Falls du den Weg nicht finden solltest

Geschichte zum Thema Trennung

von  tulpenrot

„Tschüss“, sagtest du und drehtest dich noch nicht einmal um, als du gingst. Warum du mich verließest, konnte ich damals nicht begreifen – und heute?

Heute denke ich immer noch an dich, stelle mir deine klaren Gesichtszüge vor, deinen Mund, deine Haare, deine Augen, dein ganzes Gesicht. Wie sehr gut kenne ich jede Falte, jede Unebenheit. Und wie sehr sehne ich mich danach, dieses Gesicht mit meinen Händen zu umschließen und deinen Blick zu erwidern.

Stattdessen lasse ich hilflos meine Hände sinken und stehe ratlos vor meinem Fenster. So warte ich hier – und kehre dann doch immer wieder zurück in die Dämmerung des Zimmers und weiß, dass es sinnlos ist zu warten.

Ich zünde eine Kerze an. Wie oft haben wir dies getan, wenn wir unterwegs waren und eine Kirche fanden, in der man Kerzen anzünden konnte. Es war wie ein Gebet damals - für liebe Menschen, für uns.

„Ich gehe den Weg der Liebe mit dir“, hattest einmal auf ein Papier geschrieben und lauter brennende Teelichter wie einen Weg dazu gestellt. Und ich dachte, es sei ein Versprechen für den Rest unseres Lebens, genauso, wie der Ring, den wir beide trugen, ein Versprechen sein sollte.

Doch nun sitz ich hier alleine vor meiner einzelnen Kerze und die Worte sind weg. Die übrigen Teelichter auch.

Ob du noch die Musik hörst, die uns der Straßenmusikant aufspielte? Tatamm, dideldummm tradeldi. Merkwürdigerweise treffe ich ihn immer wieder in den Städten, in die ich fahre, um dich zu vergessen. Doch er spielt mir immer neu Melodien vor, die wir damals hörten - er kann was! Man hört es.

Ich bin viel unterwegs, unruhig, rastlos.
Neulich fuhr ich mit dem Rad. Es war unser Radweg am See entlang. Die Kirche steht noch da, der Kirchhof, den du fotografiertest, ist immer noch übersät mit Rosenranken wie damals. Nur ein Haus in der Nähe wird gerade abgerissen. Das sah irgendwie nicht mehr so aus wie damals, eben eine Baustelle.

Auf den Straßen begegnen mir so viele Autos deiner Automarke wie nie zuvor. Manchmal kann ich die Nummernschilder erkennen, aber nie dein Gesicht. Meine Augen suchen jeden Flecken der Erde ab. Ich könnte dich ja sonst verpassen. Und ich zünde immer mal eine Kerze an. Damit du, falls du den Weg suchen solltest, eine Orientierung hast.


Anmerkung von tulpenrot:

Bitte nach wie vor beachten: Nicht alles an diesem Text ist komplett biografisch!

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(04.10.07)
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 tulpenrot meinte dazu am 04.10.07:
Ach chichi, es ist mir eben grad so aus der Feder geflossen . mir war so danach. Aber ich bemüh mich, mal wieder was andres zu schreiben. Es ist manchmal wie in der Malerei - die schönen Dinge des Lebens wirken oft leicht kitschig.
Aber dass du meinen Text lobst, ist wirklich schön! Ich hab den Eindruck, dass mir das Geschichten- schreiben im Moment mehr liegt als die lyrik.

LG und danke
Angelika
chichi† (80) antwortete darauf am 04.10.07:
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 04.10.07:
Nöö, ich auch nicht ... bisher jedenfalls nicht.
mmazzurro (56)
(04.10.07)
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 tulpenrot äußerte darauf am 04.10.07:
Na, wenn du wüsstest - ohne Navi wäre er niiiiiieeee hier angekommen. Von Anfang an nicht und später auch nicht.
Und mit dem Fahrrad hab ich den Weg gewusst.
Den Straßenmusikanten kennst du sicher auch. Er sitzt hin und wieder mit dem Akkordeon in Freiburg und obwohl er wirklich schräg aussieht, macht er fantastische Musik. Ich traf ihn dann in München und Stuttgart wieder.
Ich hab mich über deine Antwort aber sehr amüsiert - und über deine Empfehlung freu ich mich. Es geht ja schließlich auch um die Schreiberei. Und du machst mir Mut, diese Phase des Schreibens auszuleben.... Wenn ich dir erzähle, dass ich eigentlich an der Verfassung mehrerer Artikel für den Gemeindebrief sitze und nebenher dann sowas wie eben abfällt, fällst du sicher vom Glauben ab... fallls du je einen hattest - dann ist es jetzt sicher vorbei.. lach.
Angelika

P.S. Außerdem kannst mein Haus und Garten per Satellit erkennen, wenn du willst, ich winke auch --- oder soll ich die Kerze aufstellen?
(Antwort korrigiert am 04.10.2007)
(Antwort korrigiert am 04.10.2007)
Vergißmeinnicht (48)
(20.10.07)
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 tulpenrot ergänzte dazu am 20.10.07:
Schön, dass du das so siehst. Danke für deine Worte.
LG
tulpenrot

 Maya_Gähler (28.10.07)
traurig und doch hoffnungsvoll, sehnsüchtig und auch zum schmunzeln verleitend
berührend und nachdenklich stimmend
so empfinde ich deinen text
liebe grüsse,
maya

 tulpenrot meinte dazu am 28.10.07:
Liebe Maya, genauso hab ich es gewollt! Wenn es so rüberkommt und darin mitgehen kannst , freut es mich sehr - und ich hoffe auch dass, es die "richtige Adresse" auch so empfindet!
Danke für deinen Kommentar und für die Empfehlung
Angelika
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