Etwa soo??

Kurzgeschichte zum Thema Humor

von  tastifix

Ich war damals noch ein Kind, als das passierte, wovon ich jetzt berichten möchte.

Wir wohnten in einer sogenannten guten Wohngegend. In unserer Straße längs eines Parks reihte sich Mietshaus an Mietshaus, jedes mit vier Etagen. Es waren überwiegend gutsituierte Familien, die dort wohnten. Das ist wichtig zu wissen, da nicht ohne Bedeutung für meine nachfolgende Geschichte.

Meine Eltern verstanden sich mit den Mitmietern recht gut. Besonders gut mit der Familie des über uns wohnenden Anwaltes, dessen Frau für meine Mutter sehr viel Sympathie empfand. Der Kontakt wurde herzlicher, die Gespräche privater, Besuche häuften sich. Soweit war nichts dagegen einzuwenden.

Doch mit zunehmender Vertrautheit zeigte sich Frau Anwalt sehr aufdringlich, riss schließlich das Steuer in dieser "Beziehung" gänzlich an sich. Wir wurden dabei nicht weiter um unser Einverständnis gefragt. Das wurde vorausgesetzt.

Wie wir bald feststellten, da es auch nicht zu überhören war, redete unsere neue Bekannte sehr gerne. Sehr gerne, um es vorsichtig auszudrücken. Vorsichtig, denn zutreffender wäre gewesen:
"Sie quasselt ununterbrochen oder nur unterbrochen, um nach Luft zu schnappen!"
Sie gehörte zu den Menschen, die alles und über jeden alles wusste. Aanstrengend!!

Doch dabei allein blieb es leider nicht. Ja ja, die zunehmende Vertrautheit...seufz:
Die führte dazu, dass sich Frau Nachbarin nach geraumer Zeit angewöhnte, zu jeder noch so unmöglichen Tages- bzw. Abendzeit - nachts durften wir schlafen! - bei uns aufkreuzte. Vor allem die Mittagszeit bevorzugte sie für ihre inzwischen von uns ach soo sehnsüchtig erwarteten Besuche. Ich glaube, sie wählte die Mittagszeit, die Zeit der Ruhe, deswegen, weil sie wusste, da lag Mutti zwecks Mittagsschläfchen im Bett. Besonders herzliche Aufnahme in diesen Stunden erschien ihr da anscheinend als garantiert.

So auch an dem besagten Tage.
Mutti hatte sich erschöpft zum Nickerchen zurückgezogen und war eingedöst. Prompt schellte es, nicht nur einmal lang, nein, sicherheitshalber zweimal. Frau Nachbarin erahnte, Mutti lag im Bett. Es bestünde ja die Gefahr, dass sie einmal nicht freudig erregt dem Traumland ´Adieu` sagte.

Das mehrfache Bimmeln brachte meine Mutter in die Senkrechte:
"Mensch, nicht schoon wieder!"
Sie rollte gereizt mit den Augen, streifte, notgedrungen der Höflichkeit gehorchend, den Morgenmantel über und  wanderte zur Türe. Gleichfalls dem guten Benimm gehorchend kriegte sie gerade rechtzeitig ihre angesäuerte Miene in den Griff und öffnete. Wer da war...?

Natürlich gut gelaunt und anscheinend frisch ausgeschlafen stand Frau Ich-bin-hier-fast-zuhause ihr gegenüber und strahlte sie an. Anstatt Muttis Aufforderung, doch hereinzukommen, abzuwarten, stürmte sie unternehmungslustig und wie selbstverständlich unsere Diele. Mittlerweile kannte sie unsere Wohnung aus dem EffEff bis in die kleinste Ecke. Nichts blieb ihr verborgen, keine noch so banale Veränderung, keine Neuerwerbung, und war die noch so klein.



Meine Mutteer und ich standen da sprachlos und wagten uns nicht mehr von der Stelle zu rühren.
"Gibt es bei uns etwas Neues, vorüber wir unsere Miss Marple eigentlich pflichtbewusst hätten sofort in Kenntnis setzen müssen?"
Wie kleine Sünder standen wir dort.
"Oh weia!", fiel mir da ein und es lief mir kalt den Rücken ´runter.
"Gestern, gestern...der Wahnsinnseinkauf. Wenn sie den findet...?!“
Mein schlechtes Gewissen regte sich. Ich blickte hilflos zu Mutti. Ich sah ihr an, auch ihr Gewissen blieb nicht länger untätig.

Gottlob sauste Miss Marple diesmal entgegen ihrem sonstigen Hang zur Gründlichkeit, zu unserem Glück alles nur flüchtig überprüfend, in Blitzesschnell durch sämtliche Räumlichkeiten. Das Elternschlafzimmer sparte sie aus. Mutti und ich waren erleichtert. Da drinnen stand nämlich unser Einkauf vom Vortage.

Hätte sie den entdeckt, wären  aus der obligatorischen Besuchszeit von zwei Stunden mindestens drei Stunden geworden, weil sie mit Vorliebe dann zu jeder Kleinigkeit ihren Senf dazu gegeben hätte. Noch schlimmer endete es, falls sie uns ihre Zustimmung verweigerte.

Gingen wir aber dann davon aus, sie suchte zufrieden wieder den eigenen Herd auf, täuschten wir uns gewaltig. Bald sollte uns klar werden, weshalb die tägliche Prüfung dermaßen oberflächlich vonstatten gegangen war. Unsere Frau Nachbarin war mittlerweile wieder am Ausgangsort ihres Rundganges, der Diele, eingetroffen und überlegte eine Sekunde lang. Eine Sekunde des Hoffens für uns, der Kelch ginge an uns vorüber. Zu früh gefreut!

Anstatt in Richtung Treppenhaus zu marschieren, wandte sie sich um, beschrieb einen Halbkreis auf der Stelle und spurtete los in unser Wohnzimmer, Mutti und ich fassungslos ob dieses Überfalls hinterdrein. In aller Gemütsruhe ging sie zum Fernsehschrank, klappte dessen Türen auf und drückte ungerührt der Tatsache, dass das ja eigentlich unser Flimmerkasten war, auf den Knopf „On“. (Ach ja, richtig, heute lief eine Sendung mit Kulenkampf.)

Ihre Mimik war meiner Mutter inzwischen doch ein wenig entglitten. Jedenfalls zeigte sie ein nur noch verkrampftes Lächeln. Sie wollte ja Krach mit Nachbarn vermeiden. So suchte sie nach einer passend formulierten Bemerkung, die Frau Unverschämtheit aus ihrem Rausch erwecken konnte. Leider fiel ihr so schnell keine ein.

Es kam noch besser: Unsere da heißgeliebte Nachbarin ließ sich in den nächstbesten Sessel (es war der Ohrensessel meines Vaters) fallen und meinte:
„Hach, Tante usw., jetzt ist das doch erst richtig gemütlich!“
Uns fehlten einfach die Worte.


Doch das ging dummerweise nur uns so. Vielleicht hatten ja die Rhetorikkünste ihres Mannes auf sie abgefärbt. Jedenfalls quasselte sie ununterbrochen. Zuerst zog sie im „Goldenen- Blatt-Stil den Hochadel durch den Kakao:
„Stellen Sie sich bloß ´mal vor: Queen Elizabeth war letzte Woche an einer Grippe erkrankt. Die Arme, sie hat dauernd niesen müssen!“
Wir schwiegen lieber und schämten uns. Das war uns doch tatsächlich entgangen. Das hatte die Tagesschau nicht erwähnt. Ob deren Niveau so langsam nachließ?
Gemessen an dem , was Frau Neugierde dann alles so an Neuigkeiten von sich gab, musste sich das besagte Blatt verstecken. Soviel hatte es in keiner einzigen seiner Ausgaben zu bieten.

Das Kapitel fand denn doch ein Ende. Es folgten höchst informative dreißig Minuten über die Glimmerwelt der Filmsterne und –sternchen. Danach folgte eine weitere halbe Stunde mit ausführlicher Aufklärung über das Privatleben der Sportgrößen.
Mutti versuchte, nicht desinteressiert zu wirken und meinte an halbwegs passenden Stellen des Berichtes:
„Hm...also wirklich...ja??“
Inzwischen waren wir in Schweiß gebadet und müde bis zum Umfallen.

Kurz darauf ging – oh Wunder - selbst Frau Nachbarin der Quasselstoff aus.
Sie erhob sich, vergaß allerdings das Fernsehen wieder abzuschalten (das machten wir dann, waren ja gut erzogen!), wünschte nach diesem gemütlichen Beisammensein mit uns noch eine gute Nachtruhe und rauschte endgültig ab.
„Bis morgen. Und schlafen Sie gut!“

Uns blieb das ´Auf Wiedersehen` in der Kehle stecken. Wir brachten es einfach nicht.
Total groggy verschwanden wir ins Bett.

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