Muttertag

Skizze

von  Persephone

Eine Fliege hatte sich arg in einem Spinnennetz verfangen und kämpfte mit letzter Kraft um Befreiung. Zum großen Unglück jener machte sich die Kreuzspinne bereits auf den Weg zu ihrer Beute, um sie mit silbernen Fäden einzuwickeln. Das Leben kann grausam sein.

Ich beobachtete diese mörderische Szene, als ich auf einer Wiese nahe dem Inn auf einer rot-schwarz karierten Picknickdecke lag. Neben mir auf der Erde fand ich meine Rucksack und eine Flasche gefüllt mit Eistee.
Ich strich mir die Hitze von der Stirn und widmete mich wieder meinem Buch: Flauberts „Madame Bovary“. Eine Geschichte über eine unglückliche, aufgrund ihrer Träumen und Sehnsüchte vom wahren Leben enttäuschte Frau. Während ich las und die Sonnenstrahlen genoss, strich ein kühler Wind über das kleine Stückchen Grün, wie es in dieser Art mehrere in der Großstadt zu finden gab.
Nach einer kurzen Weile im Frankreich des 19. Jahrhunderts legte ich das Buch nieder und richtete mich auf. Ich löste das Haarband, um meine Haare wieder zusammenzubinden. Dann ließ ich meinen Blick über diesen herrlich warmen Sommertag gleiten: Es saßen noch weitere Sonnenbader alleine oder beisammen in Gruppen auf der Wiese. Kinder spielten Fußball oder rannten um die Wette. Eine einzige Idylle.

Eine Frau schritt den Spazierweg entlang- mit einem Kinderwagen, in dem ein Säugling in einem rosaroten Strampelanzug saß. Ich war auf den ersten Blick erstaunt über das Bild, das sich mir bot, denn jene Frau war in alte, zerrissene Kleider gehüllt und sie schien ihr ganzes Hab und Gut in den Plastiksäcken zu verwahren, die an den Griffen des Kinderwagens hingen. Es verwirrte mich deshalb ein wenig, da ich mir nicht vorstellen konnte, wie eine Obdachlose ein Kind ernähren konnte. Oder wie sie es generell verantworten konnte, unter solchen Lebensumständen ein Kind großzuziehen.
Ich sah ihr zu, wie sie den Buggy mit Sack und Pack und Baby auf dieselbe Wiese schob, auf der auch ich saß. Sie ließ sich in einiger Entfernung zu mir nieder und griff nach einer ziemlich sauberen Decke, die sie im Netz des Wagens aufbewahrt hatte. Sie breitete diese auf dem saftiggrünen Gras im Schatten eines Haselnussstrauches aus, während sie gleichzeitig ruhig mit ihrer Tochter sprach. Tochter, weil ich dies aus der Farbe des Strampelanzugs herauszulesen glaubte,. Anschließend errichtete sie aus mehreren Kissen ein gemütliches Lager für die Kleine, um sie dann aus dem Kinderwagen zu heben. Sanft wiegte sie das Kind in ihren Armen, küsste es auf die Stirn und bettete es auf das Lager. Scheinbar völlig regungslos lag es auf seinen Kissen und seine Mutter lächelte und redete fröhlich mit ihm. Sie neigte den Kopf zu ihrer Tochter, um sie mit ihren Haaren am Hals zu kitzeln.
Dann zauberte die Frau aus einem der vielen Säcke eine zerschlissene, fleckige Wickeltasche hervor. Sie zog dem Kind den Strampelanzug aus und entledigte es dann auch der Windel, um es daraufhin zu säubern und frisch zu wickeln. Sie war so liebevoll, so zärtlich bei der ganzen Sache. Ich konnte mir das Seufzen nicht verkneifen, das diese Harmonie mir entlockte. Als sie fertig war, kuschelte sie sich sacht an ihr Kind und schloss die Augen.
Ich selbst sah auf die Uhr und bemerkte, dass es Zeit für mich war zu gehen. Deshalb nahm ich noch einen Schluck des -mittlerweile lauwarmen- Eistees, packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Heimweg. Dabei kam ich auch an dem Mutter-Kind-Gespann vorbei…
…und erstarrte für eine Sekunde, als ich die Obdachlose neben einer Puppe schlafend erblickte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen… die Einsamkeit verhüllend.

Das Leben kann grausam sein.


Anmerkung von Persephone:

Da ich nicht so geübt bin im Schreiben von Prosatexten, bin ich hier besonders froh über kritische Rückmeldungen!

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Kommentare zu diesem Text


 Sternenpferd (09.07.06)
ich finde ihn gelungen,sehr eindrucksvoll, ja traurig und doch....aus dem leben gegriffen.
nachdenkliche grüße
*sternenpferd*
(Kommentar korrigiert am 09.07.2006)

 Persephone meinte dazu am 09.07.06:
Schönen Abend! Du, ich danke dir herzlich für deine Rückmeldung! Wie gesagt, ich schreibe nicht so oft Prosatexte..., weshalb mich dein Kommentar besonders freut! liebe grüße
hüllenlos (29)
(20.07.06)
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 Persephone antwortete darauf am 15.09.06:
Hallo Nicole! *g* meine antwort kommt ja ganz schon verspätet... lebendig ist gut... ich habe versucht die szene realistisch zu schildern... ich bin selbst noch nicht ganz zufrieden und habe beim überarbeiten mal dieses mal jenes geändert... es passt mir noch nicht... )
Aber ich danke dir sehr für deinen kommentar... und das mit dem "ein" werde ich mir überlegen... liebe grüße

 souldeep (16.09.06)
diese geschichte hab ich nun schon mehrere male gelesen - und ich finde sie gut. sie ist in meinen augen mehr als eine skizze...sie ist eine gute skizze, eine ziemlich ausgereifte.

obwohl ich schnell den verdacht hegte, die frau könne nicht echt mutter sein -bis hin zu entführung und besuchstag- ist dir das mitnehmen im text gelungen.
um die spannung etwas zu erhöhen, könntest du vielleicht den part nach dem windel-wechsel so beschreiben, dass das kind einfach daliegt - nicht scheinbar regungslos...denn das macht spätestens hellhörig.

gern gelesen!
liebe grüsse dir
kirsten

 Persephone schrieb daraufhin am 16.09.06:
danke dir, liebe kirsten! die tipps kann ich gut umsetzen! stimmt... das "regungslos" verrät schon zuviel. ich dank dir viiieelmals, dass du dir den text angeschaut hast! und hab dank für die empfehlung! ich werde mir den text noch einmal genauer anschauen. liebe grüße dir
alien (24)
(17.09.06)
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 Persephone äußerte darauf am 17.09.06:
die geschichte hat in dem sinne wirklich ein "happy-end"... schließlich ist die "mutter" so glücklich...und wenn es ein "echtes" kind wäre, wäre so ein leben für das baby wieder schlimm... danke dir fürs lesen und fürs kommentieren! lg p*
C.S.Steinberg (43)
(17.09.06)
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 Persephone ergänzte dazu am 17.09.06:
liebe cashimaé, ich danke dir für deine rückmeldung und deine ehrliche meinung lg zurück
Woelfin (40)
(13.10.06)
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 Persephone meinte dazu am 13.10.06:
Ich danke dir für dieses positive und konkrete Feedback! :) Schön zu lesen, dass er dich "gefesselt" hat ... :)) lg persephone
kersmi (38)
(28.11.06)
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 Persephone meinte dazu am 01.12.06:
Schön zu lesen. :)) Danke dir vielmals!!
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