Magie liegt in der Luft

Erzählung zum Thema Behinderung

von  Maya_Gähler

Ich war beim Weihnachtsspiel der heilpädagogischen Schule, welche von meiner Tochter seit dem Sommer diesen Jahres besucht wird. Seit sie viereinhalb Jahre war, ist sie mit einer HPS vertraut. Ihre reguläre Schulzeit war nun diesen Sommer zu Ende und sie wechselte auf eine Schule, die sie für zwei Jahre auf das Arbeitsleben vorbereitet. Ich erzähle dies nur, damit man sich in etwa vorstellen kann, wie die Situation ist.

Ein Weihnachtsspiel findet in dieser Schule alle zwei Jahre statt. So wird es für meine Tochter die erste und letzte Möglichkeit sein, daran teilzunehmen. Sie nahm ihre selbstgewählte Rolle sehr genau und mächtig ernst. Es war eine Freude ihren Eifer über die letzten Wochen zu sehen und zu spüren. Wie oft hat sie zuhause geübt. Ihr möchtet nun sicher wissen, welche Rolle sie sich ausgewählt hat. Sie spielte den Soldaten des König Herodes.
Schon manches Weihnachtsspiel oder Krippenspiel habe ich im Laufe meines Lebens besucht. Jedesmal hat es mich berührt, wie die Kinder in ihren Rollen aufgingen. Ob nun behinderte oder nichtbehinderte Kinder, es war jedes Mal neu und spannend, auch mal lustig oder sehr ernst. Doch diesmal war alles anders. Noch nie habe ich im Zuschauerraum gesessen und musste so mit den Tränen kämpfen. Tränen der Rührung, der Demut und der Freude.
Es lag sicher auch daran, dass die Bearbeitung des Themas und die musikalische Begleitung wirklich wundervoll waren. Was diese Lehrkräfte alles auf die Beine stellten, das geht fast über mein Fassungsvermögen. Vielleicht bin ich dieses Jahr speziell sentimental, das mag sein. Doch diesen Genuss, den ich erleben durfte, den kann ich kaum in gerechte Worte fassen. Ich bin wirklich überwältigt von den Eindrücken.
Wenn ihr die Gesichter gesehen hättet, welche Freude, welches Staunen, welches Leben in diese Rollen eingehaucht wurde, ihr würdet mich verstehen. Die Kinder wurden beim Gesang unterstützt von einer Primarschulklasse. Das war für mich Integration im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wunderbares Miteinander. Die Lehrerinnen und SchülerInnen, welche im Orchester tätig waren, haben eine sehr hoch stehende Qualität bewiesen. Die Vielfältigkeit und das musikalische Arrangement waren erstaunlich. Es fehlte weder an Dramatik, noch an Humor, auch die Romantik und die Tragik waren zu finden.
Man wippte automatisch mit beim Schafhirtenboogie. Meine Güte, das hat gegroovt.
Das Lied über das Wachen im Stall hat einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken gejagt.
Berührend wie ein kleines Engelein von dunkler Hautfarbe und einem Kopf voller schwarzer Schillerlocken ein Lied sang mit glockenheller Stimme. Und das von einem Kind, welches eine geistige Behinderung hat. Mit ihm den Text zu lernen, so dass er verständlich war und dass es den Text behalten konnte, versetzte mich in helle Begeisterung. Ich staunte nur noch. Oder wie die kleinen süssen Engelchen vom Kindergarten auf den Klang der Triangel reagierten und sich anmutig drehten. Kinder in Rollstühlen spielten genauso selbstverständlich und freudvoll ihre gewählte Rolle, obwohl einige davon nicht alleine körperbehindert sind.
Ein sehr resoluter und doch humorvoller König Herodes hat sich so in der Rolle zuhause gefühlt, dass ich glaube, er ist einfach so. Habt ihr schon einmal ein Weihnachtsspiel gesehen, bei welchem eine Bauchtänzerin den König erfreut? Ich auch nicht, denn ihm war eine nicht genug, er hatte noch eine Zweite geordert und zwar mit knappen Worten: "Die ander".
Meine Tochter hat den König gut bewacht und ihre Saluts waren prächtig. Auch ihr Trommelspiel ging fehlerfrei von der Hand.
Jedes Kind hat sich so ins Spiel eingebracht, wie es in seiner Macht stand. Und diese Macht war gewaltig. Sie war übergreifend. Alle waren umgeben von einer Magie, die mich noch lange begleiten wird.



©g.b.=Maya_Gähler
2007-12-20

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (20.12.07)
Ein berührender Text, Maya, ein schöner Bericht in deiner gewohnten behutsamen, liebevollen Erzählweise.
Es ist schon toll, wie sehr ein Zauber auch auf die Zuschauer über gehen kann, wenn alle Darsteller so segr und von Herzen mit ihrer Rolle verschmelzen.
Ich habe es sehr gern gelesen.

Liebe Grüße,
Sabine
chichi† (80) meinte dazu am 20.12.07:
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 Maya_Gähler antwortete darauf am 21.12.07:
Herzlichen Dank Euch beiden.
Es freut mich sehr, dass mein Text so angekommen ist, wie ich es mir wünschte. Dass auch ein wenig von der Magie auf die Leser überspringt.
Alles Liebe,
Gudrun
Herzwärmegefühl (53)
(20.12.07)
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 Maya_Gähler schrieb daraufhin am 21.12.07:
DAS ist ein Geschenk für mich, hab lieben Dank und ich teile es gerne mit Euch. :o)
Herzliche Grüsse,
Gudrun
E.Lucy_Dation (32)
(20.12.07)
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 Maya_Gähler äußerte darauf am 21.12.07:
Ohne grosse Worte, dein Kommentar spricht für sich.
DANKE!
Herzliche Grüsse,
Gudrun
träumerle (55)
(20.12.07)
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 Maya_Gähler ergänzte dazu am 21.12.07:
Liebe Karin,
ich danke dir für deinen herzlichen Kommentar. Es ist schön zu lesen, was in dir vorgeht. Und es ist schön, dass du diese wunderbaren Momente kennst, die uns behinderte Mitmenschen bereiten.
Herzlichst,
Gudrun
orsoy (56)
(20.12.07)
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 Maya_Gähler meinte dazu am 21.12.07:
Liebe Konni,
das mitgrooven wäre sicher total lässig gewesen. :o)
Mein Dank auch an dich, du weisst schon...
Herzliche Grüsse,
Gudrun

 JohndeGraph (20.12.07)
Ich finde es toll wie Du es geschrieben und was Du geschrieben hast geht ans Herz. Bewegte Grüße J.d.G.

 Maya_Gähler meinte dazu am 21.12.07:
...und ich finde es toll, dass dich mein Text erreicht hat. Lieben Dank.
Freudige Grüsse,
Gudrun
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