Neonschwarz

Kurzprosa zum Thema Identität

von  RainerMScholz

Neonschwarz

Ein wahlloser Tag. Sieben Uhr morgens. Nach dem zweiten Wasserglas Wodka liegen meine Nerven blank. Meine Knochen bleichen unter dem blauen Neonlicht hinter herabgelassenen Jalousien. Das Zittern der Hände hat nachgelassen.
Ich höre Schritte auf dem Flur, das Knarren der Dielen, leise, knirschend. Jemand schleicht durch die Zimmer. Hinter den Mauern das Scharren von winzigen Krallenfüßen. Eine plötzliche Drehung des Kopfes: Der Schwarze Mann hinter meinem Rücken.
Irgendwo im Haus Türschlagen. Ich bin nicht allein. Ich war es nie. Irgendwo lebt noch jemand. Das Quietschen von Türangeln. Schritte, kreischende Treppenstufen hinab, zur Hintertür hinaus.
Fahles Januarlicht durch die schwarzen Fenster hindurch. Ein zaghaftes Kratzen an der verschlossenen Kellertür. Eiskalte Schauer; etwas sitzt mir im Nacken.
Es hat acht Beine.
Es klingelt an der Tür. Und ich öffne. Es ist niemand da. Ich starre in den dunklen, leeren Treppengang. Es hat geklingelt. Ich schließe die Tür. Es war niemand da. Ich werde nicht mehr öffnen. Nur dasitzen, bei meinen unsichtbaren Freunden und warten. Die Verheißung des Todes ist schrecklicher, als der Tod selbst. Das wissen sie auch.
Dann die Flasche. Und die Tabletten. Zerbrochene Nadeln auf dem Boden. Kanülen voll flüssigen Strychnins. Stündlich ein Schlaganfall, verloren im adrigen Schwarz hinter den Augen. Halbseitige Lähmung. Unkontrollierte spastische Anfälle. Weißer Schaum auf den Lippen. Irre Blicke, die aus der Verlorenheit eines abgrundtiefen Mars hervorbrechen, tief, so tief und unheimlich und wild im Herzen, blutig, gebrochen und scharf, auf Messers Schneide. Das Schreien im Kopf, Stille um mich herum. Stumm gellendes Geräusch von zerbrochenem Glas auf mattem Schiefer. Hände leblos und tot, untätig, zu Eis erstarrt.
In den gelben Staub der Arena gedrückt. Besiegt. Verloren. Geradewegs zur Hölle.

© Rainer M. Scholz

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