Prinzessin Weißröckchen (2.Teil)

Märchen zum Thema Allzu Menschliches

von  tastifix

Geknickt lief sie zurück in ihr Zimmer. Die schönen Spielsachen blieben unbeachtet in den Regalen liegen. Selbst ihre süße Puppe Babsie und der Teddy Plumchen vermochten sie nicht aufzuheitern. Die vielen Bilderbücher konnte sie leider noch nicht lesen, denn die kleine Prinzessin war erst fünf Jahre alt.
Weil sie deren Telefonnummer nicht kannte, konnte sie dummerweise noch nicht einmal ihre Freundin aus dem Kindergarten anrufen.

Aber – einen Moment mal! Plötzlich sah sie gar nicht mehr mürrisch drein. Der kleinen Prinzessin war nämlich der königliche Flimmerkasten eingefallen. König Blitzesrein und Königin Sauberfein hatten ihrer Tochter das Fernsehen jedoch streng verboten, damit sie von den vielen grausamen Filmen keine Albträume bekäme.
„Sie merken das gar nicht. Sie sind ja weg!“ 

Munter flitzte sie ins Arbeitszimmer ihres Vaters, machte es sich in dessen riesigen Ohrensessel gemütlich und griff sich die Fernbedienung. Wie jedes Kind wusste sie mit der bestens umzugehen. Gespannt zappte sie durch die vierzig Programme. Mit der blöden Politik wusste sie natürlich noch nichts anzufangen und die Reiseberichte waren ihr zu wenig aufregend. Beim neunundzwanzigsten Programm aber stutze sie plötzlich und starrte ungläubig auf den Bildschirm.

Da spielten fröhliche Kinder, was ja eigentlich nichts Außergewöhnliches war. Aber die tollten nicht etwa, wie Weißröckchen immer, in sauberfeinen Kleidern und Hosen umher, sondern standen knietief in einer Pfütze, bewarfen sich jubelnd mit Schlamm und schmierten sich lachend von oben bis unten damit ein. Überall Matsche, im Gesicht und am ganzen Körper nur Dreck. Hinter den Ohren waren sie deshalb auch nicht mehr grün, sondern eher grau-schwarz und überhaupt ähnelten sie eher den Gruselgestalten aus Weißröckchens Gespensterbilderbuch.

„Das macht denen ganz dollen Spaß!“
Weißröckchen wurde richtig neidisch. Aber sie wäre ja nicht das kluge Kind ihrer überaus klugen Eltern gewesen, wenn es sie nicht auf eine dann richtig pfiffige Idee gebracht hätte. Flugs schaltete sie das Fernsehen aus und verließ das Arbeitszimmer wieder.

Vergnügt flitzte sie hinaus in den Schlosspark, bis hin zu den tollen Blumenbeeten, die die Königin dort selber angelegt hatte. Weißröckchen sprang über den weißen Minizaun davor und landete mit seinen strahlendweißen Sandaletten in der schwarzbraunen Blumenerde. Die waren die längste Zeit weiß gewesen, sondern sahen kurz darauf aus wie die Schuhe der Bauarbeiter auf der großen Baustelle von direkt gegenüber des Schlosses.

Bester Laune schaufelte die kleine Prinzessin mit den Händen in der feuchten Erde herum. Dann schmückte sie ihr langweilig weißes Kleid mit tollen, dunkelbraun-nassen Streifen und vergaß selbstverständlich auch nicht, sich das Gesicht und die Beine gründlichst mit dem Lehm einzuschmieren. Aus der kleinen Prinzessin in Weiß war ein mehr als dreckiger Dreckspatz geworden.

Und schon kam ihr ein zweiter, dann noch pfiffigerer Einfall: Laut lachend rannte sie ins Schloss zurück – natürlich, ohne sich die Schuhe auf der Matte vor der Eingangstüre abzutreten – , lief geradewegs in den prächtigen Ballsaal und tanzte dort ein paar Runden. Überall auf dem Boden sah man schwarzbraune Tapser.

„Das sieht lustig aus!“, stellte Weißröckchen fest.
Doch die weiße Tapete dort sollte ebenso lustig aussehen. Voller Begeisterung patschte sie wieder und wieder mit ihren lehmverkrusteten Händen darauf herum. Aus dem Prachtsaal wurde eine richtige Lehmkuhle.
„So schön wie jetzt war es hier noch nie!“, lobte sich Dreckspatz Weißröckchen.
An ihre Eltern dachte sie da mit keinem Gedanken.

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