Hinter den Mauern

Kurzgeschichte zum Thema Vergewaltigung

von  RainerMScholz

Eine verkrampfte Windung des Körpers. Ein Erschauern des Fleisches. Ein Schreien und Schlagen und Treten und Kratzen.
„Nein, bitte nicht. Tu das nicht. Nicht das. Bitte.“
Das Licht scheint fahl durch die blinden Fensterscheiben. Der Geruch abgestandener Liebe, verdreckter Tampons und aus den Polstern entweichender Moder erstickt jeden klaren Gedanken, füllt den Raum mit der penetranten Dichte einer vergessenen Verwesung, von Fäkalien alter Menschen in einer gottverlassenen Gegend. Vergessen.
„Tu es nicht.“
Warum? Warum nicht?
Er ist angetrunken. Sein Atem stinkt nach Bier.
„Tu das nicht.“
Scheiß drauf! Egal! Scheiß auf dich und den Rest der Welt.
„Bitte!“
Es tut mir leid. Ja, es tut mir leid. Aber ich mag es. Ich genieße es, dich leiden zu sehen, deinen Schmerz zu spüren, wenn du schreist und heulst und dich windest vor Ekel unter mir, obwohl du genau weißt, dass du keine andere Wahl hast. Ich liebe dich, du ekliges, kleines verwichstes Flittchen. Alles ist so wie früher. Nur besser. Nur ganz viel besser.

Die Bäume bewegen sich im Wind wie Gespenster, die nach ihm greifen wollen. Der Wind lässt die Fenster klirren. Das diffuse Licht der Notbeleuchtung verhindert das Einschlafen, sorgt dafür, dass er seinen Alpträumen mit offenen Augen entgegen sehen muss.
Er spürt die beklemmende Nähe der Kameraden, Freunde, Genossen (wie soll man sie nennen), die mit ihm das Zimmer teilen. Sie sind nur einen Schritt, eine Armeslänge, den Raum, hinter dem das nächste Leben beginnt, von seinem Bett getrennt, liegen alle in ihren eigenen Fallen und starren an die Decke. Sie sind alle hier eingesperrt wie er. Abgeschoben, verdrängt, verdammt von ihren Eltern und Verwandten; Aussätzige scheinbar, für die die  Zeit aufzubringen zu kostbar, schon verplant, in irgendeiner Form von einer Rechung absetzbar gewesen sein mag, irgendwie überzählig, überdrüssig, über den Jordan, über den Daumen gepeilt. Über eben. Passiert eben. Fehler, Schandmale und kleine Irrtümer, die schon einmal zu geschehen vermochten.
Er hört die Schritte des Aufsehers des Wohnheimes auf dem Flur. Auf dem Flur, der jede Bewegung in ein tausendfaches Echo verwandelt, dem keine Bewegung verborgen bleibt und der tausend Augen und Ohren hat. Er kann alles sehen, und er weiß, was du denkst. Fliesen und Kacheln und hallendes Linoleum.
Wichs mir einen! Ich hol´ dich. Wichs mich!
Die Schritte hallen von den Wänden wider, als wären sie kleine, winzige Vögel. Die bleiben immer hängen in den engmaschigen Netzen, verfangen sich dort, um einen langsamen und qualvollen Tod zu sterben. Fort. Weg.                                                                          Ein geheimes Zeichen hat den Aufseher, den Betreuer geweckt, ein Signal, ein geheimes Zeichen. Ein Zeichen von irgendwoher, unbestimmbar, undefinierbar. Ein Klingeln, dass nur im Hirn eines Aufsehers anschlägt.

„Bitte nicht. Tu es nicht. Nicht so. Nicht so fest. Bitte warte doch. Es tut weh. Du tust mir `was. Was an.“

Die Schritte verstummen. Ein hämisches, ersticktes Lachen, beinahe ein Röcheln, ein Kichern dringt aus der Ecke, dort wo Fette Qualle liegt. Sein Freund, so nennt er ihn bei Tage. Sein Schinder. Sein Feind. Fette Qualle. Er will ihn quälen, ihm beweisen - ihm, der doch viel schwächer ist als er - wie grausam er sein kann, wie grausam die Welt sein kann, seine Welt, in der er jetzt lebt. Wie stark er ist und wie hart und brutal. Und er gewinnt immer, weil er Fette Qualle ist.
Und er lächelt. So feist. Sardonisch vielleicht. Ein Grinsen. Das Grinsen eines Schweins.

„Bitte.“

Mach's mir schön heute Abend. Keiner hört uns. Alles schläft. Los, nenn' mich - nenn' mich Gott. Komm' schon, mein kleiner Bankert, mein Hurensohn. Mein eigener Hurensohn.
Nein.
Doch. Oh, doch. Du willst es doch auch, ich weiß es. Los, sag', dass du es auch willst.
Niemals. Ja, ja, bitte, ich will es auch.
Nenn' mich Gott.
Du bist Gott.
Lauter.
Du bist Gott!
Aber so laut doch nicht, du kleine Schwuchtel.
Es ist dunkel. Schrei nicht, sonst wird er dir weh tun. Er ist doch mein Freund. Schrei nicht. Versuch es nicht einmal. Lass es sein. Geschehen sein. Lass es einfach geschehen sein.
Die Bäume - wie Geister. Ihre knorrigen Arme wollen nach mir greifen, um mich zu umschlingen, mich zu würgen, bis meine Augäpfel hervorquellen, meine Zunge aus dem Mund klafft. Bis ich blau anlaufe, die Schlagader an meinem Hals sich nach außen wölbt, als wolle sie zerspringen - unter epileptischen Zuckungen ich zugrundegehe. Endlich.
Es muss ein Sturm sein hinter den Mauern.

„Bitte.“
Aber ich hab' doch schon bezahlt dafür, mein kleiner Engel. Willst du meinen Schokoladenriegel? Ich hab´ erst einmal abgebissen. Jetzt du.

© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

TeBö94 (23)
(29.07.14)
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 RainerMScholz meinte dazu am 01.08.14:
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Grüße,
R.
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