Sonntagsmahl

Erzählung zum Thema Erziehung

von  rela

Wir waren eine große Familie. Immer zum Sonntagsmahl saßen wir am langen
Küchentisch. Meine Brüder, meine Schwestern, Mutter, du und ich. Dein Platz
war an der Stirnseite des Tisches. Mutter`s, dir gegenüber am anderen Ende.
Oft gab es nur Kartoffeln, Wurzelgemüse und wenig Fleisch.
Früher ging es immer laut und lustig zu beim essen. Da war dein Platz noch leer.
Die Geschwister plapperten wild durcheinander, lachten, zogen sich keck an den
Haaren und manchmal fragte eines, ob es noch ein Stück Fleisch haben kann.

Doch irgendwann hattest du beschlossen, nicht mehr im Wohnzimmer zu essen.
Hast deinen Platz an der Stirnseite des Küchentisches beansprucht und mit unserer
Erziehung begonnen. Keines deiner Kinder sollte sich jemals wieder wagen, nach
einem extra Stück Fleisch zu fragen und lachen während der Mahlzeit, hast du auch
nicht mehr geduldet.

Gleich rechts neben deinem Teller lag der Rohrstock. Erbarmungslos hast du auf
die kleinen Finger eingeschlagen, bis selbst das Unbedarfteste von uns nicht mehr
wagte, seinen Mund aufzumachen. Es wurde still am Tisch und selbst Mutter, die
Anfangs noch beschwichtigend nach Worten rang, verstummte vor deiner gnadenlosen
Härte. Du hast es nicht verstanden, uns mit Liebe und Güte zu erziehen.

Ich bin gegangen, irgendwann. Habe meine kleinen Geschwister einfach zurückgelassen.
Doch immer, wenn mich die Erinnerung überkam, war dieses traurige Bild in meinem Kopf.
Einen Tisch voller kleiner wilder Engel mit gestutzten Flügeln, sah da mein Herz.
Seither hasse ich Sonntagsmahlzeiten und Rohrstöcke.

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Kommentare zu diesem Text


 souldeep (28.07.07)
ja, liebe Rela, so hat es wohl an manchem tisch geklungen
oder eben nicht, sondern gestummt, sozusagen.

ich weiss nicht...
es ist mir ein rätsel, wie besonders männer auf diese weise
ihr ordnungsbedürfnis an schwächeren ausrichten und ihnen
abverlangen...aufzwingen und sie beschneiden bis gewalttätig
misshandeln.
ich kenne diese situation ohne rohrstock in der heutigen zeit -
wenn jedoch der vater mit seinen sorgen nicht mehr weiter
kann und deshalb ungewaschen seine kinder beim essen
dauernd niedermacht, unkontrolliert und dumm finde ich das.

es macht mich so rasend.

und ich verstehe dein bild aus dem herzen so sehr, dass es
mich persönlich schmerzt...

liebe grüsse dir
kirsten

 rela meinte dazu am 02.08.07:
Liebe Kirsten, brauchte mal wieder ein paar Tage KV-Auszeit darum erst heute meinen lieben Dank für Deine Worte zu meinem Text.
Der Text ist aus einer aktuellen Empfindung entstanden. Du hast es ganz richtig erkannt, solche Stimmungen können auch ohne Rohrstock
erzeugt werden von einer Vaterfigur, die glaubt Erziehung muss
nach ihrem Willen und Gesetz ausgeübt werden.
Viel Spontanität, Lebenfreude und Lachen geht hierdurch verloren.
Mich macht eine solches "auf die Finger hau" Rohrstock-Denken
ebenfalls rasend. Ich glaube Du hast wieder ganz genau gefühlt,
was mein Text aussagen will. Liebe Grüße sendet Dir Rela
JowennaHolunder (59)
(02.08.07)
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 rela antwortete darauf am 02.08.07:
Liebe Wally-Jowenna. Ich denke, wer einmal im Leben so eine Holzhammer-Erziehung erlebt hat, dem muss ich nicht erzählen,
wie man sich da fühlt. Immer wenn ich durch solche "Erziehungs-
Prügel" Methoden daran erinnert werde, kocht mir die Galle über.
Ich galube, meine Gefühle wurde durch vieles was ich hier bei KV eben lese wieder geweckt, denn auch Wissen und Können lässt sich keinem
durch "Fingerschlag"- Methoden beibringen. Mit Liebe und Güte ist da glaube ich viel mehr zu erreichen und auch anzunehmen.
Vielen Dank für Deine Worte und ganz herzliche Grüsse von Rela
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