Reise ins Dunkel

Geschichte zum Thema Andere Welten

von  Strobelix

Friedlich liege ich hier in einem großen Raum mit zwei Fenstern - der gleiche übrigens in dem ich auch schon gestern lag - und gebe mich gedankenlos meinen Tagträumen hin. Wann ich hier angekommen bin weiß ich gar nicht mehr, aber genau genommen spielt es im Moment auch überhaupt keine Rolle. Der helle Schein der Morgensonne, die durch beide Fenster auf den Boden fiel, ist heute bereits an mir vorübergezogen. Nun liege ich im Schatten, regungslos genieße ich die Stille, die mich umgibt. Alles wirkt ruhig, als würde die Zeit vorübergehend stillstehen, wäre da nicht das permanente, leise, aber unüberhörbare Ticken einer Standuhr am anderen Ende des Raumes. Es weist in seiner Regelmäßigkeit darauf hin, dass Zeit etwas unaufhaltsam Voranschreitendes ist; eine unaufhaltsame Macht der Vergänglichkeit.

Dieser fast idyllische Zustand wird plötzlich unterbrochen, als sich die Türe öffnet und ein maschinenartiges Geschöpf mit – wie mir scheint – leicht quietschenden Rädern in den Raum rollt, in dem ich mich befinde. Es poltert über die Schwelle und wird von einer Menschengestalt begleitet. Vielleicht ist es ein Dompteur, denn er scheint das Ungetüm an seinem Rüssel – oder ist es nur ein besonders langes Bein? – herumzuführen. Es sieht für mich auf den ersten Blick nicht wirklich bedrohlich aus, doch aus meiner Perspektive macht es zweifellos einen imposanten Eindruck.

Verschiedene Fragen schießen für meine abrupt veränderte Gedankenwelt wirr durch den Raum?
Was ist das für ein Geschöpf?
Ist es ein Roboter?
Ist es ein neues Kinderspielzeug?
Ist es vielleicht eine Kampfmaschine?
Ist es ein hypermodern-innovatives Möbelstück?
Ist es schon ein nachapokalyptisches Raumschiff?

Bevor ich den Ansatz einer Antwort finden kann, tritt die Begleitperson kurz auf den Rücken dieses unbekannten Wesens, worauf es anfängt zu Schnurren. Doch unmittelbar danach wird daraus ein unaufhörliches Jaulen, das leise von pfeifenden Geräuschen begleitet wird. Erschreckend finde ich die ungewohnte Konstanz dieses Tons; es gibt keine Unterbrechung, keinen Hinweis auf ein Luftholen, nichts was sonst für ein Lebewesen charakteristisch ist.

Jetzt wo es näher kommt, kann ich auch mehr Details erkennen. Es hat einen breiten flachen Kopf und an der Unterseite ein Maul, das so breit zu sein scheint wie der ganze Kopf. Es erweckt den Eindruck als hätte es sich am Boden angesaugt; dennoch bewegt es sich dabei gleichmäßig vorwärts. Ausdruckslos wie die augenlose Maske eines Außerirdischen, die auf dem Boden schnuppernd nach etwas sucht. Doch halt, was sehe ich? Gerade in diesem Moment wird der Kopf in seiner Bewegung langsamer, kommt sogar kurz zum Stehen und kehrt auf einmal um. Es ändert sich nur seine Bewegungsrichtung und dann gleitet er ohne sich umzudrehen wieder langsam rückwärts.

Ich spüre einen Luftzug als sich das unbekannte Wesen in einiger Entfernung an mir vorüberbewegt. Nicht stark, aber das erstaunliche ist weiterhin: Es atmet, aber es scheint nur einzuatmen, ohne Unterbrechung, wie ein Sog der dauernd Luft in Kopf und Rüssel hineinzieht.
Je weiter es sich entfernt, desto leiser wird es. Doch statt den Raum zu verlassen, wie ich es mir wünschen würde, kehrt es vor der Türe wieder um, fängt wieder an sich vorwärts zu bewegen. Es kommt mir diesmal näher als zuvor, zögert kurz und bewegt sich dann immer weiter auf mich zu.

Das Geräusch wird lauter, zu dem bekannten Pfeifen und Brummen mischt sich noch ein nahes Rauschen. Ich spüre wie der saugende Wind zunimmt, als der Kopf immer weiter auf mich zukommt. Jetzt ist er schon direkt vor mir; der Sog wird für mich spürbar; ich kann mich kaum noch halten; doch das breite Maul kommt immer noch näher heran. Der Wind wird stärker, jetzt sind es nur noch Zentimeter. Ein Schatten fällt auf mich. Das Licht wird weniger; wird es etwa auch von diesem Ungetüm angesaugt? Ich weiß es nicht, ich kann es mir nicht erklären, ich habe auch keine Zeit darüber nachzudenken, denn plötzlich ist es dunkel, ich verliere den Boden unter den Füßen; ich werde nach oben gerissen; in das vollkommene Dunkel hineingezogen. So habe ich mir immer ein schwarzes Loch vorgestellt. Ich habe längst die Orientierung verloren, weiß weder wo ich bin noch wohin es geht. Wo ist hier vorne, wo ist hinten? Woher kam ich, wo geht es hin? Der Luftzug reißt mich weiter nach oben, wie mit scheint, doch plötzlich geht es abwärts, so kommt es mir jetzt vor, wie durch eine rundum geschlossene Achterbahn auf einer gewundenen Bahn fliege ich weiter ohne Ziel.

Nach Sekunden, die mir wie Stunden erscheinen, auf dem Weg durch eine Geisterbahn ohne Geister, ohne dass ich in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen vermag, was mir bei der Orientierung helfen könnte, wird mein Flug zusehends langsamer. Zugegeben es ist erstaunlich, aber ich habe trotz der unglaublichen Schwärze um mich herum den Eindruck, dass ich gerade einen Tunnel verlasse und einen sich daran anschließenden Raum betrete. Nun betreten ist übertrieben, ich fliege ungefragt hinein und kann mich nicht dagegen wehren. Mein Flug wird gebremst; ich komme zur Ruhe in einer auf mich staubig wirkenden Gegend. Doch weiterhin zerrt ein starker Wind an mir. Der Raum um mich wirkt recht geräumig, aber nicht leer. Er ist wohl viel kleiner als der Raum aus dem ich ursprünglich komme, aber es ist hier eben jetzt total finster. Hier ist kein Lichtstrahl, ich kann nichts erkennen. Dafür höre ich einen dauernden Lärm, ein permanentes Donnergrollen, und es gibt da noch diesen ungemütlichen kontinuierlichen Luftzug. Er kommt im Groben aus der Richtung, aus der ich kam. Wahrscheinlich war es dieser Luftzug, der mich hierher befördert hat.

Bevor ich meine Gedanken ordnen kann, wird der Lärm von einem lauten Knacken überlagert, anschließend lässt der Lärm nach, flaut ab bis zur totalen Stille. Auch der Wind wird schwächer, wenig später spüre ich keine Luftbewegung mehr. Nach kurzer Pause vernehme ich über mir ein surrendes Geräusch; so als würde sich eine Rolle drehen, die etwas aufzuwickeln versucht. Das Surren endet abrupt mit einem dumpfen Knall und sofort herrscht endgültig Ruhe in dem Raum, in dem ich mich befinde.

Doch das Rätsel hat kein Ende. Mein Eindruck ist, dass ich und meine Umgebung hochgehoben werden. Wir heben ab und fliegen scheinbar schwankend weiter. Hat jemand das saugende Ungeheuer gepackt? Wird es gefressen oder weggetragen ohne sich zu wehren?

Die beschriebene Reise führte mich ins Dunkel.
Wo ich bin? Ich weiß es nicht!
Helfen könnte jetzt nur etwas Licht!

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Staubkorn


Anmerkung von Strobelix:

Anmerkungen sind sehr erwünscht, bei positivem Feedback könnte es vielleicht mehrere Geschichten dieser Art geben ...

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Kommentare zu diesem Text

DarkLord (32)
(10.11.04)
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 Strobelix meinte dazu am 10.11.04:
Danke für Deine neun Punkte als Bewertung dieser Geschichte. Ich freue mich sehr über Deine Rückmeldung, weil ich doch Zweifel hatte, ob diese Art Text auch bei anderen ankommt. Grüße, Strobelix
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