Traumfrage

Kurzgeschichte zum Thema Erkenntnis

von  Triton

Es geschah in einer schönen Nacht im August. Ein heißer Sommertag war zu Ende gegangen, die Nacht war angenehm lau und würde um Mitternacht in meinen Geburtstag übergehen. Um diese Jahreszeit kann man ein jährlich wiederkehrendes Naturschauspiel bewundern, die Sternschnuppen der Perseiden. Schon öfter habe ich mir dieses Schauspiel gegönnt, doch ist es davon abhängig, dass es eine wolkenlose, sternklare Nacht bleibt. Ich fühle mich in dieser Nacht reich beschenkt, sie entschädigt mich für manch trauriges Erlebnis der letzten Wochen; und ich betrachte es als Privileg, zu dieser Zeit meinen Geburtstag feiern zu dürfen.
Mir war bewusst, dass ich auch diesen wie schon den letzten alleine feiern würde. Lediglich ein Anruf meiner Eltern, meine Brüder würden wie gewöhnlich wahrscheinlich erst 2-3 Tage später anrufen, und im Briefkasten fänden sich maximal 3 Karten, von denen eine aus der Videothek stammt (1 Gratisfilm zum Geburtstag), eine weitere vom Augenoptiker, bei dem ich dieses Jahr eine recht teure Brille anfertigen ließ, und lediglich die dritte würde von irgend jemandem stammen, der zufällig an mich gedacht hatte. Neugierig frage ich mich, wer das wohl sein würde. Insofern wirklich eine Überraschung.

Doch diese Gedankengänge verflüchtigten sich schlagartig, als ich die erste Sternschnuppe entdeckte, es dürfte gegen 22.30 Uhr gewesen sein. Ein feuriger Lichtstreif war für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, ehe er verglühte, der Lichtstreifen wirkte noch eine Zeitlang in meinem Augenhintergrund nach. Ab jetzt hatte ich die Chance, einem statistischen Wert zufolge, pro Minute im Schnitt 2 Sternschnuppen bewundern zu können. Ich fasste den Entschluß, den Versuch zu unternehmen, sie zu zählen. Da!, 2 Streifen unmittelbar hintereinander, der erste recht schwach, aber der zweite dafür um so intensiver. 3, gemerkt, ich musste lächeln, doch nun ging es mehr oder weniger regelmäßig weiter. Als ich die Kirchturmuhr 23 Uhr schlagen hörte, waren es bereits 46, das hinkte also dem Durchschnitt doch etwas hinterher, aber die Nacht war ja noch lang, ich hatte Urlaub und brauchte somit nicht ans Aufstehen zu denken. Zudem lag ich bequem auf meiner Dachterrasse in meiner Hängematte, neben mir ein großes Glas Eistee und ein paar Kekse, und!, bereit für 0.00 Uhr, ein guter schottischer Single Malt Whisky, von dem ich mir zu meinem Geburtstag einen Doppelten genehmigen wollte.
Soeben zählte ich Nr. 100, die Kirchturmuhr hatte vor ca. 10 min 23.30 Uhr verkündet. Immer noch deutlich unter dem Schnitt, aber was sind schon Statistiken, ich bezeichne sie gerne neben der gemeinen und der Notlüge als die dritte Form der Lüge. Ich musste wieder lächeln bei diesem Gedanken.

Soeben beginnt die Uhr Mitternacht zu schlagen, während ich mir also meinen Geburtstags Whisky einschenke, sehe ich aus dem Augenwinkel die 128ste Sternschnuppe einen wunderschönen Streifen in den Nachthimmel malen. Ich stutze, soeben beginnt mein Geburtstag: Sternschnuppe 128 am soeben beginnenden 12.8.! Welch ein Omen, doch leider bin ich nicht abergläubisch. Ich finde es einen erstaunlichen Zufall, und frage mich, ob ich mich vielleicht verzählt habe. Nein, ich glaube nicht, aber übersehen könnte ich eine haben, wer weiß. Nun, ich mache mir klar, dass das natürlich eigentlich egal ist, es wird nichts verändern am Lauf der Welt, und wenn ich das irgend jemandem erzähle, wird es mir wohl sowieso niemand glauben, Übertreibungen gehören zur Natur des Menschen.
Die Nacht schreitet voran, es ist immer noch eine angenehme Temperatur, auch die um diese Jahreszeit oft häufigen Stechmücken scheinen mir ein Geburtstagsgeschenk zu machen, indem sie mich in dieser meiner Nacht verschonen.
Inzwischen hat es 2.00 Uhr geschlagen, ich bin nun bei 330, der Schnitt hat sich also ein wenig verbessert, und ich habe mir einen weiteren Whisky gegönnt. Langsam werde ich müde, und ich beschließe, sobald der Whisky ausgetrunken ist, mich in mein Bett zu begeben.

Doch was ist das??, keine Sternschnuppe!, da bewegt sich ein Stern. Ich tippe sofort auf einen Satelliten, von denen oft mal einer leuchtend in gleichmäßiger Bahn über den Himmel zieht, revidiere meine Meinung aber gleich wieder. Denn er scheint langsam größer zu werden. Sicherheitshalber schließe ich erst mal die Augen, drehe mich zur Seite und warte ein paar Sekunden, ehe ich wieder hochschaue um erneut nach dem Objekt Ausschau zu halten, wenn es denn noch da sein sollte. Es ist noch da!, und scheint weiterhin größer zu werden. Fasziniert beobachte ich es weiter, ständig nach Erklärungen suchend, aber ich finde keine. Zunehmend wird es größer, und scheint auch genau auf mich zu zukommen. Seltsamerweise kommt mir gar nicht in den Sinn, mich eventuell in Sicherheit zu bringen, das Erstaunen und die Neugier überwiegen.
Inzwischen hat es die Größe des Vollmonds, und wird größer und kommt näher. Ich nehme im Hintergrund übliche Geräusche einer Nacht wahr, ein entfernt fahrendes Auto, das Zirpen einer Grille, und irgendwas, das im Laub raschelt, eine Maus, ein Igel, oder eine Katze. Aber nichts, was ungewöhnlich wäre.
Immer noch liege ich in meiner Hängematte, das Objekt schwebt nun über mir, nur ein paar Meter entfernt. Metallisch schimmernd, doch bei weitem nicht mehr so hell wie vorher, als es auf mich zukam. Ich liege nur da, starre nach oben und stelle mir unaufhörlich Fragen, die ich selbst beantworte, und sofort wieder verwerfe. Ich beginne mich mit Tatsachen zu befassen, die mir unwiderlegbar scheinen. So stelle ich überrascht fest, dass das Objekt lediglich einen Durchmesser von ca. 6 Metern hat, für ein sogenanntes UFO wohl viel zu klein, doch wer setzt hier eigentlich Maßstäbe über etwas, von dem niemand etwas wirklich weiß? Die Höhe kann ich leider nicht abschätzen, dafür ist es zu nah über mir, und mir kommt überhaupt nicht der Gedanke, mich zu bewegen. Auch woher ich diese Ruhe nehme, auszuharren und abzuwarten, kann ich mir nicht erklären. Ich vermeine ein leichtes Brummen und Vibrieren zu vernehmen, und mir kommt es vor, als streiche etwas sanft und gleichmäßig über meinen Körper. Unwillkürlich kommt mir der Gedanke: jetzt wirst du gescannt, aber sichtbar ist nichts, ich bin mir also nicht sicher.
Unvermittelt scheinen sich in meinem Kopf Bilder und Töne zu materialisieren, mit denen ich aber nichts anzufangen weiß, auch scheinen sie sich ständig zu verändern, als wenn etwas versucht, eine korrekte Wellenlänge zu finden. Und plötzlich kann ich verschwommen die Konturen einer Gestalt wahrnehmen. Sie strahlt nichts weiter als Freundlichkeit aus, und obwohl ich es nicht als Lächeln bezeichnen würde, scheint es etwas Vergleichbares zu sein. Die Töne sind inzwischen verstummt, und in meinem Kopf machen sich weitere Bilder breit. Ich erkenne mich selbst, wie ich dieses Objekt betrete, und wie es sich mit mir von der Erde entfernt. Ich habe das Gefühl, als sei dies eine Art Fragestellung, ob ich bereit bin, genau das zu tun. Auch wird mir unmissverständlich klar gemacht, dass es meine eigene Entscheidung ist, dass es mir freisteht, dieses Angebot anzunehmen oder abzulehnen.
Ich beginne darüber nachzudenken, meine Gedanken überschlagen sich, ich frage mich, auf was ich mich einlasse, ob ich zurückkehren werde oder nicht. Was würde ich hier aufgeben, oder andererseits welche Chance würde sich mir bieten, was würde ich möglicherweise versäumen? Sehr schnell jedoch wische ich alle Zweifel beiseite, und ich beginne nun selbst die Bilder in meinen Kopf zu formen die zeigen, wie ich dieses Objekt betrete. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass jedes Risiko diese Erfahrung wert ist, was auch immer sie für mich bereithalten mag.
Inzwischen beginnt bereits das Objekt, sich auf meine Höhe zu begeben, ich verlasse meine geliebte Hängematte und zögernden Schrittes bewege ich mich darauf zu. Keine Veränderung ist feststellbar, und dennoch weiß ich, dass ich einfach darauf zu und sozusagen durch die scheinbare Hülle hindurchgehen kann. Ich befinde mich nun in einem kleinen Raum, in dem sich lediglich etwas befindet, das einer Liege ähnelt. Ich weiß, dass ich mich darauf legen muss, und ich bin eigentlich nicht überrascht, dass es sich perfekt meiner Anatomie anpasst. Niemals vorher hatte ich eine bequemere Haltung, einfach perfekt. Obwohl ich absolut nichts davon spüre, weiß ich, dass ich mich bereits rasend schnell von der Erde entferne, denn in meinem Kopf kann ich wiederum Bilder erkennen, die mir eine immer kleiner werdende Erde zeigen, wie um mir noch einmal Gelegenheit zu geben, meine Entscheidung zu überdenken. Ich bestätige diesen Eindruck nochmals, indem ich die zustimmenden Bilder in meinem Kopf forme, dann scheint mich der Schlaf zu übermannen.
Ich bewege mich einer ungewissen Zukunft entgegen, restlos überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Ich erwache im Morgengrauen in meiner Hängematte in dem Moment, da mir mein Kater von seiner Nachtschicht kommend auf den Bauch springt. Während er mir schnurrend seine Krallen in die Haut bohrt, frage ich mich, ob es ein Traum war, oder ob ich bereits zurück bin von meiner Reise.

Ich habe keine Antwort darauf, aber eine sichere Antwort auf die Frage, was ich tun würde, wenn....

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Kommentare zu diesem Text

Inga (46)
(25.08.04)
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 Triton meinte dazu am 25.08.04:
Danke für Deine Bewertung und daß Du die Geschichte sooooo hoch einschätzt, aber ich glaube, diese Trauben hängen dann doch etwas hoch, lächel. LG Triton
Waterlily (30)
(25.08.04)
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 Triton antwortete darauf am 25.08.04:
Danke für diesen schönen Kommentar und die Bewertung. was das PS betrifft: nichts zu danken, es freut mich, daß Ihr Euch so gut versteht. LG Triton
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