Der Abzählreim

Kurzprosa

von  Traumreisende

Manchmal gab er ihr ein Lachen in einer Großzügigkeit, die mich zum Erbrechen brachte.
Er gab es ihr, nur um im nächsten Moment alles auszulöschen, um zu sehen, was es sie kostete, die Fassung zu wahren. Er wusste, sie würde nie vor anderen zusammenbrechen, auf ihn könnte keiner mit den Fingern der Schuld zeigen. Doch ich beobachtete sein Gesicht dabei, diesen listigen Blick:
„Ene meene muh und raus bist du.“

Sie war fast nicht mehr da, irgendwann hatte ihr Auflösen begonnen.
Weißt du wie das ist, wenn du jemanden Umarmen willst und er fließt dir unter den Armen weg? Jedes Mal fiel es mir schwerer meine Hand für diese Geste zu erheben, um dann in die Leere zu greifen. Es war dann so, als ob die Wucht meines fallenden Armes meinen eigenen Körper schlug und mich selbst aus dem Gleichgewicht brachte.
In Wirklichkeit jedoch war ich zu feige, mich ihrem Schmerz zu stellen, es war ja auch nicht meiner. Das sagte ich mir immer wieder, wenn ich ihr Ausreden vor die Füße warf, um ihrem verwundeten Blicken zu entgehen.

Dann aber erinnerte ich mich, wie sie in unserer Kindheit ungeheuer viel Kraft hatte.
Niemand konnte das Karussell so schnell bewegen wie sie und immer gab sie uns das Gefühl wir könnten fliegen.
Sie selbst setzte sich auf die Drehachse, über das ganze Gesicht lachend und ihre dicken kastanienfarbenen Zöpfe standen fast wagerecht von ihr ab.

Nichts davon ließ er ihr, denn alles drehte sich nur um ihn.

Er stürzte an einem Herbsttag vom Balkon.

Ich habe sie auf den Friedhof begleitet. Sie trug ihr graues Haar in Zöpfen, ein merkwürdiger Kontrast zwischen den ernst wirkenden, bereits kahlen Birken am Weg.

„Er wollte fliegen“, sagte sie leise und lächelte einen Punkt in der Ferne an.

Als ich sie umarmte, blieb meine Hand auf ihr liegen.

„…raus bist du noch lange nicht,
sag mir erst, wie nennt man dich.“


.

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Kommentare zu diesem Text


 ViolaKunterbunt (04.12.06)
Das ist eine heftige Geschichte.
Die hast Du wunderbar geschrieben. Ich liebe Deine Sprache mit den Metaphern und dieser Eindringlichkeit.
Sehr berührend.
Liebe Grüße, Viola

 Traumreisende meinte dazu am 04.12.06:
ohh und das von der erzählviola! freut mich und ... ich hatte erst bedenken.. wegen der auflösung...aber...nein kein aber.. ich nehme es gern an!!

dir einen ganz lieben gruß in den tag
silvi

 franky (04.12.06)
Hallo liebe Silvi,
eine ergreifende geschichte, die sich in meine gedanken schreibt;
auf deine frage: und wer bist du?
es könnte die HOFFNUNG sein;
viele liebe grüsse für einen neuen tag
von Franky

 Traumreisende antwortete darauf am 04.12.06:
weißt du franky, das ist eine völlig neue sicht in einer interessanten metapher...
ein gedanke der sich hell in allem ausnimmt.
hab lieben dank du
drücke dich
silvi
Gini (57)
(04.12.06)
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 Traumreisende schrieb daraufhin am 04.12.06:
danke, manches muss man nicht sagen...
dir liebe grüße
silvi
Nicola (80)
(04.12.06)
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 Traumreisende äußerte darauf am 04.12.06:
ja, das ist es, wobei in allen punkten nicht aus der wirklichkeit, aber durchaus in allen bildern so nachvollziehbar...
danke dir sehr
liebe grüße
silvi
C.S.Steinberg (43)
(04.12.06)
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 Traumreisende ergänzte dazu am 04.12.06:
oh nein, das muss es nicht, das war fiktiv, aber nachvollziehbar...
dir ganz liebe grüße
silvi
Susa (52)
(04.12.06)
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 Traumreisende meinte dazu am 04.12.06:
sagt sehr viel!!
danke
liebe grüße dir
silvi

 lilly-rose (04.12.06)
Würde ich mir eine Short Story im TV ansehen, sie hätte bei Weitem nicht diese Bilder....
lg
Thomas

 Traumreisende meinte dazu am 05.12.06:
:-))) darüber strahl ich...
es war auch eine reise für mich dorthin, weißt du, so ganz in die geschichte tauchen...
lieben dank dir
silvi
Nunny (73)
(04.12.06)
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 Traumreisende meinte dazu am 05.12.06:
ach du weißt zur prosa zieht es mich immer wieder aber noch immer wacklig, deshalb macht dein kommentar besonders mut.
dankr dir
ganz liebe grüße
silvi
zackenbarsch† (74)
(05.12.06)
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 Traumreisende meinte dazu am 05.12.06:
uiii friedhelm, jetzt hab ich erst mal geschluckt!!!!
unglaublich , wie du dadurch mut gibst weiterzuschreiben, nicht daran, aber es immer wieder zu versuchen...
DANKE
ganz liebe grüße
dir
silvi
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