Bei den Flüssen von Babel, saßen wir und weinten…

Lyrischer Prosatext zum Thema Holocaust

von  kirchheimrunner

.

Damals –
Ich erinnere mich daran
so gut
als wäre es im Gestern gewesen.

Es war zehn Meilen weit
hinter der Heimaterde
da liefen wir Hand in Hand
den Bahndamm entlang
weit hinüber nach Osten
über scharfkantige Schottersteine
stolperten wir
dorthin wo eine rußige Sonne
nass und traurig
aus den Sümpfen stieg.

Wir spuckten kirschrote Küsse auf gebrochene Schienen
und dein Auge blieb hängen
an Weiden nahe dem Fluss
am Rohrschilf der Teiche
an Dornenhecken mit Hagebutten –
blass - roten, süßen Früchten
vom Frost erstarrt; -
von Asche bestäubt.


Da sangen wir uns Lieder
der Heimat
- sangen bis die Zunge bitterte.

Das Herz bangte uns.
Todesfurcht,
dachte ich damals
- es war zwei Schritte vor Buchenwald;
Todesfurcht,
entstellt das Gesicht des Menschen
nicht so sehr
wie die Angst vor dem Leben
wie die Angst vor einer Liebe.

Rauch stieg auf.
Fettig klebte die Luft
an deinen glänzend schwarzen Haaren

Tränen fraßen Furchen
in Wange und Kinn.

„Rahel“,
schrie ich
warum weintest du?

War es,
weil dein Volk durch die Schlote zog
                - schwerelos hoch stieg
nach einem Osten hin
das unerreichbar fern von meinem Herzen
auf Licht geschmückten sanften Meereswellen ritt?

Damals
war ich am verdursten
Und die Worte,
die ich von deinen ruß verklebten Lippen brach
waren grau – grün verfärbt
und schmeckten nach Verwesung
wie altes verschimmeltes Brot.

.

Damals bat ich dich
als Letztes:
Löse mich von alle Gelübden,
von meinen Schwüren
und allen meinen Worten
ich dir versprach.

Ich kehrte damals um....
und ging nicht mehr weiter
mit Ihr.

.


Anmerkung von kirchheimrunner:

Heute ist der 28.12. 2006 - die katholische Kirche feiert den Tag der unschuldigen Kinder.

Herodes tötete jede männliche Erstgeburt Israels, damit ER - der vor vor der Nachricht über den neugeborenen König der Juden so erschrak - wieder ruhig schlafen konnte.

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Kommentare zu diesem Text


 Alazán (29.12.06)
Oh, da verschlägts mir die Worte. Das ist so bildhaft-berührend und realistisch-hart zugleich. Auch der Titel und das Thema gefällt mir, aber muss im Titel nicht das Kommata weg?

vlG
Philipp

 kirchheimrunner meinte dazu am 29.12.06:
Ja du sagst es Philipp, das Komma muss weg.

die Legasthenie hat mir mal wieder ein Schnippchen geschlagen.
Ich hatte mehr die Bibelstelle im Sinn, die mich zu diesem Prosatext inspiriert hat:

Dort heisst es im Psalm 137:
An den Wassern Babylons, da saßen wir und weinten, da wir Zions gedachten.

Wer den Originaltext lesen möchte, dem empfehle ich die Auslegung von Rabbi Nathan Peter Levinson; zu finden bei:
http://www.menora.de/menorademo/frset.htm?http://www.menora.de/menorademo/08/essay.htm


Aber wie dem auch immer sei: ich danke dir für das Interesse an diesem Text...

L.G. Hans

 Isaban (29.12.06)
So viel Schmerz in Worte gefasst, dass eine Warnung davor stehen sollte. Es ist ein guter Text. Einer, der noch lange nachschmerzt.

Liebe Grüße und, falls wir uns nicht mehr sehen sollten, für dich und alle deine Lieben einen schönen Silvesterabend und einen sanften, glücklichen, fröhlichen Rutsch ins neue Jahr
Sabine

 kirchheimrunner antwortete darauf am 29.12.06:
Liebe Sabine 1000 Dank für deinen Kommentar; und natürlich für die Empfehlung.
Ja du hast recht. Der Text schmerzt nach. Aber manches - mal ist es der Schmerz, der uns wachhält.

Trotz allen Weh's und Ach's:

Dir und Deinen Lieben ein gesegnetes 2007.

L.G Hans
Maushamster (30)
(01.01.07)
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 kirchheimrunner schrieb daraufhin am 01.01.07:
tausend Dank, liebe Katja;
du hast es treffend ausgedrückt:
Erschrecken und Leid... und die gläserne Oberfläche, darunter das unverfälschte Gesicht.

Ja ... und die hingespuckten Küsse ... von kirschroten Lippen..

Irgendwie fern, irgendwie fremd in diesem Gedicht ... und doch finde ich, passt das Kirschrote:

In diesem Prosatext habe ich einige Farben verwendet: Schwarze Haare, die rußige Sonne, ..blaß-rote Früchte.
Das Kirschrot sollte laut sein, aufschreien... einen Kontrast bilden zum Grau und Pastell der Scene.

Ausserdem ist das Kirschrot eine Widerspiegelung der Spielberg Scene bei Schindlers Liste (das Mädchen mit dem roten Mantel)..

Und die gebrochenen Schienen und die gesuckten Küsse:
Letztlich eine Reminiszenz auf eine meiner Lieblingsdichterinnen "Uljana Wolf" (Ich habe eine Buchbesprechung von ihr in KV gestellt..)

Sie schreibt in einem ihrer Gedichte:



wenn wir uns zwischen bahnhöfen erfinden
und wir uns gegen das fortklopfen der züge
mit an den weichen geschiente küsse
wehren, ...


aber auch ohne meine Erklärungen hast du alles erfasst. Letztlich hat mir dein Kommentar erst bewusst gemancht, was ich unbewusst geschrieben habe.

Du bist also eine Enteckerin.

L.G. Hans

 moonlighting (09.01.12)
Hallo Hans,
dein Gedicht ist so gefühlvoll und ausdrucksstark das ich den Schmerz direkt fühlen kann.

Sehr bedeutend deine Worte.

Liebe Grüße
Moonlight

 kirchheimrunner äußerte darauf am 09.01.12:
Schmerz fühlen heisst die Welt verstehen... manchmal tut das weh.. danke dir liebe Moonlight..
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