Eine Träne für das Fest

Kurzgeschichte zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  Mondsichel

Die Augen der jungen Frau blickten suchend aus dem Fenster. Kleine glitzernde Flocken fielen vom Himmel herab, schmückten die Welt mit einem leuchtenden Weiß. Ihr Atem gefror an der Scheibe zu wunderschönen Eisblumen und malte ihr ein rosiges Leuchten auf die Wangen. Sie zitterte, denn so kalt wie das Eis war auch das Zimmer, in dem sie verweilte.
Kein Ofen heizte die Stube, kein Feuer, in dem Kienäpfel oder Holz lustig vor sich hin knistern konnten. Kein Lebensfunken drang durch das kalte Zimmer, nur ihr zitternder Atem durchbrach das Schweigen. Die Beleuchtung am Fenster war längst erloschen und würde auch niemals wieder erstrahlen. Hatte sie doch einst mit den Sternen um die Wette gefunkelt und diese große Freude im Herzen wiedergespiegelt, die jedes Jahr in der Adventszeit den Herzen inne wohnte...

Es war Heilig Abend, das Fest der Träume, der Gemeinschaft, das Fest der Liebe und der Hoffnung auf eine bessere Zeit. Doch in ihrem Herzen war es genauso kalt wie in diesem Zimmer, dessen vereiste Tapeten ihr vom Feuer erzählten, das einst noch im Ofen brannte und ihre Seele wärmte.
Der Adventskranz, der einst noch auf dem Tische in sanften Kerzenschein erleuchtete, lag vertrocknet zu ihren Füßen. Sie sah vor ihrem Inneren noch den Weihnachtsbaum, der immer neben dem Piano gestanden hatte, dessen Tasten schon lange schwiegen. Die Geister der Vergangenheit erzählten von jenen, die ihr einst nahe waren, die das Haus mit Leben erfüllten und von diesem unverwechselbarem Leuchten, das nur in der Weihnachtszeit in den Augen der Menschen glühte...
Fast war ihr, als könne sie noch den Geruch von frisch gebackenem Kuchen und Plätzchen vernehmen, von gebratenen Äpfeln und süßem Kakao. Die junge Frau hörte Kinderlachen durch die Gänge schallen, hörte die Glöckchen klingen, die jedes Jahr die Bescherung einläuteten. Und die Lieder der Weihnacht drangen an ihr Ohr, füllten ihr das Herz mit Meeren aus Verzweiflung.
All die Erinnerungen kamen hoch, die ihr von schöneren Tagen erzählten. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als die Zeit wieder zurückdrehen zu können. Nur einmal noch so glücklich zu sein wie damals. Nur einmal noch sich auf das Unbekannte freuen und die Heimlichkeit der Adventstage genießen. Doch waren ihr diese Tage so fern, wie die unfassbaren Träume, die ihr als einziges geblieben waren...

Noch immer blickte sie starr nach draußen, obwohl ihre Glieder schon von der Kälte schmerzten und ihre Lippen sich blau verfärbten.
Ein stechender Schmerz wollte ihr Herz zerreißen, sie wagte kaum zu atmen und krallte ihre roten Hände in die Eisschicht auf dem Fensterbrett. Es war ihr egal wenn das Licht nun für immer erlöschen würde. Es gab nichts mehr zu hoffen, es gab nichts mehr wofür es sich zu leben lohnte.
Vom Schmerz erfüllt, sank die junge Frau in die Knie und wartete, dass der Anfall vergehen, oder sie endlich befreien würde, von dieser Eiseskälte, die sich in ihrem Innersten tiefer und tiefer festgefroren hatte.
Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle und eine kleine Träne wand sich aus ihren Augen. Es war so kalt, dass die Träne auf ihrem Gesichte festfror...

„Nicht einmal mehr weinen kannst Du, ohne das Du an Dir selbst erfrierst“, sprach plötzlich eine tiefe Stimme zu ihr. Sie drehte ihr Gesicht in die Richtung aus der die Stimme kam und sah mit leerem Blick einem jungen Mann in die Augen. Er kniete sich zu ihr nieder und streichelte sanft über ihr Gesicht.
„Dein Lächeln ist gefroren, wie diese Träne. Dabei sind Deine Lippen die Boten der süßen Liebe, des Feuers, dass all Deine Träume zum Leben erwecken kann.“ Als er den kleinen Eistropfen berührte, taute er auf und lief an ihrem Gesicht herab, zum Boden. Er lächelte sie liebevoll an.
„Heute ist Weihnachten. Meinst Du nicht, dass Du endlich akzeptieren solltest, dass Dein Leben im Hier und Jetzt ist und nicht in der Vergangenheit? Egal wie oft Du hier her kommst, egal wie gerne Du Dich erinnerst, nichts wird jemals so sein wie damals. Du wirst nur an der Kälte erfrieren, die zurückgeblieben ist.“ Der Schmerz in ihrem Herzen ließ langsam nach.
„Komm mit mir. Ich möchte das Du dieses Jahr mit mir Weihnachten feierst.“ Sie blickte ihn ungläubig an...

„Warum sollte ich Dir vertrauen?“, zitterte ihre Stimme noch immer unter der Kälte.
„Wenn Du jetzt nicht beginnst anderen zu vertrauen und nicht den Schritt nach vorne wagst, dann wirst Du es niemals können“, antwortete der junge Mann.
„Ich sehe Dich jedes Jahr immer wieder hier her kommen, in die Wüste der Vergangenheit, die niemals wieder leben wird. Aber Du kannst leben! Du musst leben! Du darfst nicht so einfach wegwerfen, was man Dir schenkte!“ Sie atmete tief durch.
„Löse Dich von dem was war und lass Dich von dem erfüllen was ist. Ich reiche Dir meine Hand. Es liegt an Dir sie zu nehmen.“ Noch zögerte sie, doch schließlich legte sie ihre zitternde Hand in jene des jungen Mannes.
Er half ihr auf und legte eine wärmende Decke um sie, die er mitgebracht hatte. Gemeinsam verließen sie das bruchfällige Haus, liefen einmal über die Straße und traten in das Haus gegenüber...

Als sie durch die Tür getreten waren und in das Wohnzimmer kamen, hatte sie ein seltsames Gefühl. Der junge Mann ging hinüber zum Kamin, wo er ein paar Holzscheite nachlegte. Sie setzte sich auf das Sofa, das direkt vor dem Kamin stand und blickte sich ein wenig unsicher um.
„Vielleicht erinnerst Du Dich ja noch. Vor langer Zeit, da warst Du schon einmal hier.“ Erstaunt blickte sie ihn an, der nun mit dem Rücken zu ihr am Kamin stand. „Es ist schon viele Jahre her, aber ich werde niemals vergessen, wie Du mir dies hier geschenkt hast.“ Vorsichtig nahm er eine ungeschickt gestickte Puppe von seinem Kaminsims. „Als ich damals weinend im Schnee vor unserem Haus saß, da warst Du die Einzige, die mir ein Lächeln auf die Lippen zaubern konnte.
Mein Vater hatte all das Geld für Alkohol ausgegeben, und so konnte meine Mutter uns keine Geschenke zum Feste kaufen. Nicht einmal einen Weihnachtsbraten haben wir gehabt.“ Sie zog die Luft scharf ein.
„Ich werde niemals das Strahlen in Deinen Augen vergessen, als Du mir das schönste Geschenk meines Lebens machtest. Du hast mich beachtet, Du hast mir Liebe und Freundschaft in Form einer kleinen Puppe geschenkt, die Du selbst zusammengestickt hattest. Ich habe sie bis heute aufbewahrt und niemals aus den Händen gegeben.“ Damit reichte er ihr das kleine Wesen aus Stoff...

Als sie die Puppe erkannte, da wurde ihr bewusst, dass sie zuhause angekommen war. Aus ihren Augen fielen Tränen und wollten nicht mehr versiegen. Er kniete zu ihr nieder und nahm sie einfach nur in den Arm.
„Du wirst niemals wieder frieren, dass verspreche ich Dir“, flüsterte er in ihr Ohr. „In diesem Jahr ist es an mir, Dir das schönste Weihnachten aller Zeiten zu schenken.“ Nun musste auch sie lächeln und ihre Augen begannen voller Sterne zu erstrahlen. So erfüllte sich ihr Herz wieder mit Wärme und Sehnsucht.
Wie der junge Mann es ihr versprochen hatte, spürte sie niemals wieder das Eis in ihrem Innersten. Und das schönste Weihnachtsgeschenk war die Liebe, die ihre beiden Herzen für immer und ewig verband...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Damit wäre mein kleines Weihnachtsgeschenk für alle meine Leser fertig. Etwas melancholisch, doch mit Happy End. Ich hoffe es gefällt euch und berührt Eure Herzen ein wenig. In diesen Zeiten brauch man jedes Leuchten in den Augen. Auch diese Geschichte wird ein Teil meines Bandes "Als die Welt zu Eis wurde..." werden... :)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

dieGeliebte (46)
(25.11.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram