Wo bis’n Du g’rade? Zur Phänomenologie des Mobiltelefons – Teil vier: Allgegenwart

Erörterung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  JoBo72

So, da bin ich wieder. Das Handy als Gottheit der Postmoderne zu bezeichnen, verfängt insofern, als seine Allgegenwart dazu führt, dass die Negation undenkbar ist. So wie kein Mensch in vor-modernen Zeiten an die Nicht-Existenz Gottes gedacht hat, weil Gott „überall“ war, so verschwendet kein Jugendlicher heute auch nur einen Gedanken an ein Leben ohne Handy.

Ich habe vor einiger Zeit drei etwa 16, 17jährige Mädchen in der U-Bahn beobachtet, die mit einer Empathie über den Verlust eines Handys sprachen, die den Vergleich mit der emotionalen Reaktion auf den Verlust der Seligkeit nahe legt. Als sei ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen worden, lamentierten sie völlig aufgelöst darüber, welch grausames Schicksal sie ereilt hatte, da sie von nun an nicht mehr miteinander reden konnten. Zwar gab es Abhilfe (ein neues Handy „von meinem Freund, der hat zwei“), doch werde dies erst „nächste Woche“ zur Verfügung stehen. Was aber soll am Wochenende werden? So ganz ohne Handy? Zwei der Mädchen verabschieden sich. Eine sagt: „Wir telefon... ach, ne, geht ja nich’...“ Wie pietätlos!

So und nicht anders hätte der Mensch im Mittelalter reagiert, wenn ihm der Ablass verweigert worden wäre: mit totaler Panik. Das Drohpotential der mittelalterlichen Kirche hat längst die Telekom übernommen. Wer nicht zahlt, wird exkommuniziert – im wahren Sinne des Wortes! Die Hölle der Handylosigkeit ist die Grundangst der Postmoderne.

Ein weiterer Gedanke: Während andere basale menschliche Daseinskonfigurationen wie etwa die Sexualität räumlich und zeitlich eingeschränkt sind,[1] liegt mit dem Handy eine Entität vor, die dem Menschen unabhängig von Lebensalter[2], Bildungsgrad, Standort, Rasse, Religionszugehörigkeit und Geschlecht zur Verfügung steht, eine Transzendierung des Humanen. Diese trifft den Gedanken des universellen All-Einen: Das Handy durchströmt alles. Wie Gott im Pantheismus Spinozas, Leibnizens und Lessings in den letzten Winkel der Welt hineinstrahlt und -wirkt, bimmelt das Handy überall. Das Netz ist flächendeckend. Man kann sich ihm nicht entziehen.[3]

Dort wo die continuitas communicandi gestört und unterbrochen ist, wo dem homo loquax Grenzen auferlegt werden, bedarf es einer Rechtfertigung dieser Grenzen: Schwätzen ist Menschenrecht! Nur wenn es Körper (Krankenhaus), Seele (Kirche) und Geist (Theater, Oper, Museum) so sehr betrifft, dass sie bestandsgefährdet sind, ist telefonieren ausnahmsweise verboten. Doch die Front des Verbots bröckelt. Es gibt Möglichkeiten der technischen Umgehung des störenden Gehalts, das Absolute des Verbots diffundiert im Graubereich der Innovation. Der Vibrationsalarm ist der missionarische Akt des orbus communicandi: Es darf keine Inseln der Unerreichbarkeit geben, so wie es im Mittelalter keine gottes- und kirchenfreien Räume geben durfte! Die Conquista hat begonnen, das Ende der Unschuld naht.

*klingel*
Entschuldigung!


Anmerkungen:

[1] Das von der Biologie favorisierte Menschenbild des homo permanente sexualis sollte in diesem Zusammen-hang nicht zu eng ausgelegt werden. Weder können wir, noch wollen wir immer.

[2] Das stimmt natürlich nicht ganz, denn selbstverständlich hängt die umfassende Nutzung eines Handys von Kulturtechniken ab, die Menschen nicht von Geburt an beherrschen. Wer eine SMS schreiben will, muss schreiben können bzw. über Zeichenverwendungskonventionen aufgeklärt sein (denn: ist das Eintippen von Buchstabenzeichen „schreiben“?). Dennoch: Zum Wesen des Menschen gehört von Beginn an das „Geräusche machen“ (Schreien, Weinen, Brabbeln), mit dem ein Handy prinzipiell und wesentlich genutzt werden kann (i. Ggs. zu anderen technischen Einrichtungen). Manchmal soll es ja gerade der Clou sein, die ersten Schreie eines Babys per Handy zu übermitteln.

[3] Hier gilt sinngemäß das, was Zarifian im Zusammenhang mit Globalisierung und Kapitalismus sagt. Die planetaristische Auffassung der Globalisierung, wie sie sich bei ihm zeigt, verweist auf die Einheit der Welt und damit den Gedanken des έν και παν („ein und alles“) in der griechischen Philosophie (Heraklit: „Aus allem eins und aus Einem alles.“, Fragment 12 B): „Die Globalisierung [...] entspricht jenem Satellitenblick auf den Globus, den die Bosse der Großunternehmen begründet haben. [...] Von oben gesehen, erscheint die Erde als eine: Nationen, Staaten, Grenzen, Regelungen, Volkscharakter, Rassen, politische Regimes, alles verfließt ineinander, ohne doch zu verschwinden. [...] Der große Traum vom All-Einen, der die platonische Philosophie umgetrieben hat, ist endlich verwirklicht. Das All-Eine ist das Hoheitsgebiet des zeitgenössischen Kapitalismus.“ (Zarifian: L’Émergence d’un Peuple-Monde. Paris 1999, S. 3). Dieses Hoheitsgebiet wird vom Netz der Handy-Betreiber überspannt, die es wie Fischer ins Meer der Vermarktungsmöglichkeiten werfen.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(01.10.16)
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