Wo bis’n Du g’rade? Zur Phänomenologie des Mobiltelefons – Teil elf: Fragmentierung

Erörterung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  JoBo72

So, da bin ich wieder. Zuletzt soll es mir um die Schizophrenie fragmentarischer Raum- und Zeiterfahrung gehen, die durch das Mobiltelefon hervorgerufen wird. So wie in der Szene in Auerbachs Keller (s. Teil zehn) der Erlebniswert verloren geht, so ist die Diskrepanz zwischen physischer und psychischer Anwesenheit häufig Ursache für fehlende Erlebniszufriedenheit, weil das Leben, wie es sich abspielt nur durch den Schleier des Handy-Klingelns und SMS-Schreibens bruchstückhaft wahrgenommen wird.

Man ist immer erreichbar. So weit waren wir schon. Aber damit ist man auch immer teilweise weg. Nicht da. Nicht erreichbar für die Situation, in der man de facto gerade ist. Aufmerksamkeit ist nur begrenzt vorhanden. Das Dilemma von partieller An- und Abwesenheit, von der Trennung des körperlichen Hier und des seelischen Dort offenbart sich. Das Problem der Handymanie!

Der Mensch befindet sich, zu diesem Ergebnis kommt Melinda Davis in ihrem neuen Buch Wa(h)re Sehnsucht), nicht nur in einer ständigen Spannung zwischen Nähe und Ferne, Innen und Außen, Virtuellem und Realem, hervorgerufen durch die moderne Kommunikationswelt, die ihn per Handy und Internet in eine Zerrissenheit stellt zwischen dem Hier der physischen und dem Dort der psychischen Anwesenheit. Viel mehr lässt sich sagen: das Dort überlagert allmählich das Hier, das Innen überwältigt Zug um Zug das Außen und die virtuelle Welt greift Platz in der Wirklichkeit, bis das Virtuelle schließlich als Wirklichkeit wahrgenommen wird. Dennoch tritt ab und zu der Widerspruch zwischen Schein und Sein zu Tage und sorgt, so Davis, einerseits für Symptome von Geisteskrankheiten - Ängste und Depressionen (die „Erkältungen unserer Zeit“) -, andererseits für Realitätsverlust in einer allzu bunten Welt voller Superlative, in der scheinbar jeder seinen Wunsch vom Millionengewinn und großer medialer Aufmerksamkeit erfüllt bekommt.[1]

Gegenwart und Augenblick, die Vergegenwärtigung, das sind gerade die zentralen Begriffe jeder mystisch-spirituellen Religiosität, die zu Gelassenheit und Glück führen soll. Lebe im Hier und Jetzt.[2] Lebe den Augenblick – was schwierig ist, wenn ein Auge stets auf’s Handy blickt.

*klingel*
Entschuldigung!


Anmerkungen:

[1] Der Sieg des Innen über das Außen wirkt sich nach Davis auch auf das Konsumverhalten aus, das mehr und mehr an psychischen Bedürfnissen ausgerichtet wird und weniger am physischen Bedarf. Der Konsument erwartet durch das Kaufen eine Veränderung der psychischen Verfassung, d.h. für ihn steht beim Kauf eines Haarshampoos keine Freiheit von Schuppen im Mittelpunkt, sondern eine Freiheit des Geistes. Deswegen, so notiert Davis augenzwinkernd, heißen Anti-Schuppen-Shampoos nicht „Anti-Schuppen“, sondern „Clear Head“ („Klarer Kopf“). Der Mensch richtet eine komplexe Heilserwartung an sein Konsumieren. Nach Davis erwartet er Selbstfindung, Geborgenheit, Aufmerksamkeit und Orientierung. Die Konsumindustrie verspricht es ihm. Es entsteht ein Konsument, dessen Wert und Würde sich ausschließlich an dem orientiert, was er kauft und was er hat.

[2] Damit ist nur die Hauptzielrichtung der Aufmerksamkeitslenkung gemeint, kein Zurück zum animalischen hic et nunc-Status, wie ihn etwa Peter Wust in Ungewissheit und Wagnis beschreibt, demgegenüber der Mensch sowohl Erinnerungsvermögen als auch planerische Fähigkeiten hat und somit tendenziell in Vergangenheit und Zukunft lebt, i. Ggs. zum Tier, das – abgesehen von einigen Instinkten, die zukunftsorientiert sind (Sammeln und Anlegen von Vorräten, etc.) - nur gegenwärtig leben kann. Diese Besonderheit soll und kann der Mensch nicht verlieren, es sei denn um die Preisgabe seines Menschseins. Der hic et nunc-Aspekt ist hier ein anderer, nämlich folgender: Ich sollte in der Lage sein, aus freier Wahlentscheidung eine hic et nunc-Lebensform phasenweise auszuhalten. Kurzum: Ich sollte einen Tag am Strand verbringen können. Einfach so. Ohne Handy.

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