Ein schwingendes Leben (5. Teil)

Erzählung zum Thema Humor

von  tastifix

„Gleich zuhause trippelst du am besten stundenlang auf diesen Stelzen ´rum, damit du dich an deren Absatzhöhe gewöhnst...Bis Samstag ist es ja nicht mehr lang!“, riet die Mutter ihrer Tochter.
„Isa - Michaela also heisst sie!“, flüsterte mir Belle zu.
„Hübscher Name!“, brummelte ich. Aber hübsch fanden wir sie auch so.

Unser neues Zuhause gefiel uns auf Anhieb.
Garantiert schützten uns unsere zwei Vornamen und dass wir sogar ´von` hießen, davor, uns zusammengepfercht mit –zig anderen Schuhpaaren (übrigens fast alles ordinäre Treter!) die Enge in dem winzigen Abstellraum hinter der Eingangstüre teilen zu müssen.

Unter den missgünstigen Blicken jener gemeinen Schuh-Armada trug Michaela uns in ihr Zimmer. Streng prüften wir dessen Einrichtung und befanden sie für hoch wohl geborene Prinzessinnen wie uns als angemessen. Entzückt geradezu waren wir von dem breiten Standspiegel.
„Vor dem findet dann Michaelas Modenschau statt!“, sagten wir uns.
„Und wir sind immer mit von der Partie!“ Wir strahlten.

Fünf Minuten später bereits fand die Premiere statt. Michaela konnte es offensichtlich gar nicht erwarten, uns wieder an und unter ihren Füßen zu spüren, streifte uns über und tänzelte vor dem besagten Spiegel auf und ab.
„So, jetzt üben wir ´drehen`!“, klärte sie uns auf.
Zuerst ging `s ja noch, aber dann rutschten uns fast die Sohlen weg vor Schwindel. Oder lag das etwa an dem glatten Parkett?

„Isa, Belle, so ähnlich wird das am Samstag sein. Nur drehen wir uns dann noch viieel länger!“
Michaela verdrehte die Augen, ihr Gesicht leuchtete.
„Hm...oh..oh!“, machten wir, da wir nicht recht wussten, was wir davon halten und wie uns also dazu auslassen sollten.
„Hach, wird das schöön!!“
Michaela wirbelte nur so im Kreis herum und sang dabei lauthals:
„La, la, la, la ,laa, la, la, la, laa,.. La, la, la la, laa, la la la laa, usw. ….“
Uns durchzuckte ein ordentlicher Schreck. Das klang verdächtig nach `Kaiserwalzer` und der war lang. Plötzlich waren wir uns nicht mehr sicher, ob wir Michaelas Vorfreude teilten.
„Was da wohl auf uns zukommt...?“, überlegten wir bange.

Die Tage vergingen wie im Flug. Es wurde Samstag. Unsere Galgenfrist neigte sich ihrem Ende zu.
Am Samstag staunten wir Bauklötze. Michaela rannte hektisch vom Bad in ihr Zimmer und wieder zurück. Wieder und wieder. Diese Aufgeregtheit steckte an. Uns kribbelte es im Leder. Alle zwei Minuten schielten wir zum Spiegel.
„Isa, sitzt meine Schnalle auch richtig?“, hauchte Belle.
„Super!“, behauptete ich und linste zu meiner.

Inzwischen hatte Michaela den ganzen Inhaltes ihres Kleiderschrankes auf ihr Bett gepfeffert, ausgesucht und mucksend verworfen.
„Nee, zu dem passen die Neuen ja nun wirklich nicht!“
Nach sage und schreibe zwei Stunden war endlich die Entscheidung gefallen. Michaela würde in einem Traum aus königsblauer Seide übers Parkett schweben.

Endlich brachen wir auf.
Die Tanzschule erstrahlte in heller Festbeleuchtung. Aus dem riesigen Saal tönten schon die ersten romantischen Klänge. Belle und ich sahen nur flüchtig auf all die Pracht und widmeten uns dann verstohlen dem Anblick all unserer Konkurrentinnen da an den fremden Füßen.
„Belle!“, raunte ich meinem Zwilling zu.
„Haste die da gerade gesehen, die mit all dem Blinkerzeug auf ihrem Riemchen? Furchtbar!“
Nein, hier brauchten wir uns wahrlich nicht zu verstecken.

Der Chef der Schule hielt eine kleine Begrüßungsansprache und bekam viel Beifall sowie fröhliches Lachen zur Antwort. Damit war der Ball eröffnet.
„So, jetzt beweisst ´mal, dass ihr das Geld wert seid!“, lachte Michaela.
Und schon drehten wir uns im Tanze.

„Au!“, maulte ich kurz darauf und schoss wütende Blicke auf eine neben mir her hopsende Sandalette, die so gar nicht elegant unbekümmert auf meiner Schuhspitze gelandet war. Gottlob war` s nicht ihr Absatz gewesen!

Tapfer machten wir trippelige Tanzschritte, Runde um Runde.
„Klick-klack, klick-klack!“.
Das konnten wir leider nicht verhindern.

Nach einiger Zeit, unsere Sohlen waren schon grauschwarz vor Anstrengung, ereilte uns unser Schicksal. Wir hatten ja gehofft, der Kelch könnte wider Erwarten doch noch an uns vorüber gehen.
Ganz groß wurde er angesagt, mit Jubelrufen aus Jungmädchenkehlen begrüßt:
„Kaiseerwalzer!!“
Wir waren uns klar darüber, der gäbe uns den Rest!

Begeistert drehte sich Michaela im Kreise. Weniger begeistert folgten wir notgedrungen unserer Pflicht, sie dabei trittsicher zu unterstützen.
„Belle, dieser verflixte Tanz bringt mich noch um. Hoffentlich ist der bald zuende!“
Belle kam nicht dazu, darauf das Passende zu sagen. Sie konzentrierte sich aufs Takthalten.

Ich weiss nicht, wie lange es dauerte. Ich weiss nur, dass ich nichts mehr wusste. Ich war kurz vorm Wegknicken, so schlecht war mir mittlerweile von der ewigen Dreherei.
„La, la, la...!“
Da passierte es. Belle fühlte sich ganz offensichtlich auch nicht mehr imstande, die Richtung zu halten, schlingerte bedenklich hin und her.
„Isa, ich kann nicht mehr!“
„Durchhalten, irgendwann ist auch der längste Tanz zuende!“
Während einer schnellen Drehung um die eigene Achse drohte mir fast der Lederinfarkt. Belle hatte den Takt und, ach...wie schrecklich, zusätzlich erst die Balance, dann Michaelas Fuß verloren.
Aber leider nicht den Schwung des Kaiserwalzers.
„Hiieelf mir, Isa!“, klickte sie hilflos.
„Wie denn? Ich kann ja nicht. Ich muss weiter!“, quietschte ich zurück.

Ehe Michaela und erst recht ich irgendetwas unternehmen konnten, sauste Belle ganz allein vor aller Augen und sämtlichen, entsetzt starrenden Schuhspitzen quer übers Parkett, zwischen den Beinen der Tanzpaare hindurch bis zum anderen Ende des Saales. Dort stand gottlob ein hilfsbereiter Herrenschuh, der sie heranschlittern sah, einen raschen Schritt vorwärts machte und sie bremste. Ein seehr schicker Herrenschuh...

Unterdessen versuchte ich aufgeregt, Michaela zum Handeln zu bewegen:
„Klack, klick, klick!“
Doch bei der lauten Musik schien sie es nicht zu bemerken oder wollte es auch nicht.
Verzweifelt kriegte ich mit, wie sie zu ihrem Tanzpartner sagte:
„Macht mir gar nichts. Dann tanze ich eben weiter mit einem Schuh!“
„Die hat mich einfach ignoriert und der blöde Kerl lacht dazu auch noch!“
Ich war wütend.

„Wie kann sie nur so herzlos sein?“, dachte ich.
Mehr noch zu überlegen oder auf  passende Rache zu sinnen, blieb mir leider nicht die Gelegenheit. Ich war ja nur eine Schuh und hatte zu gehorchen.
„La, la, la...!!“

Nach ein paar Drehungen stellte ich aber erleichtert fest:
„Eine Runde heisst Runde, weil es immer rund geht. Also kommen wir gleich bei Belle vorbei!“
Das beruhigte mich etwas.

Mittlerweile hatte mein Zwilling seine Fassung wieder erlangt und sah seinen Bremsklotz etwas genauer an, ums sich endlich, wie es sich für eine Schuhprinzessin gehört, standesgemäß bei ihm zu bedanken:
„ Das war aber nett...!“, fing sie an.
Dabei blieb es aber dann auch. Sie hatte nämlich gleich mir festgestellt, dass ihr Gegenüber ein ungewöhnlich attraktiver Herrenschuh war. Ihre Schnalle blitzte ihn an. Das war zwar gegen jeglichen Schuh-Knigge, aber da leider nicht mehr zu verhindern. Ganz eindeutig hatte es meinen Zwilling tüchtig erwischt. Dass Leder ihres männlichen Gegenübers glänzte auffällig strahlend zurück.
„Arme Belle!“, dachte ich traurig.
„Sie sieht ihn doch wahrscheinlich nie wieder.“

Endlich blieb Michaela neben ihrem verlorenen Schuh stehen und bückte sich, um Belle aus dieser mehr als peinlichen Lage zu befreien.
„Einen Moment!“, sprach sie da eine freundliche Stimme an.
Der Besitzer des schönen Herrenschuhes beugte sich rasch, hob Belle auf und legte sie in Michaelas ausgestreckte Hand. Michaela sah ihn lächelnd an:
„Das ist aber lieb...!“ Komisch, die stockte ja fast so wie eben Belle. Sollte sie sich etwa auch...?
„Meine Güte, der lächelt ja genauso herzlich zurück!“
Mein Herz klopfte.

Mein Gespür trug mich nicht. Michaela und der junge Mann kamen ins Gespräch, unterhielten sich dann pausenlos und verstanden sich prächtig. Als es ans Abschiednehmen ging, fasste der junge Kavalier ihre Hand und bat sie um ein Wiedersehen.
Gar nicht mehr der übermütige Wildfang, hauchte Michaela schüchtern:
„Ja. Ich würde mich freuen.“

„Belle, ahnst du, was das für dich bedeutet... ??“
Ich brauchte sie nur anzusehen.
„Sie wird ihn wiedersehen. Sie ist glücklich!“
Da war auch ich glücklich.

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