18. Oktober: Heimkehr mit Hindernissen

Tagebuch

von  Raggiodisole

Wir haben die Blümchenbettwäsche genossen, lang geschlafen und dann in einer Bar gefrühstückt. Mir graut jetzt schon vor dem Gedanken, dass ich mir ab morgen mein Frühstück wieder selber machen muss.

Dann bummeln wir noch ein letztes Mal durch die Straßen der Altstadt von Santiago. Wir sehen das eine oder andere bekannte Gesicht und gehen schließlich um 12 Uhr noch einmal in die Pilgermesse.
Es war einer der ergreifendsten Gottesdienste, die ich je erlebt habe – und ich habe schon viele erlebt.
Die Nonne, die die Lieder einstudiert hat wirklich eine wunderschöne Stimme. Als am Ende der Messe die Orgel ertönt und der Botafumeiro, ein 65 kg schwerer Weihrauchkessel, geschwungen wird umarmen Gitti und ich uns … und weinen.

Dann heißt es Abschied nehmen. Ernst, der auch im Gottesdienst war, wird ein letztes Mal umarmt und ganz fest gedrückt. Warum hab ich nicht nach seiner Adresse gefragt?

Zurück in unserem Zimmer prüfen wir ein letztes mal, ob alles eingepackt wurde, dann schultern wir unsere Rucksäcke und es geht zum Busbahnhof, zu Fuß natürlich.
Der Flughafen von Santiago ist bald erreicht und nach einem netten Plausch mit der Dame am Schalter von Air Berlin lass ich meinen Rucksack einfolieren und wir begeben uns zum Check-in.
Gitti kommt problemlos durch die Kontrolle, nur bei mir piepst es wie verrückt. Ein strenger Blick der Beamten lässt mich sofort alle meine Hosentaschen kontrollieren und tatsächlich – ich habe vergessen, meine Brieftasche auf das Förderband zu legen. Also retour, das Corpus Delicti auf das Förderband und nochmals durch die Kontrolle. Und es piepst wieder. Sofort flankieren mich zwei Beamte und bringen mich zu einer Kollegin, die mich mit diesem Kontrollgerät von oben bis unten abtastet. Da das Gerät aber keinen Ton von sich gibt, mustert mich die Frau nur noch mal gründlich von unten bis oben und kommt dann zur Erkenntnis, es könnten nur mehr die Ösen meiner Wanderschuhe sein, die den Alarm ausgelöst haben. Ich darf passieren.
Bis zur Boardingtime dauert es noch eine Weile, doch die Schlange vor dem Schalter unserer Fluglinie wächst und wächst. Gitti und ich können dem geschäftigen Treiben um uns herum nicht viel abgewinnen und wundern uns nur, dass die Menschen alle so hektisch sind. Ununterbrochen klingelt irgendwo ein Handy, Jungmanager fluchen über die nicht funktionierende Internetverbindung ihres Laptops und schick gekleidete Damen im Pelzmantel zeigen sich gegenseitig, welche Parfums sie ihren Lieben zuhause mitbringen.
Gitti und ich stehen irgendwie daneben. Und wir sind auch die letzten, die an Bord gehen. Wir verstehen die Drängerei und Hektik nicht, das Flugzeug fliegt sicher nicht ohne uns ab.
Der Flug verläuft ruhig und pünktlich setzt die Maschine zur Zwischenlandung in Palma de Mallorca an. Ziemlich knapp vor dem Aufsetzen dröhnen plötzlich die Motoren auf, das Flugzeug startet durch und wir werden in unsere Sitze gedrückt. Gitti verkrampft sich total und wenn ich sie nicht gehalten hätte, ich glaube, sie wäre mir unter dem Vordersitz verschwunden.
„Mädl beruhige dich, es ist nichts, das Flugzeug hat sicher nur durchgestartet, weil die Landebahn nicht frei wahr,“ versuche ich sie zu beruhigen. „So will ich nicht sterben“, presst sie heraus, „und vor allem nicht auf Mallorca.“
Das Flugzeug dreht eine Kurve auf das offene Meer hinaus und schon ertönt auch die Stimme des Kapitäns, der meine Vermutung bestätigt. Ein anderes Flugzeug stand noch auf der Landebahn und hat unseren ihn zu diesem Manöver gezwungen. Gitti beruhigt sich ein wenig, aber erst als wir festen Boden unter den Füßen haben und zum Flughafengebäude gefahren werden, weicht auch die Blässe aus ihrem Gesicht.
Die Zeit bis zum Anschlussflug nutzen wir, um Gittis Magen wieder ein wenig einzurenken und essen eine Kleinigkeit. Habt ihr gewusst, dass die Pommes bei Mc Donalds in Palma genau so schmecken wie bei uns?
Der zweite Flug verläuft problemlos, nur als wir erneut zur Landung ansetzen, krallt sich Gitti meine Hand und lässt sie erst los, als der Vogel sicher auf dem Boden aufgesetzt hat. Ich kann sie verstehen, fliegt sie ja nicht sonderlich gern.
Da Österreich so wie Spanien ja zur EU gehört und wir nichts zu verzollen haben, steuern wir sofort nachdem wir unsere Rucksäcke vom Förderband geholt haben dem Ausgang zu. Hoffentlich haben unsere Lieben zuhause auch mitbekommen, dass wir früher gelandet sind, als auf den Tickets angeben. Es ist  fast Mitternacht und wir sind schon müde. Wäre blöd, wenn wir jetzt noch warten müssten.
Als wir durch die Glastür treten suchen wir beide die Gesichter unserer Lieben. Himmel, was für ein Auflauf. Unwahrscheinlich, wie viele Menschen hier auf jemanden warten. Vor lauter Mensche kann ich meinen Mann und meinen Sohn gar nicht finden. Warum nur kommen mir manche Gesichter so bekannt vor. Und dann schnallen wir es beide.
Vor uns steht das halbe Dorf, naja, wir wollen mal nicht übertreiben. Aber der gesamte Pfarrgemeinderat mit unserem Pfarrer und ein paar Freunde sind alle gekommen, um uns zu begrüßen. Wir werden fotografiert, umarmt und gedrückt, von einem zum anderen gereicht. „Herzlich willkommen“ prangt in bunten Lettern auf einem Riesentransparent und mir kommen die Tränen der Rührung. Damit haben wir nun alle beide nicht gerechnet.
Im Konvoi fahren wir nach Hause und treffen uns noch auf ein Gläschen Sekt im Pfarrhof. Es ist schon weit nach Mitternacht, als wir endlich ins Bett kommen. Ins eigene Bett! Wir sind wieder daheim …
… aber unsere Seele muss erst nach kommen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Illustration zum Text
(von Raggiodisole)
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