Erdbeermarmelade

Grotesk-Zeitkritisches Drama zum Thema Psychologische Phänomene

von  Ravna

- ein Dialog für zwei Männer und eine Sekretärin. Die Sekretärin trägt einen kurzen grauen Rock und eine weiße Bluse, bei der ein Knopf zuviel geöffnet ist. Ihre Schuhe sind hochhackig und ihre Lippen rot. Sie besitzt eine kleine Handtasche, in welcher sie Kondome mit sich führt. Aber die Handtasche spielt keine Rolle. Die Sekretärin auch nicht. Sie kann auch von einem der beiden Männer gespielt werden. -

A: Aus nassen Haaren lassen sich hervorragende Hefezöpfe backen.
B: [irritiert mit seinem Kugelschreiber auf ein Blatt Papier kritzelnd] Wie meinen Sie das?
A: [verträumt lächelnd] Nun, ich esse gerne Marmelade.
B: Auf Hefezopf?
A: Nein, einfach so. Mit einem großen Löffel. Wenn ich im Bett sitze. Und eine Decke um mich geschlungen habe.
B: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie eine Decke um sich gelegt haben und Marmelade löffeln?
A: Es erinnert mich an meine Mutter, wissen Sie?
B: [macht Notizen] Mögen Sie ihre Mutter?
A: Sie ist tot.
B: [wie ertappt] Oh, das… das tut mir leid. Ich wusste ja gar nicht… Ich hätte das doch… Verzeihen Sie.
A: [laut lachend] Das hat sie auch immer gesagt. Sie sagte immer "Bitte, verzeih mir.". Und dann setzte sie die Flasche an ihren Mund.
B: Ihre Mutter… war sie Alkoholikerin?
A: [verwirrt] Meine Mutter? Sprachen wir von meiner Mutter?
B: [nickt] Ja doch. Sie haben mir eben erzählt, dass Sie sich an ihre Mutter erinnert fühlen, wenn Sie sich in eine Decke wickeln und Marmelade löffeln.
A: Erdbeermarmelade. Ich esse nur Erdbeermarmelade.
B: [notiert] Und Erdbeermarmelade erinnert Sie an Ihre Mutter?
A: Nein, an August. Und an die warme Sonne.
B: Aber Sie sagten doch vorhin…?
A: Sie irren. Ich sprach nicht. Ich spreche nie.
B: Ich bitte Sie. Sie reden doch gerade mit mir.
A: Gut möglich, dass ich rede. Aber spreche ich mit Ihnen?
B: Nun, sonst ist niemand hier.
A: Sind Sie sich da – ganz - sicher?
B: [blickt sich um]
A: Sie sind sich also nicht sicher?
B: Hier sind nur wir zwei.
A: Ich bin nicht hier. Sie sind allein.
B: [geht zu A, legt ihm die Hand auf die Schulter]
A: Sie sind niedlich. Sie versuchen sich von meiner Existenz zu überzeugen. Und jetzt glauben Sie, ich wäre tatsächlich hier.
B: Sie sind hier, ich bin hier. Draußen befinden sich der Wachdienst und meine Sekretärin.
A: [süffisant grinsend] Natürlich. Und die Zimmertemperatur liegt bei angenehmen 22°, gestern war Mittwoch, morgen ist der Tag, an dem Sie mit ihrer Frau schlafen werden, da das letzte Mal schon zwei Wochen her ist, am Wochenende treffen Sie sich mit Ihren Freunden zum Golf und am Montag werden Sie auf dem Weg zur Ihrem Büro in einen Unfall verwickelt.
B: [erregt] Woher wissen Sie das? Wer hat Ihnen… und der Unfall. Der Unfall… was wird danach passieren… was wird geschehen?
A: [tätschelt B] Ganz ruhig mein Lieber, ganz ruhig. Sie werden überleben. Sie werden ein Bein verlieren und der linke Arm wird nicht mehr auf Sie hören, aber Sie werden überleben.
B: Wie… wie wird es weitergehen?
A: Ach, es ist doch langweilig, wenn Sie alles schon vorher wissen. Probieren Sie es aus. Ich muss auch langsam. Meine Zeit müsste gleich um sein, nicht wahr?
B: [flehend] Nein, warten Sie, bleiben Sie, bitte, bitte, bleiben Sie! Ich… bleiben Sie, ich werde Ihnen die Sitzung nicht bezahlen, so sagen Sie mir doch bitte: was wird geschehen?
A: [seufzt] Ihre Frau wird sich von Ihnen trennen, Sie werden aufhören zu arbeiten und anfangen Drogen zu konsumieren. In etwa drei Monaten ist Ihr Geld verbraucht und Sie landen auf der Straße. Im nächsten Frühjahr werden Sie an einer Überdosis sterben.
B: [schreit] Das glaube ich nicht! Verschwinden Sie! Lügner!
A: [lächelt] Aber Sie wollten es doch wissen? [verschwindet]
Sekretärin:  [öffnet die Tür] Ist alles in Ordnung? Ich habe Sie schreien gehört.
B: [zitternd] Ja, es… es geht schon wieder. Ich… ich schlief schlecht heute Nacht. Ich muss eingenickt sein und einen unschönen Traum gehabt haben.
Sekretärin: Kann ich irgendetwas für Sie tun? Soll ich Kaffee kochen?
B: [dankbar] Ja, ja machen Sie das. Obwohl… nein. Bringen Sie mir ein Glas Erdbeermarmelade. Und einen Löffel.


Anmerkung von Ravna:

Erdbeermarmelade als Thema gab es leider nicht.

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Kommentare zu diesem Text


 ViolaKunterbunt (27.11.06)
Oh mann! Gib mir auch mal ein Glas rüber! Einen Löffel habe ich hier neben meiner Decke.
Faszinierte Grüße, Viola

 Ravna meinte dazu am 27.11.06:
*vorratsglas erdbeermarmelade rüberschmeiß* guten appetit
all_write (25)
(27.11.06)
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 Ravna antwortete darauf am 27.11.06:
*kopf schräg leg*

 Maya_Gähler (27.11.06)
uff........das ist ja wirklich schräg.......
aber faszinierend ...
weiss gar nicht, was ich sagen soll... aber es hat was, was mir gefällt, habe es schliesslich bis zum schluss gelesen...
einfach grotesk, einfach klasse gemacht
super
liebe grüsse von der maya

 Ravna schrieb daraufhin am 27.11.06:
na, so lang ist es ja dann doch nicht *schmunzel*
aber freut mich sehr, dass es dir gefällt.
dankend & nochmals grüßend,
ravna

 Dieter_Rotmund (31.10.19)
Wieso war es Dir so wichtig, die Frau detailliert zu beschreiben, die Männer hingegen überhaupt nicht???
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