Wendepunkt

Gedicht

von  Peer

Wenn der Himmel Augen hat
und die Lüfte Ohren,
wenn die Welt in Glas erstarrt,
gehst du dir verloren.

Wenn ein Spiegel Lachen misst
und bestraft dein Weinen;
wenn der Zwang die Seele frisst,
bleibt dir nur das Scheinen.

Wenn, was heute du gesagt
gestern schon vernommen,
und dein Wort dich stumm verklagt,
ist der Punkt gekommen.

Dann entfliehe Zeit und Raum,
werde Geist und reise
und beleb den toten Traum
im Gespensterkreise.

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Kommentare zu diesem Text


 Erebus (27.01.08)
Hallo Peer,

Du schreibst ein Wenn - Dann - Gedicht in einer sehr ansprechenden Form. Genau genommen führen mich sechs Wenns zum abschließenden Dann.
Dabei läßt Du jeden wenn-Vers (auch wenn es durch Elision verloren ging wie in S1V3 und S3V3) in vierhebigen Trochäen männlich enden und reichst ihn übers Kreuz gereimt zum nächsten weiter. Dazwischen finden sich ergänzend bzw. als Konsequenz formuliert dreihebig weiblich endende Verse. Die Strophen bauen sich in gleicher Weise auf.
Vers eins: Formulierung der Bedingung
Vers zwei: Ergänzung
Vers drei: eine weitere Bedingung
Vers vier: eine Konsequenz zu den Versen eins bis drei
Adäquat verfährst Du mit Strophe vier, dabei sind die Wenns durch ein Dann ausgetauscht.
Das finde ich absolut sauber gelöst.

So sehr ich mit der formellen Lösung auch übereingehe, inhaltlich kann ich Deinem Gedicht wenig abgewinnen.
Zunächst einmal sei gesagt, dass Wenn-Dann-Gedichte eine starke Kongruenz zur normalen Sprachlogik haben.
Sie geben immer eine Konzeption an und überlagern reine Lyrik mit einer gedanklichen These, Behauptung etc.
Nach meiner Meinung muss das immer zurückhaltend geschehen, sprich die angegebenen Bilder sollen immer noch den Vorrang besitzen, sich selbst entfalten können und nicht der logischen Erwägung des Autors zum "so ist die Welt" untergeordnet sein.
Falls sich das jetzt so anhört, als würde ich Dein Gedicht derart lesen: nein, so ist das nicht. Die inhaltlich wenn-dann Konstruktion wird für mich nicht zu vordergründig. In sofern stellt Dein Text für mich einen Zwitter dar:

Denn die Bilder wollen mir nicht entstehen.
Weder die Augen des Himmels, noch die Ohren der Lüfte, das gläsern schnappende Herz(e - das ist sehr auffällig der Metrik geschuldet und fällt ebenso aus dem Sprachrahmen, wie das "schnappt"- unreim gereimt und schwer zu vermitteln), der Spiegel, der ein Lachen vermisst und das Weinen bestraft etc.pp. Das sind Konstrukte, die Poesie nur im Wortanklang vermitteln, jedoch keine Bilder gebären.
Ich muss auf einer geistigen Ebene übersetzen, bevor ich zu verstehen beginne.

Und selbst das gelingt mir nur unzureichend.
Nachdem ich den Text drei- viermal gelesen habe, ging mir ein kleines Licht auf: Wenn alle Mittel und Ausdrucksmöglichkeiten verbraucht sind, kein Bestehen erzeugt werden kann, soll man sich schlicht und einfach neue zulegen.. oder missverstehe ich das jetzt? Geht es um die Erfindung einer neuen geistigen Basis (=Gespensterkreis) um die alte, untaugliche zu ersetzen?
Und was hätte ganze mit Konspiration zu tun?

Wenn das so gemeint ist, müsste ich doch davon ausgehen, dass diese Konsequenz als Konsequenz absurd ist. Dann ginge es wohl letztlich darum, wie sich LD im Kreise seiner Gespenster einschätzt, bzw. ob es - wenn es schon damit leben muss - sich karmatisch Entflechten könnte oder so..

Na ja, Du siehst, ich habe meine Schwierigkeiten mit Deinem Text, dessen Gerüst ich vorzüglich finde, dessen Bilder und Inhalt mich aber kaum erreichen.

LG
Ulrich

 Peer meinte dazu am 27.01.08:
Hi cabeza_de_vacca,

ich habe ehrlich gesagt noch nie eine so dezidierte Kritik zu einem meiner Texte erhalten und muss sagen, dass auch ich noch nie ein fremdes Werk unter derart formalen Aspekten betrachtet habe, da mir hierzu einfach das notwendige Fachwissen fehlt. Ich schreibe meine Werke aus einem, na sagen wir mal, ästhetischen Gefühl heraus.

Zunächst sei gesagt, dass das Werk die momentane Entwicklung bzw. Aufweichung der Schutzmechanismen der Privatsphäre des Individuums thematisiert, also ganz grob gesagt die Big-Brother-is-watching-you-Problematik. Vor diesem Hintergrund ist der Text zu lesen. Demzufolge haben die gewählten Bilder, z.Bsp. Augen des Himmels = Überwachungssatelliten oder das Auge, das Lachen und Weinen misst = vor kurzem gezeigte neue Technik zur Überwachung der Mimik u. ä. der am Bildschirm arbeitenden einen reellen und direkten Bezug.

Ich will dir jetzt nicht zu sehr meine eigene Interpretation resp. Intention der letzten Strophe aufdrängen, wenn du es dennoch wissen willst, schicke ich es dir per PN.

LG Peer

 Erebus antwortete darauf am 27.01.08:
Hallo Peer - na klar bin ich daran interessiert! Bitte zuschicken.
Ich sehe, das ich absolut auf dem falschen Dampfer war, was Deine Intention anbelangt und glaube, Deinem Text sollte vielleicht ein deutlicherer Schlüssel zugeordnet sein, um ihn in der zugedachten Weise zu lesen.
Gruß
Ulrich
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