Ein Nagel, noch ein Nagel... ! (1.Teil)

Kurzgeschichte zum Thema Denken und Handeln

von  tastifix

Es war vor sechzehn Jahren.
Ich wünschte mir schicke Holzmöbel für mein zukünftiges Arbeits- und Schlafzimmer. Aber bitte nicht in so´m düsteren Farbton, sondern etwas Helles, Freundliches. Ich entschied mich für massive Kiefer, gelaugt und geölt im Romantiklook und in Luxusausführung.

Ich kann Ihnen verraten:
Die Aufbauanleitung war luxeriöus unluxeriös. Die Beschriftung der einzelnen Bauelemente wirkte auf den ersten Blick wie ein total zerfleddertes Abc, das man sehr mit Bedacht sehr unbedächtig durcheinander gewirbelt hatte. Damit auch ja so gar keiner damit klar kam.

Ich war kurz vorm Streiken. Doch letztendlich hielt mich mein dringender Wunsch nach Schreibtisch plus Regalen davor zurück. Als Erstes käme der gewaltige Landhaus-Schreibtisch mit Aufsatz und allem Drum und Dran an die Reihe. Aber allein dieses Mammut-Rätsel lösen? Nie und nimmer!

Ich rief SOS und meine Freundin Angelika an: „Geka, hast du morgen Zeit, mir beim Zusammenbauen des Schreibtisches zu helfen?“ „Kein Problem. Mach` Dich nicht schon vorher verrückt. Zu Zweit schaffen wir das ganz schnell!“, war deren spontane Antwort. „Dein Wort in Gottes Ohr und in den Buchstabenkringeln der Bauanleitung!“, dachte ich dazu.

Am nächsten Tag erschien Angelika schon am frühen Morgen, gutgelaunt und sehr optimistisch eingestellt. Meine Älteste, damals elf Jahre jung, erwartete mit Spannung, was das mit unserer Bauerei denn gäbe. Allzu viel traute sie uns da wohl nicht zu. Jedenfalls zog sie ein recht zweifelndes Gesicht, schwieg sich aber zu ihrem und dann zu unserem Glück lieber dazu aus. Irgendwann sähe sie ja, welche Fantasiegebilde wir da produzierten. Dann könnte sie ja immer noch...!

Wie schonend für uns, dass wir Beiden keine Gedanken lesen konnten. Nur deshalb behielten wir wenigstens noch für die nachfolgenden fünf Minuten unseren Optimismus. Vor meinem Kinde gaben wir uns souverän und selbstsicher, so, als ob wir unser Leben lang nichts anderes getan hätten als Schrauben und Nägel in Holzlatten zu würgen und sogar dabei noch an den richtigen Stellen. Ich wollte meine Tochter in dem Glauben wiegen, wie tüchtig doch ihre Mama und erst recht deren Freundin wären.

Dabei hatte ich mehr Bange als Vaterlandsliebe. Um noch Zeit herauszuschinden, schlug ich heuchlerisch vor: „Geka, gönnen wir uns noch eben eine Tasse Kaffee oder legen wir gleich los?“ Mit einem Blick ´Dir geht die Buxe mit Grundeis!`, sah sie mich amüsiert an und traf rigoros die grausame Entscheidung: „Nix da, direkt an die Arbeit!“

Alexandra beobachtete uns lauernd. Würden ihre Mama und Angelika das wirklich allein in Angriff nehmen? Als wir entschlossenen Schrittes in mein Zimmer stapften und uns auch sofort tapfer auf die nicht so ganz kurze Aufbauanleitung stürzten, sagte sie sich wohl: „Die machen das ja tatsächlich. Ich verschwinde lieber, bevor die mir noch aus Versehen ein Brett vor den Kopf nageln!“ So hoch standen wir wahrscheinlich in ihrem Ansehen, ging es um unsere Handwerkskünste.


Ja, die liebe Aufbauanleitung:
Sie alle haben doch sicherlich eine solch allerliebste Lektüre schon einmal in oder nach dem ersten scheuen Blick darauf... auch nicht mehr in den Händen gehalten. Also, wie sieht denn ein solches Papier aus? Ich meine, falls es doch noch Leute unter Ihnen gibt, die davon Zeit ihres Lebens verschont geblieben sind.

Fangen wir doch mit dem Anfang an: So`ne Aufbauanleitung ähnelt einem DinA 4 Schulheft. Hat man Pech, auch von der Dicke her. Weil ja was drauf steht, starrt einem da ganz viel Schwarz auf weißem Untergrund entgegen. Das Schwarz ist nur unterbrochen von recht anspruchsvoll-niedlichen, da total undeutlichen Bilderrätseln. Nur die ganz Schlauen unter uns erkennen dennoch: „Jetzt weiß ich, was das sein soll! Das ist ´ne Schraube. An der ham`se nur das Gewinde vergessen zu malen!“ Auf diese Weise kann man sich auch seine eigene Intelligenz beweisen. Rätsel Nr. 1 ist gelöst.

Die Nervösität des Hobbyhandwerkers schwindet langsam. Eigentlich kann ihm jetzt nicht mehr viel der Blamage blühen. Wer auf einer solchen Abbildung sogar eine gewindelose Schraube als eine solche erkennt, der ist doch mehr als fit. Den können dann in der falschen Länge gelieferte Nägel auch nicht mehr aus der Fassung bringen. Und selbst fehlende Holzplanken nicht!!


Zurück zum Ort der Handlung: Forsch ergriff Angelika diese Broschüre, setzte eine wichtige, wissende Miene auf, die allerdings in der nächsten Sekunde seehr unwissend und ratlos wurde: „Moment! Ääh, aha... Nein, Augenblick, irgendetwas stimmt da nicht. Wo ist denn...?“

Ich pflichtete ihr in allem bei, war mindestens genauso ratlos und kurz davor, den ganzen Kram zum Nimmerwiedersehen für den nächsten Sperrmüll einzuplanen. Dies bereits nach nur einer einzigen Minute. Das konnte ja heiter werden. Mit ´ganz schnell aufbauen` wurde das ja wohl nichts!

Immerhin lernten wir denn doch noch schneller ´Bauanleitung lesen` als I-Männchen ihr ABC. Stolz ordneten wir die Buchstaben den verschiedenen Brettern, Nägeln und Schrauben zu. Komischerweise hatten dann manche Zubehörteile hinterher denselben Buchstaben. Doch um solche Banalitäten uns zu kümmern blieb keine Zeit. Da wartete schließlich ein Haufen an Arbeit auf uns.

„Am besten“, schlug Angelika weise vor,
„legen wir jetzt ´mal die Bretter der Reihe nach genau so hin wie auf der Abbildung.“
Klasse, denn überall lagen Bretter. Bretter in jeglicher Länge und Breite und mit glänzenden Kanten. Die hatten sie alle, was uns die notwendige Auswahl des Brettes Nr. A sehr erschwerte.
„Hier,“ machte ich Angelika mit meinem Geistesblitz vertraut, „das hier hat eine besonders stark glänzende Kante. Das ist bestimmt Brett A.“
„Bist Du Dir sicher?“, fragte Geka unsicher.
„Sieh` doch ´mal, dessen Kante hier scheint mir noch glänzender zu sein!“
„Aber das ist eindeutig zu lang!“, trumpfte ich auf.

Wir einigten uns auf das Brett A 1 mit der nicht ganz so glänzenden Kante und wollten es uns so richtig praktisch fürs Bearbeiten direkt vor die Füße legen. Das erwies sich als ein ziemlich schwieriges Unterfangen, denn dort lagen Hammer, Kreuzschraubenzieher, kleinerer Kreuzschraubenzieher, mittlerer normaler Schraubenzieher, sämtliche Tüten mit den verschiedenen Nägelchen und Schräubchen usw..

Die mussten jetzt erst einmal beiseite geräumt werden. Alles auf den Stapel Holz vor der Zimmertür, der mittlerweile so hoch war, dass uns dann gottlob niemand mehr von der Diele aus bei unseren Untaten beobachten konnte. Auch Alexandra nicht.

Endlich lag das besagte Brett vor uns mit den vorgebohrten Löchern, die sich bei näherer Prüfung als gänzlich unvorgebohrt erwiesen.
„Moment!“, stotterte ich in Richtung meiner Freundin. „Wir brauchen noch den Handbohrer.“

Geka saß irgendwo, für mich fast unsichtbar, hinter einem zweiten Holzstapel und flirtete gerade mit einem Nagel, gab ihm mit dem Hammer einen nur vorsichtigen Stups. Der Nagel sollte ja nicht seinen Kopf verlieren. Wir hofften inständig,... wir unseren bei dem ganzen Theater auch nicht.

Wie so ein Nagel ja nun mal veranlagt ist, stellte er sich einfach stur. Nix klappte, der Kerl weigerte sich standhaft, seine Spitze ins Holz zu bohren. Daraufhin agierte Angelika energischer. Die dann etwas unzärtlichere, eindrücklichere Nachhilfe per heftigerem Hammerschlag gefiel dem Nagel ganz offensichtlich erst recht nicht. Angelika traf schräg, der Nagel glitt ab und der Hammer verfehlte nur um Haaresbreite ihren Finger.

Das lieferte uns die nötige Ausrede:
Auf den Schreck hin gönnten wir uns erst mal zehn Minuten Pause und die schon sehnlichst vermisste Tasse Kaffee.

Von Natur aus bin ich sehr gewissenhaft, kontrollierte also auch entsprechend gewissenhaft alle zwei Augenblicke die Armbanduhr. Nein, die zehn Minuten durften keinesfalls auch nur um eine einzige Sekunde überschritten werden.
„Wenn wir schon hier im häuslichen Bereich bei so`nem Klacks(oh,oh!!) wie diesem hier anfangen zu schluren, was soll denn dann aus Deutschland werden,wenn das draußen Andere bei viel wichtigeren Tätigkeiten auch täten?!“

Geka guckte mich, ihre da halbphilosophisch angehauchte Freundin verdattert an. Anstatt sich ´mal auch den Kopf über diese nicht ganz unbedeutende Frage zu zerbrechen, prustete sie los und parierte: „Gaby, du hast ja bloß Manschetten, dass wir vorzeitig aufgeben!“ Verflixt, warum in Gottes Namen müssen Freundinnen immer so präzise sein?

„Ich – aufgeben? Glaubst` Du wohl ja selber nicht!“, brummelte ich mit Nachdruck, aber mit der Einsicht, die meinte, was sie da von sich gegeben hatte.

Immerhin waren wir schon mit dem zweiten Brett zugange. Da allerdings hatten wir offensichtlich den Zwilling des ersten erwischt. `Ne glänzende Kante hatte es auch, aber leider zusätzlich ebenfalls die nicht ausreichend vorgebohrten Löcher, die wir dann ächzend, auf den Knien herum rutschend, ins arme Holz einzwangen. Ich stellte fest:
„Geka, diesmal ging`s doch ganz fix. Wir sind eben schon geübte Handwerker.“ Meine Freundin verkniff sich die passende Antwort darauf.

In der nächsten Stunde leisteten wir Fließbandarbeit. Brett vor die Füße gelegt, (manchmal auch geknallt, weil’s aus den Händen rutschte, war ja glatt), begeistert die zahlreichen natürlich ebenfalls nicht vorgebohrten Mitglieder der Familie „Loch“ begutachtet und dann mit inzwischen souveräner Miene verarztet.

So tolle Löcher hatte noch keine Maschine zustande gebracht. Am schmachteten wir sie noch stundenlang an. Nur hätte uns das leider den nicht unerheblichen Nachteil eingebracht, noch in zwei oder drei Tagen hier auf dem Boden in den Bretter-Dolomiten zu hocken. Ohne Schreibtisch und ohne Regale und mit einer langen, langen Diele, vollgepackt bis zum Bersten mit Büchern, Büchern, Büchern...

Allein diese Horrorvorstellung bewegte dann Frau Ordnungsliebe Gaby sowie ihre ähnlich veranlagte Freundin Angelika dazu, den stolzen Blick fast ein wenig wehmütig von diesem imponierenden Bild zu lösen und ihn doch tatsächlich auf die uns vorwurfsvoll anglänzenden übrigen Bauelemente zu heften.

Es half ja nichts. Wollten wir dieses Werk vollenden, blieb keine Zeit zum Träumen!

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