Wo bis’n Du g’rade? Zur Phänomenologie des Mobiltelefons – Teil acht: Mitteilungspflicht

Erörterung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  JoBo72

So, da bin ich wieder. Kommen wir also zum zweiten Problem.

Es gab Zeiten, da hat man 7minütige Verspätungen der Deutschen Bahn nicht zur Kenntnis genommen. Insbesondere dann nicht, wenn man als Fahrgast im Zug saß, gelesen oder geschlafen hat. Das ist heute anders. Als ich jüngst eine solche Bahnfahrt hatte und der Zugführer eine 7minütige Verspätung aufgrund von Signalstörungen auf der Strecke bekannt gab, verbunden mit der Bitte um Entschuldigung, zückten alle (!) – ich habe darauf geachtet – weiteren Fahrgäste, es waren außer mir noch sechs Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Alters und – soweit zu beurteilen – sozialen Status’, der Reihe nach – als hätten sie es abgesprochen (!) – ihre Mobiltelefone und informierten mir unbekannte Personen darüber, dass der Zug eine 7minütige Verspätung aufgrund von Signalstörungen auf der Strecke hat. Ich habe die restliche Fahrzeit damit verbracht, mir Gedanken darüber zu machen, warum sie dies taten. Einen Grund auf der Ebene praktischer Vernunft kann es nicht geben, denn erstens werden Verspätungen am Bahnhof angezeigt, so dass Wartende sich keine Sorgen zu machen brauchen, und zweitens handelt es sich bei dem zeitlichen Umfang der Störung eigener und fremder Lebensgestaltung um einen derart geringen, dass sich eine Information erübrigt. Also: Warum? Mir wurde allmählich bewusst, dass dies die falsche Fragestellung ist. Die Frage muss lauten: Warum nicht?

Sie führt zu der Erkenntnis: Menschliches Handeln – und der Sprechakt ist ja ein Handeln – muss gar nicht immer sinnvoll sein. Nicht zu jeder Handlung lassen sich Zweck oder gar Sinn angeben. Vieles geschieht aus Gewohnheit oder Langeweile. Man macht es einfach. Einfach so. Der Mitteilungsdrang ergibt sich aus der Mitteilungsmöglichkeit und der damit verbundenen Freiheit, jenseits von Zweck und Sinn handeln zu können. Dahinter lauert jedoch wiederum die soziale Kontrolle, die in der Praxis die Möglichkeit zur Notwendigkeit werden lässt und eine Mitteilungspflicht generiert („Da hättest Du ja auch mal anrufen können...! Wofür hast Du denn sonst Dein Handy?!“).

*klingel*
Entschuldigung!

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