Flirten mit Kant & Co.

Glosse zum Thema Liebe und Sehnsucht

von  JoBo72

Es fällt auf, dass viele Philosophen von Rang das waren, was man zu ihrer Zeit „Junggeselle“ nannte. Heute sagt man: „Single“. Teils blieben sie gewollt unverheiratet (Leibniz, Kant), teils ungewollt (Nietzsche), teils auch, weil es zu ihrer Zeit noch keine „Homo-Ehe“ gab (Bacon). Und wenn sie eine Frau hatten, dann halt eine Xanthippe (Sokrates)... Aber das ist ein anderes Thema, bleiben wir bei den Junggesellen.

Der Status des Junggesellen brachte es nämlich unter den Denkern in der Tat zu einer gewissen Popularität. Nachdem sich die Philosophen des christlichen Mittelalters noch einig war, dass Mann und Frau zusammengehören (Meister Eckhart: „Die Form kann nicht ohne Stoff sein, wie der Mann nicht ohne Frau.“[1]), so brachen mit der Renaissance alle Dämme: Das Individuum stand fortan im Mittelpunkt des Denkens, die Single-Gesellschaft ward philosophisch begründet. Schauen wir auf Einzelschicksale: Leibniz (1646-1716), von den Hofdamen Hannovers umgarnt, war der Ansicht, eine Frau stehle ihm bloß die Zeit, die er so dringend für seine Studien und Reisen brauche; wer den Umfang seines Werkes kennt, kann dem nur beipflichten. Kant (1724-1804), auch er vielseitig verehrt, bleibt dem schönen Geschlecht gegenüber hart – vermutlich „aus Pflicht“. Auch süße Worte vermochten ihn nicht zu überzeugen. Maria Charlotta Jacobi wird wohl ein Lied davon singen können. Sie versuchte es mit Anspielungen, die für die damalige Zeit als „direkt“ gelten können: „Meine Freundin und Ich überschicken Ihnen einen Kuß per Simpatie. Die Lufft wird doch woll im Kneiphoff dieselbe seyn, damit unser Kuß nicht die Simpatetische Krafft verliret.“[2] Kant bleibt cool, lädt weiterhin Herren zu seinen beliebten Tafelrunden ein und wählt den Junggesellen sogar als Paradebeispiel für eine analytische Wahrheit: „Junggesellen sind unverheiratet.“ Jede und jeder, die oder der Philosophie studiert, kennt dieses Beispiel aus Kants Erkenntnistheorie.

Vielleicht können sich die Singles unserer Tage bei den „Denker-Singles“ einige Inspirationen holen, gewissermaßen als Hilfestellung auf der stürmischen Fahrt in den sicheren Hafen der Ehe. „Ausgerechnet bei denen?“ – Nun ja, hier gilt es zu differenzieren. Denn natürlich gab es auch den frustrierten Single, von dem nichts zu lernen ist, außer, wie man(n) bei Frauen gerade nicht punktet. Schopenhauer etwa. In seinem Essay Über die Weiber[3] (1851) zieht er dermaßen grobschlächtig und bösartig über Frauen her, dass es selbst dem härtesten Macho die Sprache verschlägt. Kaum zu glauben, diese Anhäufung plumpester Pejorative! Dabei lässt sich erahnen, woher diese Abneigung gegen Frauen (und insbesondere gegen die eheliche Verbindung mit ihnen) bei Schopenhauer kam: Die erste Frau in seinem Leben, seine Mutter, hatte ziemlich bald nach dem Tod ihres Mannes einen Anderen geheiratet und mit ihrer Tochter das Erbe verschleudert. Zu der Dissertation ihres Sohnes, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813), soll sie nur gesagt habe: „Wurzel? Das ist wohl etwas für Apotheker?“ Das tut weh! Schopenhauer war so gekränkt, dass er das Haus seiner Mutter verließ und diese fortan nicht mehr sah, obwohl sie noch 24 Jahre lebte. Anderen Frauen begegnete er fortan mit Argwohn. Nein, kein guter Ratgeber in Sachen Liebe!

Aber es gibt ja noch andere „Single-Denker“! Und deren Einlassungen sind wirklich bemerkenswert! Hier also nun die heißesten Tipps in Sachen Liebe und Partnerschaft von den ganz großen Philosophen – Flirten mit Kant & Co.!

1. Bekanntschaft. Aller Anfang ist schwer. Wie spreche ich sie an? „Na, öfter hier?“ – „Mein Freund will Dich kennen lernen.“ – „ Ich hab’ meine Telefonnummer vergessen. Kann ich dafür Deine haben?“ Nicht schlecht! Aber das geht noch besser. Schauen wir auf Nietzsche. Der ist 1882, immerhin schon 38 Jahre alt, ziemlich scharf auf die 21jährige russische Studentin Lou Salomé. Bei ihrer ersten Begegnung am 23. April 1882 in Rom, ausgerechnet am Petersdom, zaudert er nicht lange und meint keck: „Von welchen Sternen sind wir uns hier einander zugefallen?“[4] Guter Start! Nietzsche macht dann aber zwei Fehler: Erstens fällt er mit der Tür ins Haus. Schon nach wenigen Tagen macht er über seinen Freund Paul Rée der jungen Russin einen Heiratsantrag. Sie lehnt ab und bittet Rée, Nietzsche schonend beizubringen, dass sie ihm einen Korb geben möchte, denn sie verspüre keine Sehnsucht nach Bindung, sondern einen „total entriegelten Freiheitsdrang“[5]. Besonders pikant ist an der Geschichte, dass zuvor schon Rée versucht hatte, mit Lou anzubandeln, die ihn aber abblitzen ließ, wovon Nietzsche jedoch nicht die leiseste Ahnung hat. Damit komme ich zum zweiten Fehler Nietzsches, dem Kardinalfehler schlechthin: Er spannt seinen Kumpel Rée zu sehr in sein Liebeswerben ein. So kommen sich der Freund und die von beiden gleichermaßen Angehimmelte schließlich doch näher und ziehen zusammen nach Berlin, ohne je ein Liebespaar zu werden. Bis 1885 bilden sie gemeinsam diese Frühform der Akademiker-WG und sind beide froh, Nietzsche los geworden zu sein, der immer öfter versucht hatte, sich Lou anzunähern, indem er den einstigen Kumpel und jetzigen Nebenbuhler Rée gegenüber Lou in den Dreck zog. Damit erreichte er gerade das Gegenteil von Annäherung, wie eine Notiz in Lou Salomés Lebensrückblick verrät: „Wenn ich mich frage, was meine innere Einstellung zu Nietzsche am ehesten zu beeinträchtigen begann, so war das die zunehmende Häufung solcher Andeutungen von ihm, die Paul Rée bei mir schlecht machen sollten.“[6] Dumm gelaufen für den Philosophen! Nietzsche ist stocksauer, tief gekränkt und todtraurig zugleich. Sein verletzter Stolz spricht aus Äußerungen wie dieser: „Man muss fest auf sich sitzen, man muss tapfer auf beiden Beinen stehn, sonst kann man gar nicht lieben. Das wissen zuletzt die Weiblein nur zu gut: sie machen sich den Teufel was aus selbstlosen, aus bloss objektiven Männern.“[7] Nietzsche entwickelt zugleich die Fähigkeit, sich die unerfüllte Sehnsucht schönzureden: „Wenn ein Mann inmitten seines Lärmes steht, inmitten seiner Brandung von Würfen und Entwürfen: da sieht er auch wohl stille zauberhafte Wesen an sich vorübergleiten, nach deren Glück und Zurückgezogenheit er sich sehnt, - es sind die Frauen. Fast meint er, dort bei den Frauen wohne sein besseres Selbst: an diesen stillen Platzen werde auch die lauteste Brandung zur Todtenstille und das Leben selber zum Traume über das Leben. Jedoch! Jedoch! Mein edler Schwärmer, es giebt auch auf dem schönsten Segelschiff so viel Geräusch und Lärm und leider so viel kleinen erbärmlichen Lärm! Der Zauber und die mächtigste Wirkung der Frauen ist, um die Sprache der Philosophen zu reden, eine Wirkung in die Ferne, eine actio in distans: dazu gehört aber, zuerst und vor Allem – Distanz!“[8] Schließlich wendet er sich dem zu, was als sein Spätwerk in die Geistesgeschichte eingehen sollte: Zarathustra (1883), Jenseits von Gut und Böse (1886), Genealogie der Moral (1887), Ecce Homo (1888) und Götzendämmerung (1889). Auch eine Form der Bewältigung von Liebeskummer![9]

Also, was lernen wir? Kontrollierte Offensive, nichts überstürzen und den auffällig hilfsbereiten Kumpel nicht zum Konkurrenten aufbauen!

2. Die Einladung zum Essen. Ein guter Text für eine Einladung zum Essen – und wie bitte, sollten die Kandidaten nach dem ersten Kennenlernen denn besser fortschreiten, geht Liebe doch bekanntlich durch den Magen! – findet sich bei keinem geringeren als bei Immanuel Kant, der nicht gern allein aß, obwohl er stets allein lebte. Zu seinen Tischgesellschaften lud er zwar nie Frauen ein, aber das soll uns nicht daran hindern, eines seiner Statements als gutes Argument für die Einladung zur Pizza umzudeuten: „Allein zu essen (solipsismus convictorii) ist für einen philosophierenden Gelehrten ungesund. [...] Der genießende Mensch, der im Denken während der einsamen Mahlzeit an sich selbst zehrt, verliert allmählich die Munterkeit.“[10] Bitte merken! Und wer sich nicht gleich ein Essen zu zweit zutraut, der kann ja eine größere Runde an den Tisch bitten, doch ist so eine Tafelrunde nicht ganz unproblematisch, weil es dort nämlich schnell zu viele Gäste werden und man die Zielperson aus den Augen verlieren könnte. Kants Tipp: Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer geselligen und zur entspannten Kommunikation befähigten Tischgemeinschaft sollte die Zahl der Grazien nicht unterschreiten und nicht über die der Museen hinausgehen,[11] d. h. zwischen drei und neun liegen. Na, dann: Guten Appetit!

3. Der Liebesbrief. In Zeiten von „CU 2morrow, I w8 4U! *g* ;)“ ist der Liebesbrief nicht mehr so ganz en vogue, zugegeben, aber wer es dennoch wagen will, sei auf John Locke verwiesen. Man traut dem brillanten Epistemologen und Staatsphilosophen, dem Vordenker des Empirismus und des Liberalismus, gar nicht so viel romantischen Esprit zu.[12] Locke schrieb nämlich folgendes an eine Unbekannte: „Madam, den Blick dreister Gaffer einzufangen oder allmählich ein Herz zu entbrennen, das seine Flammen umwirbt, ist die Wirkung eines alltäglichen Gesichts; denn welches Feuer kann nicht denjenigen wärmen, der ganz nahe an es herankommt. Aber, Madam, ohne Überrumpelung oder Belagerung von ferne zu fesseln und ein Herz einzunehmen (das sich für gut gewappnet hielt), ist das Privileg einzig Ihrer Schönheit, die es verschmäht, auf hergebrachte Weise zu erobern [...] Da dies nun der mühelose, obgleich ungewöhnliche Weg zu Ihren Siegen ist, betrachten Sie es nicht als sonderbar, daß Sie einen unbekannten Gefangenen zu Ihren Füßen finden, dem es gestattet sein mag, sich einer Leidenschaft zu unterwerfen, der zu widerstehen ihm kein Mittel übrigblieb.“[13] Wow! Da schmilzt das Eis auch ohne Klimawandel!

Auch Nietzsche hat es mit Liebesbriefen versucht und seinem Schwarm Lou Ende Mai 1882 geschrieben: „Hier in Naumburg bin ich bisher in Bezug auf Sie und uns ganz schweigsam gewesen. So bleibe ich unabhängiger und stehe Ihnen besser zu Diensten. – Die Nachtigallen singen die ganzen Nächte durch vor meinem Fenster. – Wenn ich ganz allein bin, spreche ich oft, sehr oft Ihren Namen aus – zu meinem größten Vergnügen.“[14] Gebracht hat es – wie gesagt – nichts. Es kann halt nicht immer klappen!

Aber manchmal klappt es eben doch: Zwei Menschen schweben in die luftigen Höhen der Liebe. Glückwunsch! Doch aufgepasst. Auch das romantisch verklärte Herz trägt Spuren der harten Realität: „Alle Verliebtheit, wie ätherisch sie sich auch gebärden mag, wurzelt allein im Geschlechtstriebe.“ Schopenhauer.

Anmerkungen:

[1] Meister Eckhart, Lateinische Werke, Stuttgart 1936 ff., Bd. I, S. 204 [Expositio libri Genesis, n. 24] sowie S. 498 [Liber parabolarum Genesis, n. 29]. (Hervorhebung von mir).

[2] Maria Charlotta Jacobi an Immanuel Kant in einem Brief v. 12.6.1762, in: Kants Gesammelte Werke, hg. von der Akademie der Wissenschaften Berlin 1902 ff., Bd. 10, S. 39.

[3] Nachzulesen unter: http://gutenberg.spiegel.de/schopenh/weiber/weiber.htm.

[4] Lou Andreas-Salomé, Lebensrückblick. Grundriß einiger Lebenserinnerungen, aus dem Nachlaß hrsg. v. E. Pfeiffer, Frankfurt/M. 1974, S. 80.

[5] Lou Andreas-Salomé, Lebensrückblick, S. 76.

[6] Lou Andreas-Salomé, Lebensrückblick, S. 85.

[7] Friedrich Nietzsche, Ecce homo, in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hg. von G. Colli und M. Montinari, Berlin / New York 1988, Bd. 6, S. 305.

[8] Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft (Aphorismus „Die Frauen und ihre Wirkung in die Ferne“), in: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hg. von G. Colli und M. Montinari. Berlin / New York 1988, Bd. 3, S. 424 f.

[9] Vgl. auch Josef Bordat, Friedrich Nietzsche, Lou Salomé und Paul Rée. Eine Dreiecksbeziehung, in: Recenseo. Texte zu Kunst und Philosophie. Nachzulesen unter: http://www.recenseo.de/index.php?id=112&kategorie=artikel&nav=Inhalt

[10] Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Kants Gesammelte Werke, hg. von der Akademie der Wissenschaften Berlin 1902 ff., Bd. 7, S. 279 f.

[11] Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 278.

[12] Vgl. auch Josef Bordat, Sense, Liberty, Poetry. Zum 303. Todestag John Lockes (29.08.1632-28.10.1704), in: Netzzeitung – Readers Edition. Nachzulesen unter: http://www.readers-edition.de/2007/10/28/sense-liberty-poetry-zum-303-todestag-john-lockes-29081632-28101704/

[13] John Locke, The Correspondence, hg. v. E. S. de Beer, Oxford 1976 ff, Bd. 1, S. 45.

[14] Friedrich Nietzsche, Briefwechsel, in: Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. von G. Colli und M. Montinari. Berlin / New York 1975 ff., Bd. III.1, S. 194 f.


Anmerkung von JoBo72:

aus: POLEMIK & HUDDEL. Notizen über Gott, die Welt und alle Dinge überhaupt. Jg. 1 (2007), Nr. 2, S. 16-19.

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Kommentare zu diesem Text

Skandia (43)
(21.12.09)
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Graeculus (69)
(14.06.14)
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