5. Oktober : Perdon, eres tu Regina de Austria?

Tagebuch

von  Raggiodisole

Frühnächtliches Rascheln weckt mich auf. Wir haben gestern Abend beschlossen, wenn es den Mädls halbwegs gut geht, mit dem Bus nach Hospital de Orbigo zu fahren und von dort nach Astorga zu laufen.
Aber das Einpacken dauert und es wird wieder später, bis wir endlich wegkommen. Außerdem geht es den beiden nicht wirklich besser.
Als wir an der  Bushaltestelle ankommen, dürfte der von uns anvisierte Bus schon weg sein. Aber so genau weiß man das ja in Spanien nie, weil es gibt keine Fahrpläne bei den Wartehäuschen - sofern es überhaupt in Wartehäuschen gibt.
Wir warten ein wenig und dann gehen Antje und ich in eine Bar vis a vis und erkundigen uns, ob denn und wenn ja, wann heute noch ein Bus nach Hospital de Obrigo fährt. Laut Auskunft des Wirtes in einer halben Stunde, aber wir wissen schon, dass dies in Spanien ein dehnbarer Begriff ist.

Gerade als wir die Bar wieder verlassen wollen, stellt sich mir ein Mann in den Weg und fragt mich „Perdon, eres tu Regina de Austria?“ Ich schau ziemlich blöd aus der Wäsche und antworte dann „Si“. Da sagt er „ Soy José Manuel de León“. Und ich schau noch blöder. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit. Da stehen wir sozusagen mitten in der Pampas und wer läuft mir über den Weg? Besagter José Manuel, dem ich in León eine Mail geschrieben habe und der mit seinem Freund gerade genau in der Bar gefrühstückt hat, in die Antje und ich zum Fragen gegangen sind. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Ein Ein Caminowunder???
Jedenfalls erkundigt er sich, wie es den zwei Kranken geht und fragt, ob er uns irgendwie helfen könne. Ich verneine und erzähle ihm von unserem Vorhaben, dass wir die heutige Etappe etwas verkürzen wollen, damit sich die beiden noch etwas schonen können. Dann verabschieden wir uns, weil er leider zurück nach León zur Arbeit muss.
Hab ich übrigens schon erwähnt, dass wir uns natürlich auf Spanisch unterhalten haben? Nein, na dann also jetzt. Und ich kann ganz stolz sagen, dass sich mein Spanisch im Laufe der Zeit doch verbessert hat. Oder liegt es einfach an der Tatsache, dass es mir wurscht ist, ob grammatikalisch alles richtig ist und nicht doch das eine oder andere italienische Wort dabei ist. Hauptsache man versteht mich. Und das tut man, in Apotheken, bei Ärzten und beim Zimmer organisieren.
Aber weiter in Text. Ich bin noch eine Weile ganz aufgelöst, weil ich es nicht fassen kann, was es für Zufälle gibt – entschuldigung, Caminowunder, weil ein solches MUSS es einfach gewesen sein.

Jedenfalls warten wir auf den Bus … und warten … und warten … jeder Busfahrer, der vorbeifährt bzw. an dieser Haltestelle stehenbleibt, vertröstet uns auf den Nächsten. Aus der halben Stunde sind schon eineinhalb geworden und wir beschließen, den nächsten Bus zu nehmen, egal wo er hinfährt.
Nach zwei Stunden Wartezeit kommt endlich ein Bus, der bis Astorga fährt. Und da es inzwischen schon fast Mittag ist und wir irgendwie weiterkommen müssen, steigen wir ein. Und treffen die Steirermädl aus Hontanas wieder. Auch sie wollen bis Astorga.
In Astorga lotst uns Gabriele in die Herberge und wir belegen vier Einzelbetten gleich beim Fenster. Dann ab in die Stadt. Mittagessen auf einer Plaza. Es ist heute ein strahlender Sonnentag. Die Kathedrale ist insofern ein Muss, da ich Edeltraud versprochen habe, eine ganz bestimmte Madonna für sie zu fotografieren.  Sie hat ihr Foto leider verwackelt. Ich suche als jene Madonna, kann sie aber nicht finden. Ein zweites Mal drehe ich eine Rund durch die Kathedrale und bleibe dann vor der einzigen Statue stehen, die mit Plastik abgedeckt ist. Genau diese wird es wahrscheinlich gewesen sein. Schade, ich hätte Edeltraud gern diesen Gefallen getan.
Auf dem Rückweg kaufen wir Wasser und was zu essen. In der Herberge begrüßen uns schon die Waldviertler und auch Ernst ist da, aber in was für einem Zustand. Geschwollene Füße und Blasen über Blasen.
Ich unterhalte mich lang mit ihm und dränge ihn, doch vernünftig zu sein und einen oder zwei Ruhetage einzulegen. Schließlich hat er mir ja versprochen, am 17. in Santiago mit mir auf seinen Geburtstag anzustoßen. Aber wenn er so weitermacht, erreicht er Santiago nie. Diese Männer mit ihrem sportlichen Ehrgeiz.
Antje und Gitti gehen sehr früh schlafen, gedopt mit ihren Mittelchen und Pillen. Irgendwann müssen sie ja helfen.
Aber ganz egal, was morgen ist, wir werden gehen, gehen, gehen.

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