Die Chaos-Horror-Wunder-WG

Geschichte zum Thema Begegnung

von  Omnahmashivaya

Sina lebte schon drei Jahre mit ihrem Freund in einer Wohnung, bis es plötzlich den großen Knall gab. Plötzlich musste sie ausziehen. Eine wunderschöne Asiatin hatte ihren Platz eingenommen und Sina durfte die Koffer packen. Immerhin war es Benjamins Wohnung und nicht ihre! Die Beziehung lief eh nicht mehr so gut, deswegen war es genau der richtige Zeitpunkt neu anzufangen. Ohne Benjamin. Natürlich tat es richtig schön weh, auch wenn sich Sina immer wieder einredete, dass Benjamin ein Luftikus sei. Aber so einfach war das nun mal nicht. Genervt schaute Sina sich in der Uni bei den Wohnungsgeboten um.
Die Studentenwohnheime waren natürlich alle besetzt, also blieb ihr nichts Anders als eine WG übrig, wegen der Kosten. Leider war das Angebot spärlich wie nie und Sina beschloss einfach das nächst Beste zu nehmen. Immerhin konnte es schlimmer als mit Benjamin eh nicht kommen. Davon abgesehen konnte sie sich, wenn es Ärger geben sollte, immer noch in Ruhe eine neue Unterkunft suchen. Daran sollte es nicht liegen.
Eine 2er WG im 2. Stock mit Balkon, 2 Zimmern, großräumiger Wohnküche und Balkon kam ihr gerade Recht. Auch Haustiere waren erlaubt. Somit konnten ihre 4 Wüstenrenner aus dem Tierheim und ihr Adoptivhamster auch mit einziehen. Ohne die 20 Trippelbeinchen wäre sie eh nirgends eingezogen. Kurzerhand riss Sina das Zettelchen mit der Telefonnummer ab und begab sich zurück zu ihrer Freundin, bei der sie vorübergehend wohnte.
Der junge Mann am Telefon schien sehr nett zu sein. Eigentlich verstieß es gegen ihre Prinzipien wieder eine Wohnung mit einem Mann zu teilen, aber sie war auch an dem Punkt angelangt, an dem es ihr schlicht und ergreifend egal war.
Schon am Nachmittag machte sie sich auf den Weg, um die Wohnung zu begutachten.
Der wohl zukünftige Mitbewohner, der sich Borrris nannte wirkte sehr freundlich und machte einen umgänglichen Eindruck. Sina beschloss die Wohnung zu nehmen. Sie wollte den Umzug so schnell wie möglich hinter sich bringen. Schon am Wochenende darauf zog sie um.
Ihre Freundinnen und einige Kommolitonen packten tüchtig mit an, so dass Sina schon am Sonntagabend gemütlich in der Liege auf dem Balkon sitzen konnte und ihren Long Iland schlürfte. Borrris hatte sich ein paar Tage zuvor abgemeldet, weil er auf eine spirituelle Exkursion wollte, was immer das auch heißen mochte. Sina war es recht, dass männerfreie Zone war. Sie beschloss ihre Freundin anzurufen, um noch ein wenig die Stadt unsicher zu machen. Nun konnte sie ja wieder auf die Kacke hauen, flirten, baggern und Abschleppen.
Einen Benjamin gab es schließlich nicht mehr in ihrem Leben. Zwar vermisste sie ihn noch sehr, aber Köln hatte ja auch noch weit mehr als einen Mann zu bieten.
Ihr fiel der Spruch ihrer Oma ein: „Es gibt nicht nur eine Hand voll, sondern ein ganzes Land voll.“ An diesem Zweizeiler zog sie sich regelrecht hoch und schiss auf die Gefühle.
Nach einem gelungenen Abend schlief Sina seelenruhig ein und freute sich auf die Semesterferien, die am nächsten Tag begannen.
Mit den Semesterferien begann auch die chaotischste Horrorzeit, die sie sich jemals erträumt hatte…
Pünktlich um sechs Uhr morgens wachte Sina von einem Rumpeln und Pumpeln auf.
Sie wusste gar nicht wie ihr geschah, als dann auch noch die Tür zu ihrem Zimmer aufflog, das Licht anging und ein völlig zerzauster Borrris vor ihr strand. Mit einem fiesen Grinsen stand er vor ihr und sagte: „Willkommen im neuen Reich, Baby. Wollte mich bloß wieder anmelden!“ So schnell er hineinkam, ging er auch wieder. Mit einem lauten Knall ging die Türe zu und der Lärm ging in der Küche weiter. Nach einer Viertelstunde reichte es Sina. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie ging in die Küche und fragte Borrris, ob er vielleicht mal auf den Tacho geschaut hätte und was denn der Krach sollte. Borrris war gerade dabei sich eine riesengroße Portion Spagetti mit Tomatensoße in sich hinein zu schaufeln. Natürlich mit den Händen und aus dem Topf. „Auch ein paar Teigfäden gefällig?“ fragte er grinsend.
„Nein Danke!“ erwiderte Sina, ging ins Bad um sich Ohropax in die Lauscher zu stopfen und ging ins Bett. Zwischendurch kniff sie sich feste in den Arm und hoffte innig, dass Alles nur ein böser Traum sei und sie am Vorabend zu viele Cocktails zu sich genommen hatte.
Ungefähr eine halbe Stunde später kehrte endlich Ruhe ein und Sina konnte weiterschlafen.
Am späten Morgen wachte sie auf. Sie fühle sich hundsmiserabel. Vom Vorabend, den Gedanken die sie wegen Benjamin plötzlich wieder plagten und dem schrecklichen Vorfall von der Wach-mach-Aktion ihres neuen Mitbewohners.
Sie wollte nicht wissen, was sonst noch auf sie zukommen würde. Langsam wurden die Niederlagen unheimlich. Erst die Asiatin, dann der Rauswurf und nun auch noch ein Mitbewohner, der wohl nicht mehr alle am Christbaum trug.
Dass dieses der Fall war merkte sie schon nach dem ersten längeren Gespräch beim Frühstückstisch. Der holde Herr studierte Philosophie und drehte ihr jedes Wort im Munde um. Außerdem hatte er eine gewisse unappetitliche Art an sich. Das war ihr leider beim ersten Treffen nicht aufgefallen. Sie hätte noch zig Sachen aufzählen können, die ihr von missfielen und unangenehm auffielen. Vielleicht war sie wegen ihrer momentanen Situation ein wenig überempfindlich. Aber sie hielt sich für einen sehr toleranten Menschen.
Dass sich Jemand in Anwesendheit einer Frau die Fuß und Fingernägel am Frühstückstisch schnitt, diese feinsäuberlich zu chinesischen Zeichen zusammenlegte und dabei Mantras sang, war Alles andere als normal. Hinzu die anderen Kleinigkeiten, bei denen selbst ihre Freundin Theresa, die so gut wie Alles gewohnt war, die Nase gerümpft hätte.
Schon in der nächsten Nacht erlebte sie wieder eine unangenehme Überraschung. Von einem dumpfen Getöse, einem Art Grölen wurde sie wach. Sie saß kerzengerade im Bett und fragte sich was das nun schon wieder sei. Der Blick auf die Uhr verriet, dass es Punkt 3 Uhr war.
Erbost stapfte sie ins Zimmer und bat um Ruhe. Borrris antwortete vergnügt, dass er den Erdklang auf seinem Didgeridoo üben würde. Sina wurde wütend und meckerte ihn an, dass sie zwar neu sei und sich ungern etwas erlauben dürfe, aber dennoch auf Nachtruhe bestehen dürfte. Immerhin würde sie hier auch wohnen und die Miete zahlen. Da wäre doch ein wenig Ruhe in der Nacht drin. Borrris verstand dieses, bließ noch einmal einen dumpfen Ton in die Bambusröhre und gab dann endlich Ruhe. Angenervt ging Sina zurück ins Bett und ärgerte sich, dass ihr die Männer immer den Schlaf raubten. Wie oft hatte sie wegen Streit und Liebeskummer wach im Bett gelegen. Und nun wegen unerträglichem Lärm. Hatten Benjamin und Borrris etwa etwas ausgetüftelt um sie in den Wahnsinn zu treiben?
Die Tage vergingen. Borrris hatte immer wieder neue Späße auf Lager. Komische Freunde, seltsame Musik, dumme Sprüche und Abarten hoch drei. Zum Glück war er oft unterwegs.
Entweder trommelte er sich stundenlang im Stadtpark den Wolf oder er zog mit seinen Freunden um die Häuser. Diese Momente waren einfach nur göttlich…
Seine lange rostrote Matte trug Borrris übrigens bis zum Allerwertesten und meist offen. Hin und wieder zu einem Zopf, Dütt oder gar geflochten. Seit einigen Tagen begann er sich auch das Gesicht mit diesem Filz zu bepflastern. Es war einfach kein feierlicher Anblick mehr. Davon abgesehen waren seine Haare überall. In der Dusche, auf dem Boden, dem Abwischschwamm von der Spüle und sogar in der Haarbürste. In IHRER Haarbürste. Ekelhaft fand sie das, einfach widerlich!
Am liebsten hätte sie eine Schere oder dergleichen genommen und ihn von seinem größten Stolz befreit. Aber das ging ja leider nicht…
Manchmal war Sina der Verzweiflung nahe. Sie ging Borrris so gut es ging aus dem Weg. Wenn ein Gespräch stattfand, dann war es eher ein oberflächlicher Plausch mit integriertem Schwachsinn seinerseits. Sina hielt es nicht mehr länger aus. Sie war der Verzweiflung nahe und kotze sich erst einmal tüchtig bei ihrer Freundin aus. Diese riet ihr zu einem baldigen Umzug. Dass ließ sich Sina nicht zweimal sagen und stiefelte zur Uni, um nach Aushängen Ausschau zu halten. Leider war nichts weiter als eine Untermiete bei einer Seniorin sowie einer zwei Zimmer WG in der Hauabstrasse frei. Hauabstrasse? Bei diesem Wort erstarrte Sina. Sie musste sich die Anzeige gleich dreimal durchlesen, bis sie realisierte, dass es sich um Benjamins Wohnung handelte. Es überkam sie große Schadenfreude. Die Asiatin schien es wohl bei ihm nicht ausgehalten zu haben. Oder er nicht mit ihr. Mit einem triumphierenden Lächeln ging sie in die Eisdiele um sie eine „Blaue Lagune“ zu gönnen.
„Nein“ – zu Benjamin zurück würde sie nicht gehen. Davon abgesehen würde er sie bestimmt auch nicht haben wollen. Es würde bei ihm ohnehin nicht lange dauern, bis er wieder eine Mitbewohnerin oder so etwas in der Art aufgerissen hätte. Aber der Gedanke, dass er nun allein auf der teuren Wohnung saß und auch noch von seiner Liebesgöttin verlassen war, tat ihr unheimlich gut!
Als Sina nach einem Stadtspaziergang nach Hause kam, war es schon verdächtig still in der Wohnung. Irgendetwas würde sie sicherlich erwarten. Die Tür zu Borrris war zu und neugierig lauschte sie daran. Sie hörte ein Rascheln. Dann wieder Stille. Plötzlich ging die Tür auf. Zu Tode erschrocken zuckte Sina zusammen uns stieß einen Schrei aus. „Pssst!“ sagte Borrris und machte die Tür wieder zu.
Völlig verwirrt begab sich Sina in ihr Zimmer und machte den CD Player an.
„Tell me lies“ ertönte in den höchsten Tönen aus ihrem CD Player.
Keine zwei Sekunden später preschte Borrris in ihr Zimmer und bat sie ausdrücklich um absolute Ruhe. Am liebsten hätte sie ihm die Topfpflanze mitsamt Kübel an den Kopf geschmissen. Jetzt drehte er wohl völlig durch. Gerne hätte sie den CD Player auf volle Lautstärke gedreht und CDs wie „Fuck you“ oder „Männer sind Schweine“. Aber das wagte sie nicht. Sie hatte Respekt vor ihm. Also nahm sie ein Buch zur Hand und lehnte sich in den kleinen bequemen Ikea-Sessel. Wenigstens war es ruhig nebenan. Mucksmäuschen still. Verdächtig still.
Hatte Borrris etwas Frauenbesuch? War der lautstarke Rüpel beim Akt etwa schweigsam wie ein Lamm? Vielleicht machte er auch wieder einer seiner Asanas, jenen Yogaübungen, die die Freaks im Stadtpark ständig machten. Sie hoffte, dass er seine Beine hinter dem Kopf nicht mehr wegbekommen würde und schmunzelte bei der bizarren Vorstellung vor sich hin.
Plötzlich klopfte es an der Türe. Was war das denn nun? Ruhig und gelassen kam Borrris herein. Anscheinend hatte der Blümchensex oder die Yogaübung Wunder gewirkt. Er entschuldigte sich sogar für den Anschiss und sagte, dass „er“ nun schlafen würde.
Wer war er??? Borrris verließ den Raum und Sina schaute ihm Kopfschüttelnd hinterher.
Sie fragte sich, ob er für einen seiner „Brüder“, wie er seine Kifferfreunde so schön nannte, ein Schlaflied auf der Luftgitarre gespielt hatte. Eigentlich war es ihr auch egal. Sie brauchte sich eh über nichts wundern. Und spätestens mit der neuen Wohnung hätte der Schabernack ja ein Ende. Sina ging in die Küche um sich eine Cola zu trinken. Der grüne Tee von Borrris zog friedlich vor sich hin und Herr Mattenschwinger Deluxe saß auf dem Balkon und qualmte sich Eine. Was war das??? Auf dem Küchentisch stand eine Packung mit der Aufschrift „Hundemilchpulver“ War Borrris nun völlig übergeschnappt? Was wollte er denn damit? Brachte das den Kick im Tee? Mischte er sich das unter das Essen? War es ein neues Potenzprodukt. Kaum hatte Sina den letzen Gedanken gesponnen, kam Borrris in die Küche, zeigte auf die Hundemilchpulverpackung und meinte: „Für meinen kleinen Freund!“
Sina verkniff sich weitere Fragen, trank ihre Coke in einem Zug aus und machte sich auf den Weg zu einem Kumpel, auf den sie neuerdings ein wenig spitz war.
Gegen zwei Uhr nachts kam Sina zurück in die Wohnung gepoltert. Sie hatte ein wenig zu tief ins Glas geschaut. Der Kumpel hatte Spendierhosen an und Sina durfte die Schnapskarte der Kneipe „Lampenan“ rauf und runter trinken. War das ein Spaß, heidewitzka. So einen tollen Abend hatte Sina lange nicht mehr erlebt. Es gab sogar einen intensiven Abschlusskuss.
Besser hätte der Tag nicht verlaufen können. Ruhe in der Wohnung, Geld gespart und eine neue Eroberung. Vergnügt torkelte Sina in ihre Zimmer und schlug sich mit Klamotten auf ihr Bett. Ausnahmsweise konnte sie mal sofort einschlafen. Wurde weder von Krach, noch von Gedanken an Benjamin wach gehalten.
Am nächsten Tag, sagen wir nächsten Mittag wachte Sina mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf. Ihr taten alle Knochen weh und sie erinnerte sich auch wieder an den Abend. Stöhnend packte sich Sina an den Kopf, drehte sich um und schlief weiter.
Ungefähr eine halbe Stunde später wachte Sina von einem seltsamen Geräusch auf.
Sie konnte sich nicht erklären, was das war. Es hörte sich wie eine Art Fiepen oder Winseln an. Kurze Zeit später kam auch Borrris schweißgebadet in ihr Zimmer geplatzt und meinte: „Ich war nur kurz im Edeka und als ich wiederkam, war er weg! Überall habe ich ihn gesucht“ Sekunden später sah Sina nur noch Borrris Flickenhosenhintern und den zersplissten Zipfel seines Pferdeschwanzes. Sie hätte ihm am liebsten einen Tritt mit den Hacken gegeben. Was um Himmelswillen wollte er unter ihrem Bett? Sinas Birne dröhnte immer noch. Plötzlich, wie von Sinnen, kroch Borrris unter dem Bett hervor und schob es mitsamt Sina beiseite.
Wieder das seltsame Geräusch. Kurze Zeit später hatte Borrris ein dunkelbraunes Fellknäuel auf dem Arm und verließ das Zimmer. Sina, die verblüfft aufrecht im verrutschten Bett saß, ließ sich seufzend nach hinten fallen und fragte sich ob sie träume oder langsam verrückt würde.
Einige Zeit später klopfte sie bei Borrris an die Tür. Er hatte tatsächlich einen kleinen zuckersüßen Hund auf seinem Arm, der gierig Milch aus einer Flasche trank und dabei mit seinem kleinen Hundeschwänzchen wedelte. Wie süß war das denn? Jetzt wusste sie auch, was Borrris mit der Milch machte. Woher hätte sie das auch wissen sollen? Ein Hund taucht schließlich nicht einfach so auf. Borrris erzählte ihr die ganze Geschichte. Von dem Karton, den er beim Stöbern in der Mülltonne gefunden hatte und in dem der kleine hilflose Hund saß, bis hin zur letzen Nacht, die er pausenlos damit verbracht hatte den Hund dazu zubringen, endlich Nahrung zu sich zu nehmen. Dieses war ihm sichtlich gelungen. Dem kleinen Racker ging es schon ein ganzes Stück besser. Sina fragte sich, wie herzlos Menschen sein können, die einen Welpen in die Tonne werfen und wunderte sich um so mehr um Borrris, der solch ein großes Herz für Tiere hatte. Das machte ihn ja gleich sympathisch. Sina fragte, ob sie den kleinen Hund, der übrigens schon den Namen „Odin“ bekommen hatte, auch einmal halten dürfe. Als Borrris ihr das kleine Wollwesen übergab, berührten sich ihre Hände kurz und auch die Blicke trafen sich für einen Bruchteil der Sekunde. Vorsichtig hielt Sina das kleine Wesen auf ihrem Arm und wollte es gar nicht mehr hergeben. Nach ca. zwanzig Minuten und einem voll geschissenen Ellebogen war der kleine Racker eingeschlafen. Sie legte ihn vorsichtig auf das für ihn vorgesehene Patchworkkissen. Einige Zeit später wurde Sina bewusst, dass sie noch nie so lange in Borrris Zimmer gewesen war. Neugierig wanderten ihre Blicke über die Traumfänger an der Wand, den psychedelisch bunten Bildern, den seltsamen Instrumenten und dem Poster an der Tür. „Only after the last tree has been cut down, the last river has been poisoned, the last fish has been caught, only then will you find, that money cannot be eaten“
Sie konnte es kaum glauben. Da hatte der Typ doch wahrhaftig das gleiche Poster an der Zimmertüre wie sie. Langsam wurde es unheimlich. Sie hatte einen tierlieben Naturfreund als Mitbewohner. Genau das, was sie sich eigentlich immer erträumt hatte. Schnell schob sie den Gedanken beiseite und wurde hektisch. Borrris saß immer noch genau an der selben Stelle, mucksmäuschenstill und schaute sie an. Sie glotze zurück und er lächelte. Es war ganz still in dem Moment. Irgendwie unangenehm. Sina meinte, sie würde nun mal langsam zurück in ihr Zimmer gehen, fragte aber, ob sie sich künftig auch um den neuen Mitbewohner kümmern könnte. Im Zimmer setze sie sich vor den PC und versuchte an ihrer Diplomarbeit zu schreiben. Langsam musste sie mal damit anfangen. Irgendwie konnte sie sich aber nicht konzentrieren. Ihre Gedanken wichen immer wieder ab zu dem kleinen Hund und dem Borrris, der sich so liebevoll um ihn gekümmert hatte. Sie musste zugeben, dass sie ein wenig gerührt war. Der Gedanke gefiel ihr natürlich nicht. Sie begegnete diesem Mann schließlich schon fast vom ersten Tage an mit Abscheu und nun fand sie ihn plötzlich nett. Die Sache mit dem Hund, das Poster und dieses seltsame Lächeln hatte sie irgendwie zum Grübeln gebracht.
Darauf musste sie erstmal einen Kaffee trinken. Sie war ohnehin noch nicht ganz fit.
Sie brühte sich einen extra starken Kaffee und hantierte mit der Büchsenmilch herum.
„Soll ich dir helfen?“ fragte plötzlich Borrris, den sie gar nicht bemerkt hatte und der wie ein Pilz aus dem Boden plötzlich hinter ihr stand. Erschrocken drückte sie ihm die Dose in die Hand. Mit einem elegantem Schwenker hatte er diese geöffnet und gab sie Sina in die Hand.
Dabei schaute er Sina tief in die Augen. Grüne Augen hatte er. Richtig schöne grüne Augen.
Richtig fiese grüne Augen natürlich. Sina riss sich zusammen, bedankte sich cool und ging mit ihrem Kaffee ins Zimmer. Das war einfach wieder Alles zu viel für sie…
Im Laufe des Tages saß sie mindestens noch vier Mal bei Borrris im Zimmer. Sie spielten mit dem Hund, fütterten und streichelten ihn und erzählten sich von Gott und der Welt.
Ein paar Tage vergingen. Das Verhältnis von Sina und Borrris hatte sich sichtlich verbessert. An eine neue Wohnung wurde derzeit gar nicht gedacht…
Eines Abends fragte Borrris, was Sina denn noch so vorhätte. Er sagte, dass er wohl die nächste Zeit viel zu Hause verbringen würde, wegen dem kleinen Odin, den er schon seinen Sohn nannte. Sina antwortete, dass sie noch mächtig vom Vortag, an dem sie auf einem Geburtstag war, geschafft sei und den Abend auf dem Balkon ausklingen lassen würde. Borrris fragte freundlich, ob der Balkon ausnahmsweise auch einmal zu zweit benutzt werden dürfe. In den letzten Wochen hatten sie einen regelrechten Balkonplan aufgestellt, damit sie sich nicht auf dem sonnigen Fleck in die Quere kommen mussten. Selbst in den letzen Tagen herrschte noch ein kleiner Revierkampf.  Sina wollte die Frage erst verneinen, hatte aber innerlich plötzlich nichts dagegen. Es war ihr sogar schon fast eine Freude, auch wenn sie das in hundert Jahren nicht zugeben würde. Der Abend wurde also auf dem Balkon verbracht. Mit Bier, Borrris und Odin. Zwischendurch bekam Sina den Anblick von einigen kuriosen Yogastellungen und in den Genuß vom Erdklang Nummer Drei aus dem Didgeridoo kam sie auch. So übel hörte sich das Grunzen und Röhren gar nicht an. Fast wie ein Hirsch, dachte sie.
Sie beobachtete Borrris, wie er seine Backen aufblies und seine Nasenflügel sich kurze Zeit später bewegten. Mal kamen saubere, mal schiefe Töne aus dem Rohr. Sina erkundigte sich freundlich nach der Herkunft des Instrumentes und Borrris erzählte begeistert von den Aboriginees, die über hundert Tierstimmen mit dem Teil nachmachen könnten.
Sina war verwundert, wie viel der freakige Mann neben ihr wusste. Ein richtiger cooler Bursche war das. Sein Outfit und sein gesamter Stil passten einfach hervorragend zu seiner Art. Bei genauerem Betrachten war er auch gar nicht so schäbig wie sie ihn immer bezeichnete. Eigentlich sogar das Gegenteil.
Borrris erzählte auch noch von seiner Rucksackreise nach Südfrankreich, bei der er Begegnung mit der Rainbowfamily gemacht hatte. Er habe ungefähr zwei Wochen von dem Geld gelebt, welches er sich täglich durch die aus Coladosen angefertigten Aschenbecher verdient hatte. Sina erzählte das erste Mal von Benjamin und ihrem Studium. Vom ausgeflippten Schüleraustausch in der Tschechoslowakai berichtete sie auch.
Es war ungefähr halb fünf morgens, als Sina und Borrris durchgefroren den Balkon verließen. Odin schlief friedlich auf seinem Kissen und Sina und Borrris wärmten sich mit einem Chai in der Küche auf…
Irgendwann ging Sina zu Bett und konnte mal wieder nicht einschlafen. Außerdem wurde es langsam schon wieder hell. Mit dem Kissen über dem Kopf und zugezogenen Vorhängen, was bei dem zartgelben Stoff natürlich nichts brachte, versuchte Sina etwas Dunkelheit um sich herum zu bekommen.
Auch Borrris lag auf seinem Bett und dachte nach. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt lag er da und starrte an die Wand. Irgendwie war ihm die kleine Zicke, die sich über jeden kleinen Fliegenschiss aufregte sympathisch geworden. So übel war die kleine gar nicht….
Gegen Nachtmittag verliess Borrris mit dem kleinen Odin die Wohnung. Gassi gehen war lange überfällig. Sina war auch schon wieder munter und das Erste was sie machte, war der Gang zum Telefon. Hastig tippte sie die Nummer ihrer Freundin, verwählte sich zweimal und hatte endlich Theresa an der Strippe. „Du weißt ja gar nicht, was mir in den letzen Tagen passiert ist….“ Theresa unterbrach sie mit den Worten, dass sie sich ja lange nicht mehr gemeldet hatte und ließ Sina dann eine Stunde, vierzehn Minuten und 3 Sekunden reden.
Wahrscheinlich hätte Sina noch weitere zwei halbe Stunden in den höchsten Tönen von dem letzen Abend geschwärmt, wären Borrris und Odin nicht plötzlich zur Tür hereinspaziert.
Schnell hielt Sina inne und wechselte ungeschickt auf ein belangloses Thema um.
Borrris zog die linke Augenbrauen hoch, strich sich verlegen eine Haarsträhne hinter sein Ohr, grinste unverschämt und verzog sich schweigend auf sein Zimmer…

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Kommentare zu diesem Text


 NormanM. (05.07.09)
Jetzt würd mich mal interessieren, wie es weiter geht, gibt es da noch einen zweiten teil irgendwann?
Vielleicht solltest du diesen teil auch schon in zwei parts aufteilen, auf PC ist es immer mühsam zu lange teile zu lesen.

Lg Norman
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