Der Kampf mit der Psychoanalyse

Satire zum Thema Abstraktes

von  tastifix

Halten Sie mal eine Rede zum Thema Psychoanalyse! Genau diese Aufgabe stand mir bevor. Ich wälzte sämtliche mir zur Verfügung stehenden Wälzer. Mir sprangen Über-Ich, Unbewusstes- und Bewusstsein aus der Seele in die Augen und mich dann an. Ich las und las, erinnerte mich an den früheren Pädagogik-Unterricht sowie erst recht an die wilden Diskussionen in jenen Stunden und fühlte mich heute, bald vierzig Jahre später, genauso zermatscht wie damals.

Welche Gedanken und Aktionen wurden von woher gesteuert, was um Himmelswillen war bloß das Über-Ich, wenn nicht gar nur eine verrückte Erfindung, um uns Normalmenschen noch mehr zu verwirren als ohnehin schon?

Mich quälte Panik. Wie hätte ich mich selber einzustufen, würde sich etwa heraus stellen, dass die Art all meiner Gedankengänge und die darauf folgenden Aktivitäten total gegen die bisherigen Psychologie-Erkenntnisse liefen? Gälte ich dann als Alien?

Alles Quatsch! Rigoros schnappte sich mein Unbewusstes mein Bewusstsein, jenes wiederum klammerte sich zur Sicherheit an mein Über-Ego oder pflichtbewusst auch umgekehrt. Alle Drei gemeinsam spornten meinen guten Willen an, eine wirklich gute Rede zu halten und wenn der erst einmal vorhanden war, wehrte ich mich nicht mehr gegen das Bevorstehende, sondern wollte.

Entschlossen zog ich gemeinsam mit diesen Vieren zum Veranstaltungsort und nach salbungsvoller Begrüßung einiger wichtiger Persönlichkeiten als da waren Schuldirektor und - oh Gott - Schulrat zum Rednerpult.

Jenes besaß sogar ein Mikrophon, was mich einerseits sehr beruhigte und gleichzeitig ganz enorm beunruhigte. Es vermittelte mir eine relative Sicherheit insofern, als ich mir sicher sein konnte, meine Piepsstimme würde auch noch die letzten Stuhlreihen in der nicht unbeachtlich großen Aula erreichen. Andererseits brach mir genau wegen dieses Mikros der Schweiß aus und sein Anblick ließ mich beträchtlich schlottern.

Allein ein einziges falsch gewähltes Wort und alle vernähmen es. Innerhalb von Sekunden würde aus mir bekannten Psychologin ein jämmerliches Nichts, preisgegeben der erbarmungslosen Verachtung des selbstverständlich bestens vorinformierten Publikums.

Anschließend mit Schimpf und Schande meines Amtes enthoben, sah ich mich schon im Arbeitsamt in der langen Schlange vor einem dieser heiligen Büros stehen und um Gnade sowie einen neuen Arbeitsplatz flehen.

Wegen des Rauswurfes total geschockt, würden dann Unbewusstes, Bewusstsein und erst recht das Über-Ich ebenfalls ihren Dienst quittieren, so dass ich dann wie innerlich erstarrt da stünde und dämlich in die Gegend stierte, mir aber zum Glück dann der Peinlichkeit der Situation nicht mehr bewusst wäre.

Ich räusperte mich nochmals, setzte eine ernste, feierliche Miene auf und ließ meinen Blick kurz über die Zuhörerschaft streifen, die ungeduldig mit den Füßen leise übers Parkett scharrte. Laut gehörte sich das ja nicht. Dies hatte ihr vielfaches Unbebewusste noch gerade rechtzeitig in deren Bewusstsein eingetrichtert.

"Meine sehr verehrten Damen und Herren!", begann ich.
Wie denn auch sonst.
Genau diese Worte hatte mein Unbewusstes meinem bibbernden Bewusstsein mit auf den Redeweg gegeben.

"Sie wissen ja, die Psychologie!", fuhr ich fort, schon bereits etwas psychologisches Land gewinnend, "ist uns heute bei der Erkennung seelischer Probleme eine große Hilfe. Sie findet für alle Möglichkeiten und noch mehr für alle Unmöglichkeiten garantiert die richtige Ursache, sei es in der Kindheit oder gar schon vor der Geburt des Einzelnen, ohne diese Begründung dann noch begründen zu müssen."

Kurz pausierte ich und musterte die Gesichter da vor mir. War ich schon zu wissenschaftlich vorgegangen, kamen deren Unbewusstes, Bewusstsein oder vielleicht allein deren Über-Ich noch mit? Ich schaute in aufgesetzt verstehenden Mienen, vernahm hie und da zustimmendes Gemurmel und doch tatsächlich sogar ein schüchternes Lachen.

Dies aber brachte so manches umsitzende Unbewusste auf die Palme, so dass es das Gefühl aufkommender Wut ins betreffende Bewusstsein katapultierte, was wiederum zu empörten Blickblitzen des jeweiligen Zuhörers in Richtung des Lachers führte.

Der schämte sich ganz fix und verharrte von da an mucksmäuschenstill, bediente sich auf diese Weise zwecks Bewahrung seines Seelenfriedens heimlich einer allgemein bekannten und gleichfalls massenhaft genutzten psychologischer Taktik.

„Noch vermögen sie meinen Worten zu folgen!“, bestätigte ich mir. „Das gilt es auszunutzen!“
Und ich nutzte es nach Kräften aus, steigerte und steigerte mich. Ließ eine regelrechte Worttirade auf meine armen Zuhörer los, währenddessen ich sehr wohl deren Reaktion darauf im Auge behielt. Zufrieden registrierte ich, wie aus den bloß interessierten Mienen sehr interessierte und dann faszinierte Mienen wurden.
„Was darf ich denen zumuten, wie weit kann ich noch gehen?“, zweifelte ich.

Jedoch was ich inzwischen so in Fahrt geraten, dass ich einfach alles auf eine Karte setzte.

Meine Argumentationsführung wurde wissenschaftlicher und schließlich dem Geiste eines wahren Genies würdig. Gebannten Blickes hing das Publikum an meinen Lippen.
„Ihnen allen ist ´Freud`, der uns folgende Begriffe in seiner Psychoanalyse auf sehr einleuchtende Weise begreiflich gemacht hat.“

Nach diesen bedeutungsschwangeren Worten machte ich eine kleine, unbedeutende Pause, um wirklich auch das Letzte an Konzentrationskraft beziehungsweise –willen heraus zu fordern. Atemlose Spannung herrschte im Saal.

Ich fuhr fort:
„Sigmund Freud (1856 – 1937) entwickelte die Psychoanalyse, deren grundlegender Begriff das Unbewusste ist, dessen Einführung in die Psychologie geradezu einer Entdeckung gleichkam.“

Was ich selber dann zu diesem Zeitpunkt leider entdeckte, war, dass allein bei der Erwähnung des Freud´schen Namens wie auf Kommando mehr und mehr meiner Zuhörer sichtbare Bewusstseinsschwächen erlitten, sie offensichtlich den Kampf ums Verständnis auf- und sich dann frustriert einem hoffentlich unbeobachtenden Nickerchen hinzugeben gedachten.

Hastig eröffnete ich dem restlichen, mit äußerster Anstrengung konzentriert lauschenden Publikum die tiefsten psychologischen Geheimnisse:
„Alles Erleben und Verhalten ist nach der Theorie der Psychoanalyse stets insofern realitätsbezogen, als das ´Ich` des Menschen zwischen den Triebansprüchen des unbewussten És` den im ´Über-Ich` individuell ausgebildeten Gewissensforderungen und den augenblicklichen Gegebenheiten der Realität vermittelt ... , usw. , usw. ... !“

Totenstille herrschte im Saal nach dieser bewusst hoch intellektuell gehaltenen Rede. Das Bewusstsein meines Publikums arbeitete auf Hochtouren, ließ sich dabei vom Unbewussten und ebenso vom Über-Ich zur Seite stehen, um diese Wahnsinnsausführungen wirklich sich bewusst zu machen und beinahe unbewusst zusätzlich im Gedächtnis zu speichern.

Wegen des krampften Überlegens bildeten sich über ihren Köpfen Rauchschwaden und kurz darauf bildete ich mir ein, die ersten stiebenden Funken aus Folge des nunmehr vor Anstrengung nicht mehr vermeidbaren Gehirnbrandes zu sehen.

Dieser sorgte für die Lösung der knisternden Spannung im Saale, was wiederum erneut Bewegung unter den Zuhörern auslöste. Jemand sprang auf, feierte mich mit `Standing ovations` schrie begeistert:
„Ein brennend interessantes Thema!“

Dies wiederum beendete abrupt die bewusst gewollte Denkpause der nicht mehr Denkenwollenden. Sie schreckten auf und zeigten, von ihrem unbewussten ´Es` sehr bewusst und nachhaltig unterstützt, betont engagiert wissende Mienen. Um nichts in der Welt wollte man in dieser erlauchten Gesellschaft etwa zugeben, dass nichts, aber auch gar nichts von dem, was referiert worden war, das eigene Bewusstsein erreicht geschweige denn sogar ins Unbewusste gedrungen war.

Doch da ich wusste, dass es sich jedoch natürlich so verhielt, ergriff ich eiligst die Gelegenheit beim Schopfe und erklärte alles aufs Neue, diesmal im bewussten Stil für Unwissende:

„Also, Ihr `Es` treibt Sie, auf dem Markt eine Banane zu klauen. Ihr Über-Ich meckert dagegen los. Sie empfinden lästige Gewissensbisse, wischen diese direkt wieder weg und mopsen das Obst trotzdem, weil Sie die einfach haben wollen!“
Befreites Lachen, dröhnender Applaus.

Gut nur, dass diese Erklärung niemals in Sigmund Freuds Bewusstsein dränge ...

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