Einen Fall tiefer

Text zum Thema Alleinsein

von  Martina

Du stehst auf. Die Nacht liegt gerade hinter dir. Und doch kommt es dir vor, als hängt sie noch bleischwer an jedem deiner Knochen.  Irgendwie weißt du gar nicht, wie du durch die Nacht gekommen bist. Wahrscheinlich mit einem ICE Turbo. Sie glich eher einem Wimpernschlag. Augen auf, Augen zu, und die Nacht war rum.
Wie soll man da ausgeruht sein? Alles schmerzte. Und das Herz zog mit. Es schien auch kein Auge zugetan zu haben, nein, denn es hüpfte nervös in der Brust herum.  Wie viele Nächte dieser Art hatte er schon hinter sich, seit sie aus seinem Leben verschwand? Es waren nur 4 oder 5, aber eindeutig 6 zu viel. Was waren jetzt diese Nächte wert? Nichts mehr. Sie gaben ihm keine Ruhe mehr, keine Erholung.  Nein, jede Stunde machte ihm nur noch schmerzlicher bewusst, wie sehr er sie doch vermisste. Manchmal dauerte es Stunden, bis der Schlaf ihn endlich von dem Bewusstsein erlöste. Jedoch schien es dann nur eine Sekunde zu dauern, bis er wieder voller Wucht hinein geschleudert wurde, in dem Moment, als der Wecker seiner Pflicht ohne Rücksicht auf ihn nachging. Sowie gerade eben. Sein erster Weg führt ihn ins Bad. In Gedanken musste er sich unwillkürlich vorstellen, wie oft er sie hier hat lang gehen sehen. Wenn sie nach dem morgendlichen Duschen, nur in ein Handtuch gehüllt, den Gang über genau diesen Flur nahm, um ihm beim Frühstück machen einen Kuss zu stehlen. Ja, sie hatte immer so etwas verrücktes an sich. Wenn sie in seiner Nähe war, kam er kaum dazu, etwas anständig zu Ende zu führen. Alles ging schief. Die Eier wurden zu hart, oder die Brötchen waren verbrannt.
Sie hatte die Angewohnheit, sich hinter ihn zu schleichen, und ihre eiskalten Hände blitzschnell unter sein Hemd zu schieben. Irgendwie schien immer irgendetwas eisiges von ihr auf seiner warmen Haut zu verharren.  Eigentlich konnte er nie begreifen, wie man mit solchen Minusgraden im Körper überleben konnte. Zuerst hatten ihn ihre gefrorenen Hände oft erschreckt, weil es meist unerwartet kam, doch nun fehlten ihm sogar ihre kalten Füße im Bett. Er seufzte. Erinnerungen taten weh. Sie fraßen sich in sein leeres Hirn. Im Bad angelangt, schaute er in den Spiegel. Wer war dieser Fremde? Wie kam er hierher, und warum besetzte er sein Bad, und schaute ihm ausdruckslos aus dem Spiegel zu? Ein ziemlich unangenehmer Geselle. Tiefe Augenränder stellten den Mittelpunkt in seinem Gesicht dar. Einer Rasur schien er auch schon länger aus dem Wege gegangen zu sein. Nein, und überhaupt, er sah einfach nur erschreckend aus. Erschreckend wie die nächste Nacht, die vor ihm lag, vor der er sich fürchtete. So bald es dunkelte, schlich die Einsamkeit in jedem Winkel seiner Wohnung. Überall machte sie ihm auf ihre Spuren aufmerksam. Da hing noch das seidene schwarze Hemd von ihr.  Dort hing ein Bild, hier stand eine Pflanze. Alles schien sich ihm aufzudrängen, sich in sein Blickfeld zu schieben. Und wenn er seinen Whisky trank, konnte er dies alles sogar doppelt sehen, und ebenso doppelt schmerzlich kam auch das Bewusstsein, dass sie gegangen war. Und sie hatte ihm Unmengen zurückgelassen. Die ganze Wohnung schien von ihrer Präsenz durchflutet zu sein.  Wie ein schweres süßes Parfum hing  jede Stunde, die sie hier verbracht hatte, in der Luft. Erstickte ihn förmlich. Und es waren viele Stunden. Jede einzelne pures Glück. Ohne eine Morgentoilette vorgenommen zu haben, drehte er sich um und ging in die Küche. Jeder Schritt kostete ihm unsagbare Mühe. Jeder Schritt ohne sie. In Gedanken versunken kochte er sich eine Kanne Kaffee. Sie mochte immer nur Kakao, schön heiß, wahrscheinlich um ihre schlanken Finger daran zu wärmen, wenn sie ihm nicht gerade durch sein dunkles, dichtes Haar wuselte. Das war ihre Leidenschaft. Sie liebte es, sie in Unordnung zu versetzen. Es hatte ihn oft geärgert, wenn sie seine glatt nach hinten gekämmten Haare aus der Fassung brachte. Nun vermisste er auch dieses. Er nahm sich seinen Kaffee, goss ihn in eine Tasse, natürlich in eine, die sie ihm mal geschenkt hatte. Es schmerzte wieder.
Wann, Gott verdammt noch mal, würde er all diese Dinge, diese vielen Kleinigkeiten gleichgültig ansehen und wahrnehmen können, ohne in ein Gefühlschaos zu stürzen? Heute war jedenfalls nicht dieser Tag. Und er hatte auch nicht die geringste Hoffnung, dass morgen so ein Tag war. Oder in 2 Wochen, oder in 6 Monaten. Oder überhaupt...
Er setzte sich auf das alte Sofa. Hier hatten sie sich einige Male geliebt. Er konnte es fast wieder vor sich sehen, wie ein Zuschauer, als sich jenes Paar vor seinen Augen vergnügte. Dieser Mann schien nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Typ vor dem Spiegel zu haben. Er sah so glücklich aus, und sie gab sich seinen Zärtlichkeiten willig hin. Er versank in dieser Träumerei. Und er litt, litt Höllenqualen. Er fühlte sich wie in einem Kino. Es wurde der Film seiner großen Liebe gezeigt, rund um die Uhr. Von Anfang bis Ende. Nicht eine Sekunde schien vergessen worden zu sein.  Sobald er seine Augen öffnete ging es los, und es endete erst, wenn er total erschöpft von dem Seelenleid in den Schlaf sank. Die früheren Foltermethoden war lächerlich gegen diese eine. Er fühlte sich nur noch hundemüde, seit Tagen, seit Nächten, als hätte er Jahre nicht geschlafen. Selbst der Kaffee schien wirkungslos zu sein.
Nichts half. Er würde bestimmt reich werden, wenn er ein Mittel gegen Liebeskummer erfinden könnte. Warum hatte das nur noch niemand geschafft? Die hochentwickeltsten Geräte gibt’s, aber hier schien jeder Professor, jedes Genie, elendigst zu versagen. Er raufte sich die Haare, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Erinnerung wartete schon darauf, wie ein wildes Tier sein Opfer anzufallen. Kaum fielen seine Lider zu, biss sie ihm in die Halsschlagader. Er wehrte sich nicht, als es ihm jeden Tropfen Blut aus dem Körper zu saugen schien.  Er ließ sich wehrlos fallen, gab sich dem Wahnsinn hin. Wie schön wäre es, jetzt kühle, schlanke Finger auf seiner Brust zu fühlen. Diese könnten ihn retten, ja er war sich sicher, sie würden ihn aus diesem Alptraum herausreißen. Aus diesem Alptraum, der keinen Tag und keine Nacht kannte, der immer zu existieren schien,
und sich von seiner Sehnsucht nährte. Willkommen in der Hölle. Sie liegt direkt neben dem 7. Himmel, nur einen Fall tiefer. Genau dort, wo sein Herz saß, welches sie mit nahm, ohne es zu wissen, in dem Moment als sie ging. Einfach ging...


Anmerkung von Martina:

Aufgrund falscher Annahmen nochmals die Erklärung: Meine Gedichte sind frei erfunden und betreffen keine Person(en) die ich kenne, sie entspringen ohne Vorwarnung aus meinen Gedanken und Gefühlen, und bekommen erst beim Schreiben eine ausgedachte Persönlichkeit. Sie sind in den wenigsten Fällen authentisch und geben keinster Weise Aufschluss über meine momentane Lebenssituation. Deshalb bitte ich von Beileidsbekundungen abzusehen Danke....

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Kommentare zu diesem Text

daniela (39)
(10.11.06)
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Pfauenauge (49)
(10.11.06)
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 Martina meinte dazu am 10.11.06:
Es ist einfach ein Text...jeder kann das darin sehen was er möchte...er steht jeder Phantasie zur Verfügung...und jeder kann das beste oder schlechteste daraus machen . Ganz nach belieben...Lg Tina
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