Das Mädchen an der Mauer

Kurzprosa zum Thema Einsicht

von  Martina

Lucy hatte sich erschöpft an die Mauer gelehnt. Wie man sich wohl fühlte, so als kalte Mauer, fragte sie sich. Vielleicht wollte sie gar nicht meinen Rücken an sich gelehnt spüren? Nun musste sie es sich einfach gefallen lassen. Musste mir Halt geben, musste meine Tränen in sich aufsaugen.

In dieser Lage, bin ich eindeutig in der besseren Position, dachte sie, denn ich kann aufstehen und gehen wenn du mir zuwider bist, wenn ich dich nicht mehr ertragen kann. Doch du? Du musst es über dich ergehen lassen (wie ich sonst), solange ICH will.

Die Sonne hatte die Mauer erwärmt, so dass sie sich wohlig daran schmiegte. Es ging ihr schon etwas besser. Sie strich zärtlich mit ihrer Hand über das rauhe Gestein, als wollte sie sich für ihre Aufdringlichkeit entschuldigen.

Ihre Handgelenke zierten saubere Mullbinden, die ein paar Schnitte vor neugierigen Blicken schützen sollten. Manchen Menschen ging es bestimmt schlechter, auch sie wurden benutzt, und nicht nur als Halt, sondern um sie zu quälen und zu erniedrigen.

So wie man es mit ihr getan hatte. Einfach aus Spass, weil andere es liebten, Macht über einen Menschen zu haben. Diesen mit Füßen zu treten, auch wenn er schon längst am Boden lag. Vielleicht waren beide krank, irgendwie. Derjenige, der misshandelte, und der, der einfach still hielt und es zuließ.

Lucy stieß einen Seufzer in die Betonfugen, mit denen die Mauer zusammengehalten wurde. Woraus bestanden ihre Fugen? Was hielt sie? Fast einer Antwort gleich, fiel ihr Blick auf das schöne kleine, wilde Stiefmütterchen, das unten an der Mauer vor sich hin blühte.

Es kitzelte, vom lauen Wind bewegt, hauchgleich ihre Hand, die sie neben sich in den Sand gelegt hatte, um damit in Gedanken zu spielen. Hier im Verborgenen, wuchs unbeachtet von allem ein kleines Wunder.

Und nun wusste sie, was sie zusammenhielt, wie der Beton die Mauersteine. Es war ihr Glaube! Der Glaube, das man alles bekommt, was man zum Leben braucht, so wie dieses kleine Pflänzchen zu ihren Händen. Wer sorgte für sein Wohlergehen?

Und noch ehe sie eine Antwort erwartete, wusste sie, das es der oder das gleiche war, der seine Hand über alles hielt. Sie musste nur lernen zu vertrauen, dass sie nie allein war, auch wenn sie ihren Peiniger jetzt verließ.

Zum Abschied legte sie ihre zarte Wange an die Mauer, roch ihren steinigen Duft, und lächelte in das Grau. Ihr war, als könne sie ebenfalls ein sonnenwarmes Lächeln im Rücken spüren, als sie voller Zuversicht ging.

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Kommentare zu diesem Text

Klopfstock (60)
(27.01.07)
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 Martina meinte dazu am 28.01.07:
Liebe Irene, es freut mich dies zu lesen, besonders von dir! Danke auch für den Tipp, werde es gleich mal berichtigen. Gut dass du da ein Auge drauf hast- ich übersehe immer soviel im Eifer des Gefechts. Die Geschichte fiel mir ein, als ich bei der Fotocommunity, in der ich auch drin bin, ein Bild sah: Ein Mädchen an der Mauer sitzend...Ebenso herzliche Grüße, Tina
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