Der Weihnachtsgeist

Text zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  Borek

Es war inmitten einer ruhigen Nacht, als ich aufwachte. Ich hatte etwas klopfen gehört, mehrmals hintereinander und davon war ich munter geworden.
Ich hochte angespannt in die Dunkelheit, bis ich feststellte, das Klopfen war mein eigenes Herz.
Ich wollte mich schon beruhigt wieder umdrehen und weiter schlafen, doch nun hörte ich Schritte auf der Treppe, die zum oberen Stockwerk mit den Schlafräumen führt. Ganz bestimmte Stellen geben einen unverkennbaren knarrenden Ton von sich, wenn man sie betritt. Da war es, genau daß letzte Knarren vor der Tür. Ich war wie gelähmt. Überall gab es Bewegungsmelder. Außenalarm, Innenalarm. Die Bewachungsfirma versprach, innerhalb von zehn Minuten, vor Ort zu sein. Es gab keinen Alarm, nur das knarren der Dielen und Schritte, schwere Schritte. Die Tür öffnete sich fast geräuschlos. Ich konnte es nur ahnend spüren und war nicht in der Lage das Licht anzuschalten. Ich war gelähmt. Auf den Teppichboden waren die Schritte gedämpfter zu hören, sie gingen zum Sessel. Das spärliche Mondlicht welches ins Zimmer fiel, lies nichts, keine Gestalt erkennen und trotzdem spürte ich die Anwesenheit. Wer war da, was geschah, mein Herz raste wie wild und trotzdem war ich unfähig das Nachtlicht einzuschalten. Ich war am ganzen Körper erstarrt. Und dann sah ich es im Mondlicht, die Kissen des Sessels bewegten sich, sie wurden eingedrückt als ob auf ihnen Jemand sitzen würde. Es saß kein Mensch auf  den Sessel, aber die Kissen waren von einer schweren Last eingedrückt. Hatte ich Fieber? Das Herz schlug mir bis zum Hals.
„Beruhige dich.“ Hörte ich eine Stimme. War es eine Stimme, oder war ich es selbst, der das zu mir sprach.
„Ich will mit Dir reden !“
Nein, daß kann nicht meine Stimme sein, seit wann rede ich in der Nacht mit mir selbst.
Und wieder befiel mich Panik, die mich lähmte.
„Was wollen Sie von mir? Wie sind Sie in mein Haus gekommen? Warum kann ich Sie nicht sehen?“
Worte die ich sprach, die aber sprachlos waren.
„Ich bin der Weihnachtsgeist. Charls Dickens hat schon von mir berichtet und so manche arme Seele konnte ich durch ihn retten. Ich weiß, Du hast sein Buch gelesen und warst tief beeindruckt davon, deshalb habe ich Dich für meinen Besuch ausgewählt.
Es hat sich vieles verändert auf dieser Welt, aber die Qualen der Verurteilten, der Nichtgerechten, haben sich nicht verändert.
„Und was bedeutet Dein Besuch bei mir?“
„Willst Du mir drei Nächte folgen? Ich zeige Dir die Zukunft der Menschen und die Folgen ihres Handelns. Nicht die Menschen an sich sind schlecht, das System ist krank. Es wird aber von Menschen geschaffen unter den Mäntelchen der Rechtschaffenheit. Der Mensch ist selbstgefällig und eitel. Bist Du dazu bereit, so erwarte mich morgen mit dem letzten Glockenschlag vor zwölf Uhr.“                                                                                                                                                              Das Sitzkissen nahm seine alte Form wieder an, ich hörte wie sich die Schritte wieder entfernten und fiel in einen tiefen traumlosen  Schlaf. Als ich am Morgen erwachte, zerknittert und gerädert sagte ich zu mir selbst, lese nicht so viele Märchen, dann schläfst du  besser.


Am kommenden Tag ging mir der Traum kaum aus den Kopf. Er beschäftigte mich ebenso, wie mich vor vielen Jahren die Geschichte der Weihnachtsgeister beeindruckt hatte. Natürlich ist man in der Weihnachtszeit gefühlsmäßig sensibilisiert, aber wir leben im aufgeklärten Zeitalter. Wir forschen mit Stammzellen, suchen die Energie der Sonne einzufangen und nutzbar zu machen. Aber Weihnachtsgeister in der heutigen aufgeklärten Zeit? Nein. Und so verkommen ist unsere Welt auch nicht. Bis auf so kleine Kriege, Afghanistan, Irak, Palestina, Libyen, Tscherkesien ist ja alles ganz normal, und alles weit von uns entfernt. Die verhungernden Kinder in Afrika sind den Stammeskriegern zuzuschreiben und all dies entzieht sich unseren Einfluß. Und Aids? Auch in unserer vergangen Geschichte um 16oo mußten wir mit der Pest leben und irgendwann haben wir diese überwunden und so wird es eines Tages ein Medikament geben und die Krankheit wird vergessen sein, wie die Pest. Also, so ziemlich alles ist im grünen Bereich.

Am Abend nach getaner Arbeit, es war alles gelungen, ein guter Tropfen rundete den Abend ab. Leichte Müdigkeit schlich sich ein und so ging ich schon etwas früher zu Bett. Schnell und tief schlief ich ein.
Ich hörte die Glockenschläge hell und klar. Eins , zwei, drei. Ich hatte eine alte Standuhr in der Diele die jahrelang nicht mehr ging, aber sie war eine gute Dekoration an diesen Platz. Sie schlug mit vollem Klang. Unmöglich.
Der zwölfte Schlag verklang. Da stand der Weihnachtsgeist vor mir. Sichtbar.
Ein altes zerbrechliches Gesicht, umrahmt von langen weißen, wallenden Haar. Ein weiterer silbriger Umhang verbarg die Zerbrechlichkeit seiner Gestalt.
„Bist Du bereit?“
Außer, „Ja“ konnte ich vor Schreck nichts sagen.
Träumte ich schon wieder, oder war der gestrige Abend doch kein Traum.
„Komm“, sprach der Geist und führte mich auf den Balkon.
„Unter meinen Mantel wirst Du die Vergangenheit, die Jetztzeit und die Zukunft durchschreiten. Die Zukunft wird schrecklich sein, wenn die Menschen sich nicht besinnen.
Das Böse wird herrschen, die Katastrophe wird die Unschuldigen verschlingen. Es wird alles versinken von dem was am Anfang stand um einen neuen Anfang zu schaffen.“
Er hüllte mich in seinen weiten Mantel. Ich verlor alle Gefühle von Zeit und Raum. Es war alles dunkel um mich. Doch plötzlich war ich wieder sehend. Wie einen Vogel gleich schwebte ich über ein wunderschönes Land mit gigantischen Bergen, riesigen Seen und Wäldern so weit mein Auge reichte. Ich konnte Menschen erkennen die in Zelten lebten, die eine rote Haut trugen und ihren Göttern Tempel bauten. Ich sah auch Schiffe die über das Meer kamen mit Menschen die wie eine riesige Welle, weißhäutige Menschen aus ihren dicken Bäuchen spuckte und die roten Ureinwohner auffraß. Eine nicht endende Kette immer neuer Schiffe die mit neuen Menschen ankamen und mit geraubten Schätzen der Ureinwohner das neue Land verließen. Es kamen neue Schiffe, die schwarze, gefesselte Menschen trugen, ihrer einstigen Freiheit beraubt und als Sklaven an der Küste verkauft wurden. Es war ein gutes Geschäft für die Sklavenhändler und für diejenigen die sie für sich arbeiten ließen.
Es wurde auch viel böses an das Ufer gespült, daß gereinigt, gesäubert werden mußte um einen neuen Grundstock für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit zu schaffen. So begann eine neue große freie Nation sich Ideale zu schaffen, der sie sich als Vorbild verpflichtet fühlte. Große Erfindungen zeugten von einen großen Geist, der nur in Freiheit existieren und gedeihen kann. Als Ersatz für die Sklaven erfand man das Fließband und den Roboter. Die Häuser wuchsen in den Himmel wo einst die Zelte der Indianer standen und wo einst ihre Jagdgründe sich befanden, fließt schwarzes Gold in die Kassen von Multis.

Es tritt eine Zeit ein wo man versucht die ehernen Grundsätze, die ein Land, ein Volk zur Größe führte zu vergessen. Die Selbstgerechtigkeit nimmt zu, die Überheblichkeit verschließt sich anderen Menschen, die doch Freund sein wollten. Der Rausch der Größe, der Mißbrauch der Macht, Menschen und Tatsachen zu manipulieren ist eine gefährliche Gradwanderung eines Volkes. Nicht das Volk manipuliert, es wird verführt.
Ich spürte, ich war in der Jetztzeit angekommen. Man bemühte sich krampfhaft gutes zu tun und erreichte genau das Gegenteil. Statt Freunde zu gewinnen, verlor man immer mehr und auch den Glauben an die eherne Gebote einer großen Nation.


Es begann mit einen kleinen Verdrängen der Situation, man muß es nicht unbedingt erkennen und danach handeln um etwas zu verhindern oder zu verbessern. Wir brauchen keine Freunde, wir sind stark genug und in einen Zerrspiegel sahen sie noch gewaltig aus. Die Regierung wird es schon wissen was sie tut. So konnte sich die zweite Stufe der Krankheit Verdrängen entwickeln- das Vergessen. Diese Krankheit verbreitete sich noch schneller als Aids oder die Pest. Die Menschen verloren erst streckenweise ihr Gedächtnis. Sie wußten nicht mehr was sie gerade getan hatten oder was sie tun wollten. Sie vergaßen Formeln und Funktionen, sie vergaßen, daß sie Männer oder  Frauen waren. Keine Züge fuhren mehr, man hatte sie vergessen. Wer noch wußte wie und was man ißt, war in einer beglückenden Situation.
Es gab kein Mittel gegen das Vergessen. Die Forschung für die Alzheimer Krankheit hatte man schon früher vergessen, und nun?
Ich bewegte mich in einen furchtbaren Bild des Zerfalls. Stolze Paläste waren von Unkraut überwuchert, Beton zerbröckelte, Gebäude stürzten ein, Feuer wütete, man hat es vergessen zu löschen. So versank eine große Nation ins Vergessen. Aber auch andere Völker hatten sie vergessen.

Der Morgen war grausam, mein Körper war zerschlagen als ob  eine Reise um die ganze Welt hinter mir läge. Die Träume dieser Nacht, es mußten ja mehrere gewesen sein, gingen mir nicht aus dem Kopf. Daß was ich anfangs geträumt hatte, kann jeder Mensch in den Geschichtsbüchern nachlesen. Es stimmt, was ich in einem Schnelldurchgang gesehen habe.
Es ist mit Sicherheit kein Ruhmesblatt einer großen weißen Kultur eine andere nur aus Habgier zu vernichten. Es ist auch ebensowenig glorreich, Menschen anderer Hautfarbe als Sklaven zu unterdrücken und eine Zweiklassengesellschaft einzuführen. Aber es ist eine große Nation entstanden die sich selbst reinigte und zu neuen großen Ufern führte. Es entstand das große Gefühl für Freiheit und Gerechtigkeit. Sie war für viele Unterdrückte das Schutzschild und das Tor für ihre Freiheit. Sie opferte viele ihrer Söhne um diese Prinzipien zu verkörpern. Es war eine große Nation. Sollte ein Fünkchen Wahrheit in meinem Traum bestehen, so soll sie durch das Vergessen dem Untergang geweiht sein? Nein! Unmöglich!

Oder hat doch diese große Nation ihre Ziele verraten?
Vietnam, Afghanistan, Irak waren die mit den großen Zielen vereinbar? Der Kriegsgrund
für Massenvernichtungswaffen, der dem Volk und der Welt verkauft wurde -eine Farce.
Welche Interessen standen dann dahinter? Öl ?
Regierungen fremder Länder wurden gestürzt, Diktatoren in Afrika und Südamerika zur Macht verholfen. Freunde kann man nicht kaufen, man muß sie gewinnen.
Dies ist die Jetztzeit, in vielen Zeitungsberichten nachlesbar.


Sollte diese große Nation ihre sich selbstgegeben  Ziele vergessen haben? Ist ihr Stolz so groß daß er für seine Freunde als Arroganz angesehen wird?
Freunde die nicht mehr Freunde sind, vergißt man.
Sollte ein Funken Wahrheit in diesen Alptraum stecken? Das Vergessen aller Werte?

Ich war zutiefst verwirrt, aber es war ein Muster erkennbar. Hunderttausende von Carpaketen haben geholfen Not zu lindern. Sie schufen Freundschaften, soll dies in den kommenden Generationen vergessen sein?
Verdrängen ist die Vorstufe von Vergessen. Ich bin sicher daß man sich der alten Werte  besinnt, neue Freunde wieder gewinnt und nicht in der Vergessenheit versinkt.




Natürlich hatte ich meine Standuhr überprüft. Sie ging nicht und konnte nicht schlagen.
Also, alles war ein interessanter Traum. Nur, ich war müde wie nach einer langen Reise.
So ging ich am nächsten Abend, es war der 22. Dezember, früh schlafen.
Beim zwölften Schlag wachte ich wie elektrisiert auf. Da stand er wieder vor mir, der gleiche Geist, wie in der letzten Nacht.
„Bist Du bereit“
„Ja“ kam es unsicher von mir.
„Du wirst heute etwas ganz anderes sehen als die Krankheit Vergessen. Es ist ebenso schlimm. Es entsteht nicht aus der Blindheit sondern aus der Klugheit der Menschen.
Die Vorgeschichte zeige ich dir nicht, Du kennst sie. Ich habe in Deinen Gedanken gelesen daß Du unsere gestrige Reise genau analysiert hast. Ich zeige Dir die Jetztzeit und die Zukunft.“
Er trat mit mir wieder hinaus auf dem Balkon, hüllte mich in seinen Umhang, und ich hatte wieder das Gefühl in der Schwerelosigkeit mich durch Zeit und Raum zu bewegen.

Ich konnte wieder sehen. Daß was ich erkennen konnte waren vertraute Bilder. Ich bewegte mich durch Laboratorien, sah Menschen experimentieren, Formeln aufschreiben, sie diskutierten aufgeregt miteinander, aber sie nahmen von mir keine Notiz. Ich betrat einen großen Konferenzsaal in den viele Menschen, Presse und Fernsehen anwesend waren. Ein seriös wirkender Herr mit Brille betrat unter dem Blitzlichtgewitter der Presse das Rednerpult.
„Es ist mir eine große Ehre Ihnen meine verehrten Anwesenden und der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, unserem Institut ist es gelungen, Sonnenenergie zu erzeugen. Alle Energieprobleme der Zukunft sind damit gelöst. Der enorm wachsende Energiebedarf ist nicht mehr abhängig von Öl, Gas und Kohle. Ein Traum der Menschheit hat sich verwirklicht“.
Tobender Applaus.
Schon befand ich mich an einen anderen Ort, einen anderen Platz. Aufgeregte Menschen liefen hektisch hin und her. Alarmsirenen schrillten grell in den Ohren. Durch den Lautsprecher hastete eine verängstigte Stimme. „Die Temperatur steigt. Schnellabschaltung hat versagt. Verlassen sie sofort den Reaktor! Wir haben die Kontrolle  über ihn verloren!“.
Ich sah zigtausende Menschen, so weit mein Auge sehen konnte, panikartig Haus und Hof verlassen. Die Straßen waren verhängnisvoll verstopft, es spielten sich Dramen ab, jeder wollte sich so schnell und so weit wie möglich in Sicherheit bringen.



Und plötzlich befand ich mich in einem Weltraumflughafen. Die Menschen schrien durcheinander. „Ich biete eine Million Euro für einen Platz!“.
Jeder wollte noch einen Platz für die letzten beiden Mondfähren bekommen. Das Wasser stieg und stieg und es blieben nur noch wenige Stunden bis das Meer auch diesen Platz erreicht hatte. Die Erwärmung der Erde hatte dramatische Formen angenommen. Die Pole schmolzen beängstigend schnell. Doch  dem Ausbruch glühender Lava eines unterirdischen Vulkans am Südpol, hatte kein Wissenschaftler vorhergesagt. So schmolz das Eis der Gletscher in einer Geschwindigkeit, mit der auch die Wassermassen im Meer zunahmen.
In den Hafenstädten wurden die Schiffe gestürmt, gleich einer Arche Noha hoffte man irgendwo wieder Boden unter den Füßen zu finden. Die Spitze des Ulmer Münsters konnte ich noch aus dem Meer ragen sehen und soweit mich mein Geist trug konnte ich nur Wasser und nochmals Wasser erkennen.

Es war Morgen. Regen trommelte an mein Schlafzimmerfenster. Kein Wunder, daß ich von so vielen Wassern geträumt hatte.
Trotzdem lies mich der Traum nicht los. Könnte so unsere Zukunft aussehen?




Was erforschen unsere Wissenschaftler? Sezieren den Menschen und zerlegen ihn in Bausteine. Suche nach Energie um den Wachstum zu sichern. Die Gesetzte der Natur zu erkunden um das Wunder an ihr zu entzaubern  Alles zu verstehen und zu wissen. Auch der Weltraum wird nüchtern analysiert. Wo läßt man noch Raum für den Schöpfer all dieser Dinge. Verdrängt man ihn nicht in einen kleinen Winkel, der eine Reaktion von ihn erfordert.
Bei all diesen Nachdenken schlug ich die Bibel auf, die immer auf meinen Schreibtisch liegt.
Mein Finger blieb an einer Stelle hängen und ich lies.



Denn wie es in den Tagen Noach's war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alles wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
Matthäus 24,37-39

Und weiter ist zu lesen:

Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen.
Matthäus 29,29-30

Es war für mich ein nachdenklicher Tag. War der Traum wirklich nur ein Traum. Ich war beunruhigt, verunsichert. Am Abend, des 23 Dezember, überprüfte ich nochmals die Standuhr, bevor ich schlafen ging. Sie konnte nicht schlagen.

Sie schlug doch. Zwölf Schläge. Schon beim ersten erklingen saß ich hellwach in meinen Bett. Beim zwölften Schlag stand der Geist wieder unvermittelt vor mir.
„Bist Du zu unser letzten Reise bereit?”
„Ja. Es ist also kein Traum? „
„Nein!”
„Aber warum, ich? Ich habe nicht die Kraft die Welt zu verändern, zu verbessern. Deine erschütternde Warnung mit dem Blick in die Zukunft, wie soll ich dies vermitteln?”
„Schreibe was du siehst, man wird es lesen und zum Nachdenken anregen.”
Er hüllte wieder seinen Mantel um mich, erneut verlor ich das Gefühl für Zeit und Raum.

Meine Augen konnten langsam wieder klare Konturen erkennen. Ich schwebte über einer paradiesischen Landschaft. Hier lebte der Mensch im Einklang mit der Natur. Ich sah riesige Herden von wilden Tieren: Elefanten, Zebras, Löwen, Tiger. Der Mensch lebt bescheiden von der Jagd, und dem Ackerbau. Seine Hütte, seine Stammesgemeinschaft waren der Hort seiner Zufriedenheit. Und es kommen Jäger, die diese Eingeborenen jagen, sie in Fesseln legen, sie aus ihrer Gemeinschaft reißen, mit Schiffen wie Tiere verfrachten und als Sklaven an die Neue Welt verkaufen.
Es kommen Kolonialherren und es entstehen für diese Kolonialstaaten. Ich kann erkennen, daß viele Staatsflaggen gehißt werden und das Volk der Ureinwohner zur Arbeit auf den Feldern ausgebeutet wird. Der Weiße ist überlegen und wird auch dadurch überheblich.
Es werden Diamanten und unermeßliche Schätze gefunden. Dieser Reichtum dieses Kontinents zieht Menschen an, die schnell reich werden wollen. Es entsteht eine Zweiklassengesellschaft. Derer, die arbeiten müssen und die, die verdienen wollen. Ich sehe den Aufstand der stolzen Buren und deren Vernichtung. Ich sehe den Haß wachsen, obwohl vom Anfang an vorwiegend  freundliche Neugier den weißen Neuankömmlingen entgegengebracht wurde. Es ist fast gleichgültig, ob sie als Sklave verschleppt, oder als Arbeitstier auf dem einst gehörenden Stammesgrund  ausgenutzt werden. Wie sich doch die Bilder meiner ersten Reise ähnelten.
Das Selbstbewußtsein und die Gier zieht auch bei ihnen ein. Das Selbstbewußtsein beendet die Kolonialzeit. Die Gier unterdrückt die einstigen Stammesbrüder und richtet verheerende Vernichtungen unter den Menschen an. Millionen von Menschen sind auf der Flucht vor Hunger und Gewalt. Riesige nutzbare Flächen vertrocknen unter dem Mangel von Regen. Der Reichtum der Länder fließt wieder in die gleichen Kassen derer, die das Land verlassen mußten. Das Volk sieht davon nichts. Zigtausende sterben vor Hunger, oder sind auf der Flucht in ein erdachtes Paradies über das Meer. Krankheit und Hunger, Mord und Totschlag
zehren das einstige Paradies wo Mensch, Tier und Natur im Einklang miteinander lebten, aus.
Ich sehe das steigende Meer es frißt große Teile der Küste. Die Wüste verschlingt mit großer Geschwindigkeit das letzte Land. Ich kann von dem einstigen Paradies nur noch Wüste und Meer erkennen. Von der Schönheit der Schöpfung ist nichts mehr zu erkennen, sie ist versunken in der Gier und Unfähigkeit des Raubtieres - Mensch.

Es ist der 24. Dezember, Heilig Abend.
Meine Gedanken kreisen um das was ich erlebt und gesehen hatte. Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit beschleicht mich. Es stimmte so vieles an dieser Reise, an der Zeit, und auch an der Zukunft die ich gesehen habe. Es könnte auch in ihr ein Funken Wahrheit stecken.
Die Kinder hatten den traditionellen Weihnachtsbesuch abgesagt. Ich hatte besinnliche Weihnachtszeit und so setzte ich mich hin und schrieb meine Reise mit dem Weihnachtsgeist  in die Vergangenheit, Jetztzeit und Zukunft auf.

Ich hatte es schon mit Verwunderung wahrgenommen, meine Standuhr ging wieder und sie schlug mit vollem Klang jede volle Stunde. Ich fand die Bibel aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch und verwundert las ich:

Bevor aber der Tag des Herren kommt,der große furchtbare Tag, seht da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht komme und das Land dem Untergang weihen muss.

Die Uhr schlug zum zwölften mal. Der Weihnachtsgeist hatte seine Pflicht zu mahnen erfüllt. Weihnachten war vorbei.

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