weg und die Yamaha und mein Kettcar auch. Die erste Camel ist geraucht und das erste bittere Bier getrunken. Der Quetschenbaum im Garten hinter den wackligen Schuppen und hinter der Waschküche ist gefällt, das Holz verbrannt und der Moder des Kellers beseitigt. Die Spinnengerippe sind von der Decke  und die Katzen sind fort und überfahren.
Ich vermisse das Kartenspiel mit Tant´ Bäbi und ihren geduldigen sanften Blick, und dass sie mich immer an die Mattheiser Weiher mitnahm, um die Enten zu füttern, denn ihr Mann kam nicht mehr heim, so kehrte ich gerne um das Kreuz, weil das Grablicht nicht ausgehen sollte.

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