verstummen

Alltagsgedicht zum Thema Abschied

von  Erebus

Du flutest mich, du dunkelst mich,
du warst versucht und bist gesunken.
Ich richte dich, ich lichte dich,
ich bin verflucht und ausgetrunken.

Uns füllt die Zeit wie Mehl; ein Maar
versteckt die kalte, zähe Glut.
Mit Sehnsucht wäschst du dir dein Haar,
ich wasch mit Salz mein schweres Blut,

bedecke mich mit Tannenreis,
ich fülle meinen Mund mit Sand,
ich rufe Schnee herbei und Eis.
Es jagen Hunde durch mein Land.


Anmerkung von Erebus:

herzlichen Dank für die hilfreiche Unterstützung an Isaban, St#Störf#Störfaktor und Mitternachtslöwe!

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (25.01.08)
Die erste Strophe finde ich grandios, Ulrich,
Satzmelodie, Wortklang und Inhalt klasse. Ein in sich gekehrtes Drama, jedes Wort sitzt, ohne dass Selbstmitleid und Galle den Genuss der Verse bittern.

Die zweite sagt mir nicht so zu, fällt vorgetragen klanglich ab.
Die Bebilderung finde ich hier zu tragisch und zu überzogen, zu pathetisch in den ersten beiden Versen. Schön dagegen die beiden anderen, die auf interessante Weise zeigen, dass LD in Aufbruchstimmung ist (mit Sehnsucht wäscht du dir dein Haar), etwas anderes will und sucht und sich bereit macht, schön macht, wie zu einem Date mit der Zukunft, während die letzte Zeile zeigt, das LI hier der Verlassene ist und sich das Gift anscheinend aus dem Blut spülen muss, wie zum Beispiel in der Onkologie oft nach einem Beutelchen Chemogabe die verabreichten Gifte, die zwar die Krebszellen zerstören, den Körper aber eben auch sehr zusetzen, nächtelang durch einige intravenös zugeführte Liter Kochsalzlösung aus dem Kranken wieder ausgeschwemmt werden müssen.

Verzeih, das "Maar" finde ich grauenhaft und dem notwendigen Reim zu "Haar" geschuldet. Es passt so gar nicht in den sonstigen Sprachgebrauch - nee, gefällt mir echt nicht. Vielleicht gibt es ja da noch eine bessere, weniger gekünstelte Lösung.

In der dritten und letzten Strophe verkriecht sich das LI, will sich verstecken, um seine Wunden zu lecken, füllt seinen Mund, um seine Schreie zu ersticken und will seinen Schmerz einfrieren. Sehr spannend und besonders berührend:
Es jagen Hunde durch mein Land

Hier kann man sich aussuchen, ob man darin die Jagdhunde sieht, die das LD-Wild aufstöbern wollen/ ihm die Liebste abgejagt haben, also wildernde Hunde, oder ob es die Ängste und Bedrohungen sind, die schwarzen Gedanken, vor denen LI sich versteckt, die Furcht vor der Zukunft, in der es -angeschlagen - allein auf sich gestellt sein wird.

Eventuell könnte man noch die Ich-Dopplung in S3 durch ein "und" in V 13 vermeiden und das "decke", das ja eigentlich ein "bedecke" sein müsste noch einmal überdenken (Kann man, muss man aber nicht).

Gefallen führt mit 10 zu 2 Punkten/Versen.

Liebe Grüße,
Sabine

 Erebus meinte dazu am 25.01.08:
Hallo Sabine

ich bin hocherfreut!
Und gebe Dir absolut Recht, was den ersten der beiden Verse in S2 anbelangt.
Jedoch ist das Maar nicht grauenhaft, nicht ausschließlich reimgeschuldet, nicht nach meinem Dafürhalten.
Es ist ein Maar ja nichts anderes als der erkaltete Austritt eines Vulkanes, in so fern doch ein treffendes Bild in Verbindung mit der darunterliegenden zähen Glut.
Steht also für eine Zeit-verkorkste Beziehung, aus der LD und LI unterschiedliche Zukunftsaspekte entwickeln.

Ich habe allerdings jetzt den Eindruck, dass hier kein Widerhall beim Lesen entsteht? Vilelleicht liegt es am Klang? Diese Version ist nämlich eine "verbesserte". Ursprünglich formulierte ich

Uns füllt die Zeit wie Mehl ein Maar,
versteckt die kalte zähe Glut


Allerdings wurde mir gesagt, das ginge so nicht. Offengestanden fand ich's viel besser. Und auch wenn es nun heißen sollte, nee, nee, das ist ja völlig daneben: ich mache es wieder rückgängig.

Ich genieße es ansonsten, Deine präzise Entschlüsselung zu lesen, insbesondere, was die Verse 3 und 4 in der zweiten Strophe zu bedeuten haben.

Trotz Dopplung des "ich" ziehe ich diese Lösung einem "und" vor. LI setzt hier zweimal an, dadurch entsteht eine gewisse Atemlosigkeit, die bei dem "und" entfiele.

Ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Sollte sich nun herausstellen, dass die angesprochenen Mali tatsächlich so nicht gehen, werde ich wohl noch einmal daran gehen. Der Text ist mir persönlich nämlich sehr wichtig

Lieber Gruß
Ulrich

 Isaban antwortete darauf am 25.01.08:
Lieber Ulrich,
sei mir nicht gram, vom Klang her ist die 2. Strophe mit dem Mehl/Maar-Stabreim natürlich sehr viel schöner, aber inhaltlich haut mich auch diese Variante nicht vom Hocker. Ganz ehrlich, es ist ein wirklich tolles Gedicht, das nur an V5 und 6 krankt, da die Bilder nicht 100%ig stimmen und diese beiden Zeilen inhaltlich einfach zu pathetisch sind und durch das dick Aufgetragene dem Rest zu viel nehmen.
Ich finde, diese Stelle solltest du noch einmal überdenken, vielleicht noch einmal ganz neu anpacken, mit frischen, nicht so überbetonten Bildern füllen, völlig neue Verse zimmern. Der großartige Rest des Gedichtes lohnt es.

LG, Sabine

 Erebus schrieb daraufhin am 25.01.08:
Hallo Sabine,
Danke für Dein erneutes Eingehen auf den Text.
Ja, dann werde ich das noch einmal in Angriff nehmen. Allerdings muß ich zuerst eine eigene Einschätzung dazu gewinnen woran es hängt.
Jetzt überlege ich grade, ob es möglicherweise die Seltenheit des Maars ist, also der Umstand, dass jemand, dem nicht sogleich das passende Bild vor Augen ist, aus dem Text gekickt wird?
Du schreibst pathetisch...

Im Moment genieße ich allerdings noch das Lob, da dauert es noch ein Weilchen, bis ich wieder klar denken kann ;o)
LG
Ulrich
(Antwort korrigiert am 25.01.2008)
orsoy (56)
(25.01.08)
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#St#Störf#Störfaktor (30) äußerte darauf am 25.01.08:
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 Erebus ergänzte dazu am 25.01.08:
@konni
Ich habe früher immer hin und herüberlegt, was denn diese komische küssende Muse ist, bis ich beschlossen habe: die, die einen beim Lesen/Schreiben berührt. Seither versuche ich also, die Muse anzuschreiben. Wenn Dich die Bilder angetroffen haben, dann ist das, weswegen ich überhaupt schreibe.
Und nichts ist schöner als der Hinweis, dass ein Text aufgeht. Ich meine, nicht einfach schön, gefällt mir etc., sondern wenn diese Berührung stattfinden konnte.

Der St#Störf#Störfaktor nimmt ja schon Stellung, wo ich auch nachhaken wollte...
Ich glaube, jeder Kommentar kann wichtig sein, es kommt ja nur auf den Autoren an, ob er etwas daraus macht und was daraus macht. klaro.
Gerne lese ich Deine Zustimmung und Verstehensweise, und auch, dass das Neutralisiernde der verstreichenden Zeit als "unschuldiges Mehlweiß" verstanden wird. Jedoch ist die Schlacht nicht wirklich beendet, nicht für das LI, das sich sozusagen noch waidwund auf dem Schlachtfeld krümmt. Da ist noch die alte zähe Glut.

Ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar und nochmals Danke für die Empfehlung

LG
Ulrich

@St#Störf#Störfaktor
dem kann ich eigentlich nichts weiter hinzufügen. Außer vielleicht: manchmal kommt etwas ganz neues Zustande, wenn die Synapsen klicken, etwas, das weder Autor noch Kommentator absehen konnten. Spannend.
Danke für Dein beherztes st#störf#stören !;o)

LG
Ulrich
#St#Störf#Störfaktor (30)
(25.01.08)
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 Erebus meinte dazu am 25.01.08:
Hallo St#Störf#Störfaktor,

danke für die PN-Hinweise, ich mache mich im Laufe der Nacht nocheinmal darüber her!
Und ebenso: Danke für Deine Empfehlung!

LG
Ulrich
#St#Störf#Störfaktor (30) meinte dazu am 25.01.08:
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 Erebus meinte dazu am 26.01.08:
Nein, nicht PN.. ich meinte nicht-öffentlichen Kommentar. Der war aber schon von Dir?
Gruß
Ulrich
Mitternachtslöwe (27)
(27.01.08)
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 Erebus meinte dazu am 27.01.08:
Hallo Mitternachtslöwe,

ha! jetzt haut's mich um. Dein Komma-Vorschlag gefällt mir ganz ausgezeichnet.

Die Zeit füllt uns, so wie Mehl ein Maar füllt .. ja, dieses etwas komische Bild bot ich meinen Lesern an, und es wurde ja bereits zu Recht kritisiert.

Mit Deinem Vorschlag wirfst Du mir jetzt einen echten Rettungsanker zu:
"Uns füllt die Zeit wie Mehl; ein Maar
versteckt die kalte, zähe Glut."
Na, etwas Bedenken habe ich noch wegen des Enjambementes, ich muss mich erst wieder von meiner ursprünglichen Zeichensetzung weglesen.

Danke sehr!
LG
Ulrich

edit: ein "t" hinzugefügt
(Antwort korrigiert am 27.01.2008)

 Ingmar (27.01.08)
herrlich grosse stimme!

lg,
ingmar

 Erebus meinte dazu am 28.01.08:
echt? Danke!
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