Teil 5
 Inhalt 
Teil 7 

Teil 6

Roman

von  NormanM.

Ich hatte im Reiseführer von ein paar Clubs und Diskotheken gelesen, die mich interessierten. Ich beschloss, einfach mal den Club Balloon auszuprobieren. Der war nicht allzu teuer und spielte die richtige Musik für mich, zumindest versprach es der Reiseführer.
Er befand sich ziemlich zentral von London, nicht in irgendeiner abgelegenen Gegend. Leicht zu finden. Ich zögerte, ob ich hineingehen sollte. Ich war seit zwei Jahren in keiner Disco mehr gewesen und schon gar nicht allein. Nachdem ich fast eine halbe Stunde gezögert hatte, konnte ich mich endlich dazu bewegen, doch hinein zu gehen. Musik lief, aber allzu viel los war dort nicht. Dabei war es nach 22 Uhr, da sollte man doch meinen, dass da einiges los wäre. Ich kam mir einsam und verlassen vor, ich war es auch. Die wenigen Leute, die da waren, musterten mich. In solche Läden ging man wohl auch nicht alleine.
Ich sprach die Bardame an. Sie war ungefähr Anfang 20, sah nicht schlecht aus, braune Haare, recht kurz, aber nicht zu kurz, knapp angezogen, aber nicht zu knapp, gute Figur. Eigentlich sah sie schon zu gut aus, dass ich normalerweise zu schüchtern wäre sie anzusprechen. Es war mehr aus Verzweiflung, dass ich meine Schüchternheit überwand und sie ansprach, nur um nicht blöd irgendwo herum zu stehen. Wäre es voller dort gewesen, wäre ich wahrscheinlich niemandem aufgefallen, aber so leer wie es war, da fiel doch jedem auf, wenn jemand so allein irgendwo herum stand.
Ich fragte einfach so drauf los, was hier für Musik gespielt wurde, wann es hier voller werden würde und so weiter. Ich erwähnte auch, dass ich aus Deutschland kam und daher noch nie dort gewesen sei. Sie beantwortete meine Fragen zwar, und das auch freundlich, aber schien nicht besonders interessiert zu sein, sich mit mir zu unterhalten. Sie sagte auch immer nur das Nötigste. Es war schon mehr wie ein Interview als wie eine Konversation.
Um 24 Uhr wurde es immer erst voll, wie ich von ihr erfuhr. Bis dahin waren es noch eineinhalb Stunden. So lange konnte ich nicht versuchen, die Unterhaltung weiter zu führen, wenn sie kein Interesse daran hatte. Vermutlich dachte sie schon, ich wolle sie näher kennen lernen. Ich fragte, ob es möglich sei, wieder raus zu gehen und dann später noch einmal wieder zu kommen. Das war es. So ging ich wieder hinaus.
Ich zog noch eine Weile ziellos durch die City. Es war noch eine Menge Betrieb dort, wie es sich für eine Metropole gehörte. In Berlin war es genauso. In Dortmund wäre so gut wie gar nichts mehr los.
„Hey, how are you?“, sprach mich plötzlich eine etwa 20-jährige Frau an. Ich sah ihren kurzen Minirock, der so kurz war, dass sie ihn hätte gleich weg lassen können, ihre hohen Stiefel und ihre dicke Schminke im Gesicht, es war nicht schwierig zu erkennen, dass es sich um eine Prostituierte handelte. Selbstverständlich dachte ich keineswegs daran, mich auf sie einzulassen. „Fine“, antwortete ich kurz und knapp, während ich weiterging.
„A little fuck?“, fragte sie sofort.
„No, thank you“, antwortete ich. Aber so schnell gab sie sich nicht zufrieden. „Oh, come on, 10 Pounds“, versuchte sie weiterhin auf mich einzureden und ging neben mir her. Ich verneinte weiterhin. Niemals würde ich mich auf eine Nutte einlassen, auch wenn sie noch so günstig war. 10 Pfund waren schon zu günstig, dass es schon verdächtig war. Wahrscheinlich legte sie auch keinen Wert auf Safer Sex und war schon mit HIV infiziert. Sie versuchte immer noch auf mich einzureden, akzeptierte einfach kein „Nein“. Ich hatte gehört, dass die Prostituierten auf Mallorca so aufdringlich seien, aber ich hatte noch nie etwas davon gehört, dass es hier in London auch solche gab. Allmählich wurde ich wütend. Ich empfahl ihr, dringend zu verschwinden. Schließlich gab sie auf.
Ich hasste es, wenn Menschen einfach kein „Nein“ akzeptierten und immer noch weiter versuchten, mich zu irgendetwas zu überreden. Immer nur wollten alle irgendwas, aber was ich wollte, interessierte auch niemandem.
Nicht einmal 20 Meter weiter, kam schon die nächste auf mich zu. Exakt wieder das gleiche Spiel. Ein paar weitere Meter weiter war wieder eine, die dabei war einen Typen zu überreden. Ich bekam noch mit, dass dieser Typ dumm genug war und mit ihr weg ging. Ich dachte daran, dass es möglicherweise sein letzter Moment als gesunder Mensch war, wenn er kein Verhütungsmittel benutzen würde. Und wenn er sich so spontan auf sie einließ, nahm er mit Sicherheit keines. Wie schnell sich ein Leben ändern konnte, gerade noch gesund und dann ein paar Minuten später infiziert. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich etwas unternehmen musste. Ich kannte den Typ zwar nicht, aber trotzdem sah ich mich dazu verpflichtet, etwas zu unternehmen. Ich rannte auf ihn zu und sagte ihm, dass sie wahrscheinlich mit HIV infiziert sei und er bloß nicht mit ihr mitgehen solle. Der Typ schien schon einiges an Alkohol getrunken zu haben. Vielleicht war er deshalb so leichtsinnig. Er war jedenfalls ziemlich verwirrt, als ich ihn so plötzlich ansprach.
„Ehhhhh... w w was?“, stammelte er. Auch ein Deutscher also. Die Nutte reagierte sehr ärgerlich.
„Willst du dich anstecken?“, fragte ich ihn.
„Wie kommst du darauf?“, fragte er, immer noch total überrascht.
„Wie viel Geld wollte sie von dir? Zehn Pfund?“
„Ja“, sagte er.
„Was glaubst du, wie viel Typen für den Preis schon über sie gerutscht sind? Und glaub ja nicht, dass die alle ein Gummi benutzt haben. Was meinst du, wie schnell man sich da was weg holt?“
Der Typ wurde immer unsicherer. Die Nutte versuchte gleichzeitig, weiter auf ihn einzureden und ihn wegzuzerren.
„Daran hab ich gar nicht gedacht“, meinte er geschockt.
„Tja, da sollte man dran denken. Hättest du denn ein Kondom benutzt?“
„Ich weiß nicht, ich hab irgendwie keines.“
„Sie hätte damit mit Sicherheit überhaupt kein Problem. Wie kann man nur so leichtsinnig sein, mit einer Hure Sex zu haben und dann nicht einmal Verhütungsmittel dabei zu haben. Stell dir vor, du wärst mit ihr mitgegangen. In nicht mal einer Stunde hättest du dir wahrscheinlich Aids geholt.“
Die Nutte versuchte immer noch ihn wegzuzerren. Doch er riss sich jetzt los. Er war plötzlich total blass.
„Ja, aber wieso hast du mich davon abgehalten, obwohl du mich gar nicht kennst?“, fragte er erstaunt. Ich wusste selbst nicht, wieso mir plötzlich der Gedanke gekommen war, ihm zu helfen. Natürlich hilft man Menschen, wenn sie plötzlich auf der Straße umfallen oder wenn jemand dabei ist zu ertrinken oder in sonstigen Notsituationen. Aber wenn jemand mit einer Nutte weg geht, denkt man normalerweise nicht daran, sich da einzumischen. Nicht aus Bequemlichkeit oder Böswilligkeit, sondern weil man da einfach nicht drüber nachdenkt. Ich hätte es beinahe auch nicht. Hätte mich nicht auch eine Prostituierte angesprochen, hätte ich mir darüber wahrscheinlich ebenfalls keine Gedanken gemacht.
„Mich hatten gerade selber zwei angesprochen und ich hatte mir vorgestellt, was hätte passieren können, wenn ich mich auf sie eingelassen hätte“, erklärte ich ihm.
„Danke“, sagte er.
Ich riet ihm, demnächst vorsichtig zu sein und ging weiter.
Es war sein Glück, dass ich vorbei kam. Wäre ich in der Disco geblieben, wäre ich da gar nicht hergelaufen. Und in der Disco bin ich nur nicht geblieben, weil es dort zu leer war. Dass die Disco leer war, war also seine Rettung. Nur durch einen kleinen Zufall, konnte ich eingreifen. Aber ich konnte ja nicht jeden retten, ich konnte ja nicht die ganze Zeit aufpassen.
Ich machte mich langsam auf den Weg zurück in den Club. Ich dachte darüber nach, ob es richtig sei, einfach zurückzugehen und nichts zu unternehmen, falls sich wieder mal jemand auf so eine Prostituierte einlassen würde. Aber verlangen konnte man nicht von mir, dass ich mich um jeden kümmern würde. Ich konnte schließlich nicht die ganze Nacht an allen Orten gleichzeitig sein. Würde mir so etwas passieren, würde sich auch niemand darum kümmern.
Es war inzwischen recht voll in dem Club. Als ich so allein hineinging, spürte ich wieder, wie mich alle am mustern waren. Aber als ich zwischen all den Leuten war, beachtete mich kaum noch jemand. Es konnte schließlich sein, dass ich mit mehreren hier war und nur zwischendurch mal allein herum lief.
Ich stellte mich in eine Ecke, um die Leute zu beobachten. Ich stand nicht ganz in der hintersten Ecke, aber ein wenig abseits schon. So fühlte ich mich eben am wohlsten. Mir genügte es voll und ganz, wenn ich die Musik genießen konnte. Ich konnte nicht einfach so spontan auf die Tanzfläche gehen wie die anderen und los tanzen. Außerdem hatte ich es wahrscheinlich verlernt. Vielleicht würde ich es später mal versuchen.
Früher konnte ich einigermaßen zu den Housebeats tanzen. Melanie konnte es ziemlich gut. Ich hatte es mir von ihr ein wenig abgeguckt. Irgendwann hatte sie mich mal dazu bewegen können, mich auch einfach mal auf die Tanzfläche zu trauen. Und von da an, hatte ich auch bei jedem Discobesuch getanzt, aber immer erst, wenn es richtig voll war, so dass ich nicht auffiel. Ich war zwar immer besser geworden, aber hatte mich trotzdem immer unsicher gefühlt. Melanie wäre auch als einzige auf die Tanzfläche gegangen, sie hätte kein Problem damit gehabt, wenn ihr alle dabei zugesehen hätten, sie konnte es ja auch sehr gut. Wahrscheinlich wäre sie jetzt auch dort. Schade, dass sie nicht hier war. Ich gab es mir selbst gegenüber nicht gern zu, aber ich vermisste auch sie, auch wenn ich mich in ihr getäuscht hatte.
Ich sah ein Mädchen. Ich sah zwar außer ihr noch eine Menge andere Mädchen, aber sie fiel mir auf. Sie war etwa 21, hatte lange braune Haare, war schlank, trug einen weißen kurzen Rock und ein hellblaues knappes Top. Vor allem war sie bildschön. Allerdings schien sie es faustdick hinter den Ohren zu haben, das war an ihrem Blick nicht zu übersehen. Es sah aus, als wäre sie auch allein dort, zumindest lief sie in dem Moment allein dort herum.
Als zweites fiel mir ihr Po auf, zum einen war er schon an sich wohl geformt und zum anderen zeigte sie auch, was sie hatte. Sie ließ ihn, während sie ging, übertrieben auffällig und betont kreisen. Ich hatte dies schon bei vielen anderen Frauen gesehen und den Anblick jedes Mal genossen, aber so provozierend wie bei ihr hatte ich es noch nie gesehen. Sie übertraf alle. Sie konnte kaum noch richtig gehen, ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte. Natürlich wurde ich schwach bei dem Anblick. Aber wer wäre das nicht geworden. Und genau das wusste sie auch, da war ich mir sicher. Sie kam an mir vorbei und ging auf die Tanzfläche zu, blieb aber ein paar Meter davor stehen und tanzte. Ich konnte nicht beurteilen, ob sie gut tanzen konnte, jedenfalls brachte sie ihren Po dabei genau so zur Geltung wie beim Gehen. Vermutlich hielt sie sich auch deshalb etwas abseits der Tanzfläche auf, damit es auch jeder sehen konnte. Ich genoss es, einfach nur da zu stehen und ihr dabei zuzusehen. Nach kurzer Zeit bewegte sie sich nicht mehr auf einer Stelle, sondern wanderte tanzend mal ein paar Meter nach links, dann wieder zurück, dann ein paar Meter nach rechts, dann wieder zurück, dann auch mal nach hinten bis zu zwei Meter entfernt von mir. Die Meter wurden immer mehr, und wenn sie sich nach hinten bewegte, kam sie immer mehr auf mich zu. Ich wusste, dass sie, wenn sie so weitermachen würde, irgendwann gegen mich stoßen würde. Es wäre wohl besser für mich, mich außer Reichweite zu stellen, aber ich tat es nicht. Und einen kurzen Moment später passierte es auch. Sie prallte mit ihrem Po genau gegen meinen Intimbereich, was ich auch erwartet hatte. Ich hätte es ganz einfach verhindern können, indem ich einfach ausgewichen wäre. Aber ich konnte nicht ausweichen, vielmehr wollte ich es nicht. Ich wusste nicht, was jetzt passieren würde. Sie drehte sich um zu mir und grinste mich an. Dann presste sie plötzlich ihren Po dagegen, so dass ich fast zurück kippte. Ich glaubte zu träumen. Dann fing sie an, dagegen zu reiben. Sie schien es wirklich darauf anzulegen. Oder sie war eine, die sich nur einen Spaß daraus machte, anderen den Kopf zu verdrehen und sie dann wieder abblitzen zu lassen. Ich glaubte eher letzteres, aber ich konnte ihr nicht widerstehen.
„Do you like it?“, fragte sie.
„Yes“, sagte ich. Sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr heraus zu gehen. Das hatte ich sehr wohl. Sie fragte mich, ob ich allein lebe. Ich sagte ihr, dass ich ein Hotelzimmer habe. Ob wir dort nicht hin und uns eine schöne Nacht machen sollten, fragte sie. Natürlich wollte ich. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sie wirklich mit mir dorthin wollte, ausgerechnet mit mir. Nach nur ein paar Minuten. Es würde mit ihr ja noch schneller gehen als mit Kathy und ich hatte ihr nicht mal ein Getränk ausgegeben.
Vernünftiger wäre es, die Finger von ihr zu lassen. Solche Frauen brachten doch nur Unglück. Ich würde sie nach dieser Nacht sowieso nie wieder sehen. So sehr ich auch versuchte, ihr zu widerstehen, es gelang mir einfach nicht. Die Versuchung war einfach größer. Sie zog mich an wie eine Sirene. Nur war es kein Gesang, mit dem sie mich anzog. Ich folgte ihr nach draußen.
Wir waren gerade draußen, da kamen ein paar Typen hinter uns heraus gerannt, einer davon kam genau auf mich zu und schrie etwas. Ich konnte ihn nicht hundertprozentig verstehen, aber es hörte sich so an, als sollte ich die Finger von dem Mädchen lassen. Vermutlich war das ihr Freund. Ich hatte doch gewusst, dass irgendein Haken an der Sache war, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Sie blickte ziemlich genervt, als sie ihn sah. Vielleicht war es auch ihr Exfreund, aber letztendlich spielte das auch keine Rolle, denn es sah danach aus, als wollte der Typ es mit mir austragen. Er sah nicht gerade stark aus und auch nicht stärker als ich, aber deutlich erfahrener, was Schlägereien betraf. Außer den typischen Raufereien, die man als Kind so hatte, war ich Schlägereien immer aus dem Weg gegangen, auch wenn ich dadurch als Feigling galt. Aber ich nannte es eher Selbsterhaltungsdrang. Außerdem fand ich Leute, die alles nur mit Schlägereien lösten, niveaulos. Aber wenn man angegriffen wurde, sollte man sich trotzdem verteidigen. Jetzt hatte ich die Möglichkeit, wegzulaufen oder mich zu verteidigen. Wahrscheinlich würde ich sowieso den Kürzeren ziehen. Außerdem hatte er ein paar Freunde hinter sich, und ein paar davon sahen wirklich stark und brutal aus. Wenn die sich auch einmischen sollten, würde ich im Krankenhaus landen. Also wäre Wegrennen besser. Aber die Frage war, ob es mir gelingen würde zu fliehen. Einer davon war mit Sicherheit schneller als ich.
Das Mädchen versuchte den Typ aufzuhalten. Aber er ging nicht auf sie ein. Da schubste er mich auch schon, dass ich fast umfiel. Nun hatte ich ein Problem. Er schubste mich wieder. Dabei schrie er wieder etwas, aber ich konnte es nicht verstehen, so laut schrie er. Irgendwas musste ich tun. Als er mich zum dritten Mal schubste, wandelte sich meine Angst langsam in Wut um. Ich schubste ihn zurück, so dass er ebenfalls fast hinfiel. Noch mischte sich keiner von den anderen ein. Das Mädchen versuchte, wieder ihn davon abzuhalten, aber er stieß sie einfach weg und kam wieder auf mich zu. Aber diesmal wollte er mir einen kräftigen Schlag verpassen, vermutlich auf die Nase, ich versuchte auszuweichen, aber er erwischte mich trotzdem noch am Ohr. Das tat weh. Jetzt bekam ich aber wirklich die Wut. Er wollte gerade wieder zuschlagen, da verpasste ich ihm einen Tritt, zwar traf ich ihn nicht fest damit, aber immerhin verlor er ein wenig das Gleichgewicht dadurch, so dass er mich diesmal nicht traf. Dafür bekam er von mir einen Schlag in den Magen. Er krümmte sich. Nicht schlecht für meine erste Schlägerei. Jetzt waren wir quitt. Für ihn waren wir das aber offensichtlich noch lange nicht. Nachdem er sich erholt hatte, kam er gleich wieder auf mich zu und schlug wie ein Bekloppter auf mich ein. Jetzt reichte es mir aber wirklich. Der Typ war nicht ganz bei Sinnen. Ich schlug ihn darauf mitten auf die Nase und gleichzeitig verpasste ich ihm eins aufs Auge. Das hatte gesessen. Seine Nase fing an zu bluten und ein blaues Auge würde er am nächsten Tag auch haben.
Inzwischen hatten sich einige Zuschauer um uns herum versammelt. Er schien aufzugeben. Das Mädchen kam zu ihm und sah sich seine Nase an. Aber jetzt mischten sich seine Freunde ein. Das fand ich fies. Gegen die hatte ich absolut keine Chance. Einer davon wollte tatsächlich mit einer Flasche auf mich losgehen. Ich fand auf der Straße ein schmales Holzbrett, das ich aufhob. Ich schlug ihm die Flasche aus der Hand. Ein anderer griff mich plötzlich von hinten und versuchte mich festzuhalten. Ein dritter kam ebenfalls auf mich zu. Er war der Größte und Stabilste von ihnen und sah auch am brutalsten aus. Wenn es ihnen gelingen würde, mir das Brett wegzunehmen, hätte ich verloren. Wahrscheinlich rechneten sie damit, dass ich damit sowieso nicht zuschlagen würde. Aber nun blieb mir nichts anderes mehr übrig. Ich schlug auf den Stabilen. Er konnte leider ausweichen, aber sofort danach zielte ich auf den anderen, den ich auch am Kopf traf. Der war erst einmal für einen Moment dadurch versorgt und musste eine Pause machen. Dem Dicken konnte ich es daraufhin, als er für einen kurzen Moment den anderen ansah, in den Bauch rammen. Danach verpasste ich ihm damit noch einen auf die Schulter und noch einen hinterher, so musste er sich auch erst einmal für einen Moment erholen. Jetzt musste ich mich nur noch von dem Typ befreien, der immer noch hinten an mir hing. Aber das war ganz leicht, ich schlug mit dem Brett einfach nach hinten, traf ihn vermutlich am Ellbogen, er schrie kurz auf und ließ mich los. Jetzt konnte ich fliehen, ohne dass die anderen mich einholen konnten.
Irgendjemand von den Zuschauern hatte wohl die Polizei verständigt, die gerade in dem Moment eintraf. Dass ich angegriffen wurde, hatten sie natürlich nicht mehr gesehen, sondern sahen mich nur mit dem Holzbrett da stehen. Wären sie zwei Sekunden früher gekommen, hätten sie wenigstens noch gesehen, dass mich einer von hinten festgehalten hatte und ich mich nur verteidigt hatte. Die Polizei fragte, was vor sich ging. Die Jungs redeten alle auf den ihn ein, leider konnte ich davon nur wenig verstehen. Einen Moment später wurde ich mit Handschellen abgeführt und aufs Polizeipräsidium gefahren. Die anderen hatten der Polizei anscheinend glaubhaft gemacht, dass ich derjenige war, der sie angegriffen hatte.
Auf dem Präsidium wurde ich auch verhört. Mein Englisch reichte zwar aus, um die Geschichte zu erzählen, aber zwischendurch stellten sie Fragen, die ich aufgrund einiger Vokabeln nicht verstehen konnte und somit auch nicht beantworten konnte. So wurde ich eingesperrt. Ich hatte einen Anruf frei, aber wen sollte ich anrufen, ich hatte ja nicht einmal eine Telefonnummer, worüber ich den Reiseleiter erreichen konnte. Ich hätte zwar mein Hotel anrufen können, dort lag mit Sicherheit eine Telefonnummer vor, mit der ich ihn erreichen könnte. Aber ich hatte in dem Moment absolut keinen Nerv dazu, dort anzurufen. Ich war einfach zu geschockt. Also verzichtete ich darauf.
So saß ich in der Zelle. Ich hatte absolut keine Ahnung, was mich erwartete. Ich hatte mich nur verteidigt. Hätte ich mich einfach zusammenschlagen lassen sollen? Und ich musste hier für alles büßen. Wahrscheinlich wartete auf mich eine Anzeige wegen Körperverletzung. Wie sollte ich denn mit Vorstrafe jemals wieder irgendwo eine Arbeit bekommen? Vor allem, wie sollte es ablaufen, ich musste doch am Dienstag wieder nach Deutschland. Fremd in einem Land und dann noch im Gefängnis. So etwas konnte auch nur mir passieren.
Man brachte mir „Wasser und Brot“. Es war schon etwas mehr als Wasser und Brot, es war eine Suppe und ein Glas Saft. Ich konnte nichts essen. Ich trank nur den Saft. Ich grübelte weiter. Ich wollte doch auch Kathy wiedersehen. Wäre ich doch nur nicht in diese Disco gegangen.
Ich versuchte zu schlafen, aber das Bett, was mehr eine Liege war, war alles andere als bequem. Ich hätte mich genauso gut auf den Fußboden legen können. Ich war nach London gekommen, um Urlaub zu machen, um Abstand vom Alltag zu nehmen. Und ich landete im Gefängnis. Man soll sich niemals von Sirenen anziehen lassen, da war wirklich was dran. Plötzlich bekam ich eine Panikattacke, Angstgefühle überfielen mich, ich zitterte am ganzen Körper, bekam Schweißausbrüche. Ich konnte diese Ungewissheit nicht ertragen, nicht zu wissen, wie es weiter ging.
Irgendwann schlief ich doch noch ein. Ich träumte wieder, ich befand mich wieder auf dieser Treppe. Es war kein tiefer Schlaf, ich wurde sofort wach als die Tür von der Zelle aufgeschlossen wurde. Draußen war es hell.
„It ´s allright“, sagte der Polizist. „You can go now.“
Ich wusste nicht, ob ich es richtig verstanden hatte.
„I am free?“, fragte ich ungläubig.
Es war tatsächlich alles in Ordnung. Wie ich den Polizist verstand, war irgendjemand da gewesen und hatte ausgesagt, dass ich der jenige gewesen sei, der attackiert worden war und nur in Notwehr gehandelt habe. Er fragte mich, ob ich eine Anzeige machen wolle. Ich verzichtete. Ich war erleichtert, nachdem ich mir schon das Schlimmste ausgemalt hatte und wollte einfach nur raus. Aber der Schreck wirkte noch. Ich beschloss in keine Disco mehr zu gehen.
Draußen vor dem Präsidium wartete das Mädchen aus der Disco auf mich. Sie musste es gewesen sein, die für mich ausgesagt hatte. Ich erschrak, als ich sie sah. Einerseits war ich natürlich erfreut sie zu sehen, aber andererseits befürchtete ich, dass es wieder Ärger geben könnte. Ich sah mich um, ob ihr Freund oder sonst jemand von der Schlägertruppe vor Ort war. Niemand war zu sehen. Wohl möglich hatten die sich irgendwo versteckt und würden, sobald keine Menschenseele mehr in der Nähe war, herauskommen.
Sie lachte mich an, als ich heraus kam, merkte aber, dass ich verunsichert war, sie zu sehen. Sollte ich sie einfach ignorieren und weitergehen oder sollte ich zu ihr gehen? Das war die Frage. Ihretwegen war die Schlägerei zwar zustande gekommen, aber sie hatte mir ja nichts getan, sie konnte ja nichts dafür, dass er Typ ausgerastet war. Sie hatte ja auch versucht ihn davon abzuhalten. Aber sie hätte mich auch vor ihm warnen können und nicht einfach mit mir zusammen die Disco verlassen sollen, wenn er auch da war. Aber vielleicht war sie ja auch gar nicht mit ihm zusammen da oder hatte zumindest nichts mehr mit ihm. Ich wollte nicht so stur sein und ging zu ihr, um zu hören, was sie zu sagen hatte. Und außerdem konnte ich ihr sowieso nicht widerstehen. Sie entschuldigte sich erst einmal für den vergangenen Abend und dass ich im Gefängnis war. Ich nickte und sagte es sei schon okay, es sei ja nicht ihre Schuld gewesen. Dann erklärte sie mir, dass der Typ ihr Exfreund war, er aber damit nicht klar kam, dass es vorbei war und es wohl noch nicht begriffen hatte. Und es könne nicht sein, dass sie mich nur in eine einsame Gasse locken wolle und er plötzlich kommen würde, um sich zu revanchieren. Nein, ich müsse mir keine Sorgen machen. Ich beschloss ihr mal zu vertrauen.
Sie fragte mich, was ich noch so vorhabe. Ich sagte, dass ich zu meinem Hotel gehen und dann weiter sehen wolle. Sie fragte, ob wir nicht den vergangenen Abend nachholen sollten und zeigte mir ein Kondom, während sie mich angrinste. Da konnte ich nicht nein sagen. Wie sollte ich auch bei dem Anblick nein sagen können.
Ich hatte keine Ahnung, wo wir hier waren, in welcher Ecke von London und wie wir zu meinem Hotel kommen sollten. Wenn wir doch nur schon da wären, ich konnte es nicht mehr lange aushalten. Sie sagte, man könne zu Fuß in die Stadt gehen, es sei nicht weit. Und von der Stadt konnte man auch zu Fuß zu meinem Hotel gehen. Mit der U-Bahn wären wir auch nicht viel schneller gewesen, so entschieden wir uns zu laufen.
Während wir gingen, ließ sie ihren Po wieder genau so provozierend kreisen wie am Abend davor. Ich wurde wieder schwach. Wenn man dafür ins Buch der Rekorde kommen könnte, würde sie dort rein kommen. Sie merkte, dass ich dort hinsah. Bisher hatte ich gedacht, noch auffälliger als sie ihn kreisen ließ, ging es nicht mehr, aber da hatte ich falsch gelegen. Als sie merkte, wo ich hinsah, setzte sie sogar noch eins drauf. Diesmal glaubte ich es nicht mehr, obwohl ich es deutlich sah. Ich wusste nicht, wie ich es noch bis zum Hotel schaffen sollte.
Endlich kamen wir an. Ich rannte zur Rezeption, um den Schlüssel zu holen, dann gingen wir zum Fahrstuhl, der auch sofort kam. Doch kurz bevor wir meine Etage erreichten, blieb der Fahrstuhl stehen. Das passte ja wunderbar. Er machte auch nicht den Anstand weiterzufahren. Ich drückte den Alarmknopf, aber es kam keine Reaktion. Vermutlich Stromausfall. Ich war sauer.
„Why don´t we do it here?“, fragte sie.
„Here?“, fragte ich. Sie hatte anscheinend überhaupt keine Angst, dass der Fahrstuhl ausgerechnet dann plötzlich weiterfahren könnte und man uns erwischte. Vielleicht würde es sie nicht einmal stören, wenn man uns erwischte. Ich hatte eigentlich keine Lust, dieses Risiko einzugehen, aber andererseits konnte ich auch nicht mehr warten, bis es endlich weiterging. Also war ich einverstanden. Es gelang mir noch, mir das Kondom überzuziehen, dann fielen wir auch schon übereinander her.
Ich fand, ich war dieses Mal schon sicherer als bei Kathy. Allerdings waren wir nach zwei Minuten schon fertig. Damit hatte ich vorher auch schon gerechnet. Aber es war auch besser so, denn gerade in dem Moment fuhr der Fahrstuhl plötzlich wieder. Ausgezogen hatten wir uns nicht vorher, so kamen wir noch so gerade eben daran vorbei, erwischt zu werden, als der Fahrstuhl zehn Sekunden später meine Etage erreichte und dort einige Leute einstiegen. Wir beide sahen uns an und mussten lachen, als wir herausgingen.
Wir gingen auf mein Zimmer. Ich schätzte in einer halben Stunde würde sie mich wieder so weit haben. Ich fragte, ob sie regelmäßig andere Männer abschleppe. Sie gab zu, dass sie ohne Sex nicht leben könne und es ständig tat. Heute Abend schleppt sie wahrscheinlich schon den nächsten ab, dachte ich mir. Sie verstand es mehr als gut, Männer verrückt zu machen. Es dauerte nicht lange, da hatte sie mich tatsächlich schon wieder so weit. Diesmal waren wir bedeutend länger beschäftigt, so wie es auch sein musste. Sie machte anschließend auch einen zufriedenen Eindruck. Ich war mehr als zufrieden.
Sie machte sich auf dem Weg. Und weg war sie. Ich wusste nicht einmal ihren Namen. Wir hatten uns auch gar nicht richtig unterhalten, so wie ich es mit Kathy getan hatte. Eigentlich hatten wir überhaupt nicht wirklich miteinander geredet. Wir hatten beide einfach nur dasselbe gewollt und auch bekommen. Daher berührte es mich auch gar nicht, dass sie weg war, aber ein wenig erschreckte mich das schon, da ich mich so gar nicht kannte. Ich hätte sie zwar schon gern wieder gesehen, aber es wäre sowieso die falsche Frau.
Ich legte mich erst einmal für ein paar Stunden schlafen, um den Schlaf der vergangen Nacht nachzuholen. Diesmal träumte ich nicht. Aber irgendetwas musste der Traum bedeutet haben, immerhin hatte ich schon zweimal denselben Traum gehabt.
In eine Disco wollte ich abends nicht wieder gehen. Obwohl es unwahrscheinlich war, dass ich diesen Typen noch einmal über den Weg laufen würde, wenn ich nicht gerade in dieselbe Disco ging. Und wenn ich mich nicht auf irgendeine andere Frau einlassen würde, könnte mir nichts passieren. Aber trotzdem war ich ein wenig skeptisch. Außerdem war es auch Sonntag, fiel mir ein. Da wäre mit Sicherheit sowieso kein Club geöffnet. Ich beschloss, einfach mal in die Hotelbar zu gehen.
Viel war dort nicht los, aber es war ja auch noch nicht allzu spät. Und außerdem war mir das auch nicht so wichtig, ich wollte einfach nur etwas trinken. Ich bestellte ein Bier. Ich war zwar kein Bierkenner und auch nicht besonders wählerisch, aber das Bier schmeckte mir überhaupt nicht. Es war viel zu herbe und zu bitter. Trotzdem bestellte ich mir noch eins hinterher, als ich es ausgetrunken hatte. Danach bestellte ich mir noch ein Drittes. Da begann es mir schon besser zu schmecken. Alkohol wirkte bei mir schnell. Ich fühlte mich wohl in der Bar. So eine gute Laune wie an dem Abend hatte ich schon lange nicht mehr. Nach dem dritten Bier genehmigte ich mir einen Wodka Lemon. Er schmeckte gut. Meine Laune wurde noch besser. Ich bestellte noch einen.
Da sah ich zwei etwa 20-jährige Mädchen hereinkommen. Ich fand beide recht hübsch. Ich beobachtete sie, sie setzten sich an einem Tisch, nahmen mich nicht wahr. Eine von ihnen ging zur Theke und bestellte. Der Wirt machte zwei Whisky Cola fertig, und sie ging damit zurück zu ihrer Freundin. Ich bat den Wirt, ihre nächste Bestellung auf meine Rechnung zu setzen. Ich hatte meinen zweiten Wodka Lemon auch fast ausgetrunken. Ich spürte den Alkohol immer mehr wirken. Ich war zwar noch nicht betrunken, aber schon recht angeheitert. Ich überlegte, ob es vom Alkohol kam, dass ich plötzlich so locker war, die Mädchen einzuladen oder ob es daran lag, dass ich in den beiden Tagen schon mit zwei Frauen sexuell aktiv gewesen war und dadurch Selbstsicherheit gewonnen hatte. Ich war jedenfalls gespannt, wie die beiden Mädchen auf meine Einladung reagieren würden. Ich wartete ab. Ich bestellte inzwischen meinen dritten Wodka Lemon. Es würde wahrscheinlich ein teurer Abend werden. Aber ich gönnte mir ja sonst so gut wie nie etwas. Die beiden ließen sich Zeit mit ihren Drinks. Ich hatte mein drittes Glas leer, die beiden hatten noch halbvolle Gläser. Oder waren sie schon halb leer? Na ja, ich wollte jetzt nicht philosophieren. Ich bestellte mir zur Abwechslung einen Wodka Orange. Es schmeckte nicht schlecht, aber als nächsten Drink wollte ich wieder einen Wodka Lemon bestellen.
Endlich, die beiden hatten ihre Gläser leer getrunken. Kurz darauf kam die andere diesmal zur Theke, um zu bestellen. Der Wirt machte wieder zwei Whisky Cola fertig und zeigte dann auf mich, als er ihr die Gläser gab. Sie sah verwirrt zu mir herüber. Ich winkte ihr zu, während ich ihr freundlich zulächelte. So selbstsicher, wie ich mich fühlte, hatte ich mich noch nie erlebt. Einen kurzen Moment guckte sie noch ziemlich erstaunt, doch dann nickte sie mir ziemlich beeindruckt und dankend zu. Dann ging sie zu ihrer Freundin zurück, die es auch schon mitbekommen hatte und ganz neugierig guckte. Sie sprachen sich kurz ab, grinsten, dann kam die, die gerade bestellt hatte zu mir und fragte, ob ich mich nicht zu ihnen setzen wollte. Genau so hatte ich es mir erhofft. Ich nahm mein Glas und setzte mich zu ihnen.
„Hello, I ´m Martin“, stellte ich mich vor. Sie hießen Nancy und Barbara. Sie sprachen beide Englisch miteinander, aber ich konnte sie nicht so gut verstehen, wie die Londoner. Sie kamen aus York, aus dem Norden von England. Sie waren nur noch bis zum nächsten Morgen in London.
Allmählich wurde es voller in der Bar. Es war lustig mit den beiden. Der Alkohol wirkte bei uns drei immer mehr. Ich erfuhr, dass Barbara einen Freund hatte, der aber nicht mit war und Nancy Single war. Mit ihr im Bett zu landen war mein Hirngespenst gewesen, offenbar war ich inzwischen auf dem totalen Höhenflug. Barbara kam, wenn sie einen Freund hatte, dazu sowieso nicht in Frage. Nach zwei Stunden kündigte Barbara an, dass sie genug Alkohol getrunken habe und ins Bett gehen wolle. Nancy wollte noch auf bleiben und ich hatte ebenfalls noch keine Lust, schlafen zu gehen. So verabschiedete Barbara sich, bedankte sich bei mir für die Einladung und ging auf ihr Zimmer.
Nancy und ich tranken noch ein paar Gläser. Irgendwann war ich nicht mehr nur angeheitert, sondern besoffen. Ich hatte Mühe noch normal zu sprechen ohne zu lallen. Bei Nancy war es ähnlich.
Irgendwann musste ich mal zum WC. Als ich aufstand, konnte ich im ersten Moment das Gleichgewicht kaum halten. Nach ein paar Schritten konnte ich mich zusammenreißen und einigermaßen normal gehen, ich empfand es jedenfalls so. Aber ich war so betrunken, dass ich schon nicht mehr klar denken konnte. So vergaß ich anschließend glatt, in die Bar zurück zu Nancy zu gehen, sondern ging direkt auf mein Zimmer und dort sofort ins Bett.
Erst am nächsten Morgen, als ich mit einem Kater aufwachte und wieder klar denken konnte, wurde mir bewusst, was ich für einen Mist gebaut hatte. Ich hatte mehr als ein schlechtes Gewissen. Was war ich nur für ein Arschloch. Ich hatte die beiden einladen wollen und jetzt hatte ich Nancy da sitzen lassen und sie musste meine Getränke mit bezahlen, nur weil ich im Alkoholrausch vergessen hatte, dass sie noch in der Bar saß und auf mich wartete. Ich fragte mich, wie lange sie auf mich gewartet hatte. Möglicherweise hatte sie nicht mal genug Geld dabei. Wahrscheinlich wünschte sie mir inzwischen die Pest an den Hals. Vielleicht waren sie ja noch gar nicht abgefahren, kam es mir in den Sinn. Dann hätte ich noch die Möglichkeit mich zu entschuldigen und ihr das Geld zurück zu geben.
Schnell zog ich mir etwas an, kämmte mir kurz über die Haare und eilte hinunter zur Rezeption. Ich fragte dort nach, ob an dem Tag schon einige Hotelgäste abgereist seien. Es waren bereits welche abgereist. Darunter waren die beiden wahrscheinlich auch. Ich fragte, ob darunter zwei Mädchen mit den Vornamen Barbara und Nancy waren. Ich kannte ja nicht ihre Nachnahmen. Der Portier sah nach und bestätigte, dass sie abgereist waren. Das war es dann. Es tat mir alles so leid. Ich ging zurück auf mein Zimmer und duschte. Mein Kopf drehte sich alles, ich fühlte mich übel und vor allem mies.
Dann kam mir die Idee, dass das Hotel vielleicht die Adressen von den beiden hatte. Natürlich könnte mir das Personal nicht einfach die Adressen herausgeben, aber ich könnte einen Brief schreiben und ihn weiterleiten lassen. Ich ging noch einmal hinunter zur Rezeption und fragte nach. Leider lagen im Hotel keine Adressen vor, aber der Portier war so freundlich die Reisegesellschaft anzurufen und fragte für mich nach, ob es möglich sei, einen Brief weiterzuleiten. Es war möglich. Er schrieb mir die Adresse der Reisegesellschaft auf sowie die vollständigen Namen von Barbara und Nancy. Ich dankte ihm und gab ihm fünf Pfund Trinkgeld für seine freundliche Hilfe. Er dankte.
So besorgte ich Briefumschläge und Briefmarken und schrieb anschließend einen Brief an Nancy. Sie war ja diejenige, die wegen mir die hohe Rechnung gehabt hatte. Ich schrieb ihr, dass es mir Leid tue und erklärte ihr, wie es dazu kam. Ich bot ihr an, mir ihre Adresse zu schicken, dann könne ich ihr das Geld schicken. Ich ließ noch Grüße an Barbara ausrichten. Ich gab auch meine Adresse an. Dann schrieb ich noch an die Reisegesellschaft einen Kurzbrief mit der Bitte, den Brief weiterzuleiten und wies daraufhin, dass ich selbstverständlich das Porto übernehme und frankierte auch den Brief an Nancy. Dann schickte ich ihn an die Reisegesellschaft. Danach fühlte ich mich besser.
Während ich über die beiden vergangenen Tage nachdachte, was ich da erlebt hatte, kam es mir so vor, als sei ich mir selbst gegenüber fremd geworden. Ich kannte mich selbst nicht mehr wieder, was mir ein wenig Angst machte. Außer mit Pia hatte ich vorher mit keiner Frau Sex gehabt und es hatte sich nie eine Gelegenheit geboten. Und jetzt hatte ich innerhalb von zwei Tagen mit zwei fremden Frauen Sex gehabt, und es wären vielleicht sogar drei geworden. Vielleicht wäre ja mit Nancy noch etwas gelaufen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht so wurde wie diese Typen, die ich nicht ausstehen konnte. Es war plötzlich so, als sei ich nicht mehr ich, sondern als sei ich jemand anders, der nur dachte ich zu sein. Dann verlor ich offensichtlich völlig den Verstand und rief mein Hotel an.
„Hello, I want to speak to Mr Thal“, sagte ich.
„Mr Taylor?“, fragte der Mann am anderen Ende der Leitung.
„No, Mr Thal, Martin Thal“, sagte ich.
„I am afraid, he does not work here“, wieder der Mann.
„I know, he is a host in your hotel, he lives in room 388“, ich wieder.
„Oh, just a moment, please“, der Mann, und es erklang Musik, während er versuchte mich mit meinem Zimmer zu verbinden.
„I ´m afraid, he is not in“, sagte der Mann nach einer halben Minute.
„Thank you“, sagte ich und legte auf.

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Kommentare zu diesem Text


 Omnahmashivaya (05.01.08)
Wieder ein gelungener Teil, aber das brauche ich dir ja nicht sagen. Der Roman ist einer deiner besten Texte und ich hoffe, die anderen kommen auch noch auf den Geschmack. Lg Sabine

 Dieter_Rotmund (28.04.20)
Es war schon mehr wie ein Interview als wie eine Konversation.

Was soll das denn heissen???
Also wenn man bei einem Interview nur ganz knappe Antworten bekommt, dann ist die Fragetechnik schlecht und man war schlecht oder gar nicht vorbereitet.

Rest gerne gelesen, ich mag unsympathische Hauptfiguren. Hier und da ist es aber sehr langatmig und der End-Dialog ist etwas hölzern, das könntest Du besser machen.
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