Gespräche am Puls

Kurzgeschichte zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  RainerMScholz

Dieser Text gehört zum Projekt    "Auf Messers Schneide" - Selbsthass/-mord Lyrik
Gespräche am Puls

"Hallo, wie geht's."
"Wer spricht da?"
"Ich bin's: Sven. Mir war gerade danach, also dachte ich, ich rufe dich an."
"Hallo. Du hast lange nichts von dir hören lassen."
"Ja, ich weiß, Sabine."
Ich liege in der heißen Badewanne, mit der  Flasche roten Bordeaux´ neben mir auf dem Deckel der Toilette. Ich versuche mich zu entspannen. Sozusagen. Ich dachte, vielleicht könnte ich Sabine anrufen, damit sie mich auf andere Gedanken bringe. Wir kennen uns schon sehr lange. Von früher. Wir bleiben Freunde und so. Meine erste Liebe, um genau zu sein, scheinbar aus einem völlig anderen Leben. Das Laken war voller Blut, als wir das erste Mal miteinander. Das ist lange her. Ich kann sie immer noch und zu jeder Zeit anrufen, wenn ich mit einem Menschen reden will, eine andere Stimme hören möchte, als die eigene. Eine bekannte, ehemals vertraute Nähe suche. Rein platonisch, versteht sich. Eine andere, als die Stimme im Kopf. So viel Blut war es nun auch wieder nicht. Die Erinnerung verzerrt manches.
"Was machst du gerade? Ich bin eben erst nach Hause gekommen." "Nun, ich liege hier in der Wanne und trinke ein Glas Rotwein. Ich wollte nur ein bißchen reden, plaudern, weißt du."
Sie hat einen festen Job, einen Beruf: Technische Zeichnerin, oder etwas in der Richtung. Gut bezahlt. Ich konnte mich nie für die
üblichen Berufszweige mit ihren Karriereambitionen interessieren und vergesse stets, wie die gebräuchlichen Bezeichnungen lauten. Mein Job ist immer nur Geldverdienen gewesen - irgendwie. Stefan, mein Kindergartenkumpel, ist vom Dach seiner im 13. Stockwerk liegenden Sozialwohnung gesprungen, weil er die Fort- und Weiterbildungskurse nicht mehr ertragen konnte. Jedenfalls stand das in seinem lapidaren Abschiedsbrief. Letzte Worte: Ihr könnt mich alle 'mal. Aber alle.
Sabine erzählt von ihrer Arbeit, von Kollegen, erfolgreicher Firmenpolitik.
"Und wie läuft's bei dir?"
"Wie immer. Nichts Besonderes. Einige kleinere Promulgationen oder so. Wie üblich."
"Schön. Ich muß 'mal wieder vorbeikommen."
Die nackte, von der Decke baumelnde Glühbirne wirft bizarre Schatten in die Fluchten des weißgekachelten Badezimmers.
"Ja. Du mußt bei Gelegenheit vorbeikommen. Wir können etwas trinken und so."
"Ja - und so. Ich weiß schon."
"Was?"
"Und so."
"Quatsch. Das machen wir doch nicht mehr. Zu - verbindlich. Zuviele ekle Flüssigkeiten, die aus diversen Körperöffnungen – Du weißt schon."
Sabine liebt dieses anzügliche, wissende Feixen, diese verbrauchten, abgenutzten Andeutungen, die schon tausendmal zelebriert wurden.
Ich schenke Wein nach: Bordeaux. Lange werde ich nicht mehr durchhalten. Ich muß das Gespräch abbrechen, bevor mir der Hörer aus der Hand fällt.
"Also gut, Sabine. Ich melde mich wieder."
"Ja, Sven. Und trink' nicht soviel."
"Ja, danke für den Rat. Mach's gut."
Ich lege auf. Alles ist rot gefärbt, der Boden, die Wände. Das Blut aus meinen geöffneten Pulsadern hat das heiße Badewasser undurchsichtig werden lassen. Blut kondensiert an der nackten Glühbirne, dämpft das grelle Licht. Ich nehme einen Schluck Rotwein. Das Glas gleitet aus meiner Hand und zerschellt auf dem Kachelboden. Scherben in Blutlachen. Ich starre auf das gerötete Wasser. Dann schließen sich meine Augen ganz langsam. Ich höre auf.

© Rainer M. Scholz

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